Gerhard Gemke

Die hohle Schlange, das Labyrinth und die schrecklichen Mönche von Bresel


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und Oskar herauskroch. Dreckverschmiert, aber vergnügt. Der Alte zwinkerte dem Turmfenster zu, hinter dem er die Baronin vermutete, und trollte sich den Berg hinab.

      Am Sonntag, dem 1. Juni schenkte Oskar seiner Elfriede drei goldene Becher.

      „Zur Goldenen Hochzeit“, brummelte Oskar.

      Elfriede schlang vor Rührung ihren Kamelhaarmantel um seine Schultern, vergoss ein paar Tränen, und brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, dass er sich um ein volles Jahr verrechnet hatte.

      „Ach Oskarchen, mein muffeliger Maulwurf“, murmelte Elfriede und küsste ihm die Glatze. Dann half sie ihm in seine alte Lederjacke und verabschiedete ihren Forscher. Wohin war ihr einmal mehr ein Rätsel. Je dreckiger seine Klamotten waren, wenn Oskar abends müde und abgekämpft heim kam, desto tiefer hüllte er sich in Schweigen. Nur einmal hatte sie ihm ein „Ich darf nicht darüber reden“ entlockt. Dabei war es allerdings geblieben. Elfriede hatte sich längst abgewöhnt, weiter zu bohren. Wenn es ihren Oskar glücklich machte. Noch einen Monat, dann wurde er siebzig. Das Leben hielt keine allzu lange Spanne mehr für ihn und Elfriede bereit. Sollte er forschen und geheimniskrämern wie er wollte.

      Hachja. Elfriede versank in ihrem Ohrensessel und in ihren Tagträumen.

      Am Samstag, dem 7. Juni lag Jo noch am Mittag in den tiefsten Träumen, als ein höllischer Lärm die Wendeltreppe heraufstolperte. Beziehungsweise zwei höllische Lärme. Jo hatte keine Chance. Kurt und Knut stürmten johlend ihr Zimmer und zerrten sie aus dem Bett.

      „Du bist unsere Gefangene“, stellten sie klar.

      Jo konnte nur mit Mühe verhindern, dass ihr Hände und Füße mit Tüchern und Gürteln gefesselt wurden. Die beiden Jungritter tobten wie gestochen durch's Zimmer. Jo fand, dass sie mittlerweile genauso dufteten, wie Onkel Humbert. Als kämen sie direkt aus seiner Lackfirma. Auf Jos genervte Frage nickten die beiden voller Begeisterung. Und Kurtchen nutzte augenblicklich die Gelegenheit zum Protzen.

      „Wir sind Gabelstapler gefahren!“, krähte er, „Heute morgen.“ Und Knut röhrte wie ein auspuffgeschädigter Trecker duch das Zimmer.

      „Voll Speed, eh!“ Wie schön, dass Kurt auch Englisch konnte. „Und dann Kurve und Wrommm!“

      Er lachte sich scheckig, und sein Bruder prustete: „Der ist voll in die Fässer rein!“

      „War'n aber leer.“

      „Und der Alte, der … äh …“ Knut musste sein Hirn gewaltig arbeiten lassen.

      „Der Heiner“, half ihm Kurt und wackelte mit gebeugtem Rücken und zerknautschter Stirn um Jos Schreibtisch herum.

      „Genau, eh, der alte Heiner. Der musste den ganzen Mist wieder aufräumen.“

      „Und dann wieder Wrommm!

      Die beiden kriegten sich gar nicht mehr ein vor Lachen. Ohja, Jo konnte sich lebhaft vorstellen, wieviel Spaß der wohl gehabt haben mochte. Wer auch immer das war. Der alte Heiner.

      Kurz darauf beim Mittagsessen benahmen sich die beiden Helden nicht viel anders, und Tusneldas Mienenspiel war mehr als deutlich. Adelgunde versuchte verzweifelt, den Mitteilungsdrang ihrer Sprösslinge in geordnete Bahnen zu lenken.

      „Erzählt doch mal Tante Tusnelda, was ihr bei Onkel Aarne erlebt habt.“

      Jo hielt sich die Ohren zu und kaute geduldig ihr Schnitzel, bis die Gabelstaplergeschichte nochmal durch war. Als sie die Finger wieder aus den Ohren zog, kicherte Adelgunde gerade über den dummen Heiner, als hätte sie ebenfalls ein paar Fässer umgemäht.

      Die Äpfel fallen nicht weit vom Stamm, dachte Jo.

      Nachdem Adelgunde endlich fertig gegigstert hatte, schlug sie sich vor die Stirn. „Ja wo sind nur meine Gedanken? Da hab ich doch noch was für dich!“ Sie zog einen zerknitterten Briefumschlag aus ihrer Handtasche. Deutlich prangte darauf in dunkelroten Lettern der Schriftzug der Firma KyanTox.

      „Was iss 'n das?“, fragte Knut und langte quer über den Tisch nach dem Brief.

      Jo sprang schnell genug zur Seite und entging der Kakaoflut aus Knutis Tasse. Sein Bruder Kurt war nicht so flink.

      Emma, die sich im Hintergrund für die Wünsche der Gäste bereit gehalten hatte, stürzte herbei und bemühte sich, mit Adelgundes Hilfe und einem Wischlappen den Schaden zu begrenzen. Tusnelda presste, wie sie das immer in solchen Situationen tat, ihre Lippen zu einem ärgerlichen Strich, packte den Umschlag und riss ihn auf. Wahrscheinlich hätte sie lieber Knut den Kopf abgerissen.

      Jo hatte sich inzwischen Schritt für Schritt Tusneldas Stuhl genähert. Über die Schulter der Baronin erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf den Brief. Sehr geehrte Frau von Knittelstein! stand dort. Der folgende Teil war zu eng beschrieben, unleserlich auf die Entfernung. Aber drunter prangte deutlich der gleiche Schriftzug, wie auf dem Umschlag. Und eine Unterschrift, deren Länge zu Aarne Kyankalismäki passen konnte.

      Tusnelda faltete das Blatt wieder zusammen, und Jo schaute interessiert aus dem Fenster. Die sehr geehrte Frau von Knittelstein bekam also Post von KyanTox. Dieser Herr Kyankalismäki schrieb der Baronin …

      Jo winkte aus dem Fenster. Oskar Sievers hatte den Burghof betreten und schloss die schmale Eichentür unter dem Torbogen auf. Die Tür, die zu den Verliesen führte. Er hatte Jos Winken nicht bemerkt und verschwand wie ein Spuk in dem dunklen Loch.

      Die Eichentür. Jo konnte ihren Blick nicht von ihr lösen. Der Sievers findet nichts!, hatte Tusnelda geschimpft, an dem Abend nach dem Burgfest. Was sollte er finden? In den Verliesen. Mehr als einmal hatte sich Jo das schon gefragt. Tropfsteinhöhlen? Wohl kaum.

      Auf einmal war er da, der Plan. Und ließ sich nicht mehr abschütteln. Verriegelte Oskar eigentlich die Tür, wenn er da unten war? Das rauszufinden konnte nicht so schwer sein. Und dann …

      „Josephine, setz dich sofort wieder an den Tisch. Wir haben noch nicht zu Ende gegessen!“

      Drei Tage später.

      Die Gelegenheit war günstig. Baron Eduard war nach Bresel gefahren. Erst zur Bank, dann wollte er Clemens Zuffhausen treffen, und was er sonst noch alles zu erledigen hatte. Von Tusnelda war seit dem Frühstück nichts mehr zu sehen gewesen. Es konnte gelingen. Oskar Sievers war schon vor einer Stunde angekommen, Jo hatte ihn vom Turmzimmer aus beobachtet. Warum bloß wurde der alte Mann von der Baronin ins Labyrinth geschickt? Immer und ewig hatte Tusnelda behauptet, dort hausten nichts als Ratten und Giftspinnen. Was natürlich Quatsch war. Hoffentlich.

      Jo huschte wie eine Katze durch das Museum. Sie kannte den Weg im Schlaf. Ritter Arnulfs Visier grinste sie an, Jo grinste zurück. Dann vorbei an den Schwertern und Lanzen, den Helmen, Federbüschen und Wappen der alten Knittelsteiner.

      Der Burghof lag im gleißenden Sonnenlicht. Jo drückte sich an der Westmauer entlang und erreichte die Vorburg, die sich über dem gewaltigen Tor erhob. In den ebenerdigen Räumen des Torhauses befanden sich die Kettenwinden, mit denen man noch heute die Zugbrücke heben konnte. Vorausgesetzt man hatte drei kräftige Kerle an jeder Winde.

      Und darunter lagen die Verliese.

      Jo näherte sich der niedrigen Tür. Nach einigem Ruckeln und Drücken öffnete sie sich leise quietschend. Jo blickte sich um. Niemand zu sehen. Lautlos glitt sie in die dunkle Öffnung. Schlagartig war es fünfzehn Grad kälter. Jo schloss die Tür hinter sich. Einen Moment blieb sie auf dem Treppenabsatz stehen, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Weiter unten beleuchtete eine funzelige Lampe feuchte Steinstufen.

      „Also los!“, kommandierte Jo ihre Füße. Zitternd vor Aufregung und Kälte stieg sie hinunter. Fäulnisgeruch schlug ihr entgegen. Nach zehn Stufen verließ die Treppe den gemauerten Teil der Burg und wand sich in die Breselberger Felsen. Die Lampe hinter der Kurve war kaputt. Weiter unten beleuchtete der schwache Schein einer dritten einen niedrigen Raum, etwa vier mal vier Meter groß. Die Decke war schwarz vom Ruß unzähliger Fackeln. Eine Schießscharte blinzelte auf halber