Gerhard Gemke

Die hohle Schlange, das Labyrinth und die schrecklichen Mönche von Bresel


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schlecht die doch Burg Knittelstein renoviert hätte. Nicht das Gebäude, neinnein! Kurt und Knut wackelten mit den Krausköpfen. Das riesige Ölbild, das in Augsburg die halbe Wohnzimmerwand einnahm. Bei den Breselberg-Rummelpotts. Jo erinnerte sich dunkel an den grottenhässlichen Schinken. Vor wallender Wolkenkulisse thronte eine Ritterburg hoch über schroffen Felsen und blickte verächtlich ins Tal auf eine Handvoll geduckter Bauernhäuser. So jedenfalls kam es Jo vor. Und dieses Gepinsel hatte Elvira restauriert? Elvira, die Schwester von Jos Mutter, bei der Jo ihre halbe Kindheit verbracht hatte. Nachdem ihre Mutter gestorben war.

      „Warum?“ Sie hatte sich bemüht, nicht allzu interessiert zu klingen.

      „Weil Onkel Aarne drauf rumgemalt hat.“ Knut (oder Kurt) fand das offenbar ausgesprochen witzig.

      Jo hatte betont gelangweilt aus dem Fenster geblickt. Onkel Aarne, soso. Onkel Aarne kannte sie. Flüchtig. Der Chef der Firma, für die Lackonkel Humbert arbeitete. Ein Finne mit einen unaussprechlichen Nachnamen, der irgendwie auf mäki endete. Humbert hatte Jo mal durch diese Firma geführt, kurz nachdem Eduard und Tusnelda geheiratet hatten. KyanTox oder so. In Schrobendorf. Das wenige, woran sich Jo noch erinnerte, waren gewaltige Türme aus Fässern. In jeder Halle stapelten sie sich zu Hunderten. Eine ganze Firma voller Fässer, die wie Onkel Humbert rochen.

      „Und was hat er darauf gemalt?“

      „Fässer“, hatte Kurt (oder Knut, wer wusste das schon) gekräht. „Und deine Tante hat das nicht wieder weggekriegt. Sieht man immer noch. So was von Schlamperei!“

      Daraufhin hatte Jo das nette Doppel einfach stehen gelassen und sich in die Bibliothek verzogen. Hinter einem der schweren Brokatvorhänge hatte sie sich auf das Fenstersims gekauert und hinausgestarrt. Vielleicht auch ein bisschen geweint. Und an Tante Elvira gedacht.

      „Pssst!“ Jo blickte erschrocken auf. Ein neuerliches „Pssst!“ ihrer Lieblingscousins riss sie zurück in den Burgfesttrubel. Mit ungemein listigen Gesichtern hatten sich die beiden an die Fersen von zwei festlich geschmückten Damen geheftet und wichen ihnen auf Schritt und Tritt nicht von den Hacken. Die beiden Damen hießen Elfriede Sievers und Agathe Müller-Pfuhr und nahmen keinerlei Notiz von dem Theater hinter ihrem Rücken. Sie nämlich hatten nur Blicke für den einen: den werten Herrn Baron Eduard.

      Armer Papa, dachte Jo und sah sich auf dem überfüllten Burghof um. Und fing einen Blick von dem blonden Mädchen auf, das am Wildschweingrill stand und vielleicht schon länger zu ihr herüberschaute. Wie ein heißer Strahl traf sie dieser Blick und brannte hinunter bis in die Kehle. Und eine unerklärliche Welle der Panik durchlief sie. Wie lange war das her? Dass sie jemanden kennengelernt hatte. Jemanden Fremdes.

      Plötzlich stieß sich Jo mit einem Ruck vom Brunnenrand ab und ging mit schnellen Schritten zu einer Seitentür, auf der Privat stand. Ein paar Minuten Frieden von diesem Gewühl und ihren netten Cousins. Dann würde sie zurückkommen. Und vielleicht zum Wildschweingrill rübergehn. Rein zufällig. Sie konnte ja so tun, als wollte sie nur mit Emma schwatzen …

      Kurz bevor sie die Tür erreichte, glitten ihre Augen über die Palasmauern. Hinauf zu ihrem Lieblingsfenster. Und da standen sie! Jo schüttelte sich. Tusnelda, Tante Adelgunde und dieser Lackonkel. Und starrten hinunter auf das Volk.

      Das sich im Übrigen prächtig amüsierte. Die Stimmung auf dem Burghof konnte nicht besser sein. Die Henkersmahlzeit spielte wie noch nie, Bierbudenbesitzer Bruno Brubeck riss mit denselben Nasen wie letzte Nacht dieselben Witze, und drei nachgemachte Ritter kämpften, dass selbst die Rüstung von Raubritter Arnulf in den Museumsräumen das große Visierklappern bekam.

      Zwischen ihnen rannte Freddie als Meinhardt der Dicke und versuchte Wolfram mit dem Buckel (also Jan) über die Südklippen zu jagen. Lisa stand am Wildschweingrill und beobachtete dieses Mädchen mit dem langen Zopf, das mit gelangweilter Miene am Brunnenrand lehnte und zwei noch langweiligeren Bengeln zusah. Heute zum Glück ohne rosa Rüschenkleid. Für einen Moment hatten sich ihre Blicke getroffen. Hatte sie gelächelt? Oder nur den Mund verzogen über den Haufen Breselner, der sich schwatzend vor Lisas Nase schob und weiter zum Burgtor zog.

      Unter dem steinernen Bogen begrüßte gerade Direktor Zuffhausen freudestrahlend Oskar Sievers – und rauschte mit ausgebreiteten Armen an Anke Rufus vorbei. Lisa lachte schallend über das Gesicht ihrer Lieblingslehrerin. Achja, wie hatte die sich noch ausgedrückt? Wir müssten mal mit den Burgbewohnern verhandeln. Okay!

      Gerade als Lisa sich in Bewegung setzen wollte, sah sie den Zopf des Mädchens durch eine Tür in der Burgmauer verschwinden. Möglicherweise genervt von diesen Grimassen schneidenden Witzbolden. Lisa blieb enttäuscht stehen. Einen Moment überlegte sie, ob die beiden Knallerbsen auch zu den Burgbewohnern gehörten. In Bresel zumindest hatte Lisa die noch nie gesehen. Doch mit denen wollte sie auf keinen Fall verhandeln. Außerdem waren sie mit ihrem Affentanz hinter Elfriedes und Agathes Rücken vollauf beschäftigt.

      Lisa wandte sich kopfschüttelnd ab. Es würde sich eine bessere Gelegenheit bieten, das Burgmädchen kennen zu lernen. Irgendwann. Sie arbeitete sich zurück zum Grill, wo sich inzwischen Köchin Emma kaum retten konnte vor lauter Komplimenten für ihr Wildschwein am Spieß.

      Und dann erschien sie. Tusnelda persönlich. Oben auf der Treppe zum Hof. Blieb stehen und blickte hinunter auf das Volk. Bog mit aller Kraft die Mundwinkel zu einer Art Grinsen. Was blieb ihr anderes übrig? Sie musste dort hinunter. Wenigstens einmal. Die Querflöte der Henkersmahlzeit rührte in ihrem Ohrenschmalz. Hatte nicht so ein Flötenheini in – wo war das noch gleich – die Ratten aus der Stadt gepfiffen und im Fluss ertränkt? Tusneldas Augen wanderten über die Wehrmauern hinunter auf das silberne Bändchen des Breselbachs. Spiel, Pfeife, spiel!

      Sie stakste die Treppe hinunter. Und da kamen sie auch schon. Allen voran Elfriede, die Frau von diesem Heimatforscher, dicht gefolgt von Agathe Müller-Pfuhr. Tusnelda stellte die Ohren auf Durchzug. Ach, Frau Baronin hier! und Ach, Frau Baronin da! Über was sollte man sich auch mit solchen Leuten unterhalten?

      Tusnelda holte tief Luft: „Wie werden Sie denn in der Stadt mit den Ratten fertig?“

      Agathe Müller-Pfuhr sah sie ungläubig an. „Ach, Frau Baronin, haben Sie damit auch Probleme?“

      Tusnelda ließ ihren Blick über die feiernden Breselner gleiten. „Gelegentlich!“

      „Also wenn Sie meinen Rat brauchen …“ Schnatter, schnatter, schnatter. Ein endloser Wortschwall ergoss sich über die Burgherrin. Von Agathes Experimenten mit Schwarzbrot, mit Weißbrot und ihrem unerwarteten Erfolg mit Rosinenstuten. Und die rote Flüssigkeit draufgetropft – von Bruder Bramsch.

      „Sie kennen doch Bruder Bramsch?“

      „Ja!“

      „Bruder Bramsch von den Florian-Mönchen“, mischte sich Elfriede ein.

      „Ich sagte schon: Ja!“

      „Der immer den guten roten Saft hat. Aber pscht! Dass das unter uns bleibt …“

      Tusneldas Blicke hätten jedes andere Lebewesen erstochen. Nur Agathe und Elfriede waren dagegen immun.

      „Davon ein bis zwei Tropfen auf jedes Rosinenstutenwürfelchen, und die Ratten, ach Frau Baronin, ich kann Ihnen sagen, mmh, lecker, lecker! Und vierundzwanzig Stunden später: Aargh!“ Agathe würgte wie eine sterbende Ratte, und Tusnelda bohrte ihr die Blicke bis in die Nebennieren.

      „Mmh, lecker, lecker! Und dann vierundzwanzig Stunden später: alle tot. So kann's gehn!“ Elfriede kicherte.

      „Wenn Sie noch weitere Tipps brauchen …“ Agathe war mit ihrer Vorstellung am Ende und wandte sich mit strahlenden Augen dem Fleckchen Burgpflaster zu, auf dem gerade noch Baronin Tusnelda gestanden hatte.

      Doch die rauschte schon mit stampfenden Hufen zur Treppe, warf dem Flötisten der Henkersmahlzeit einen vernichtenden Blick zu, und verschwand wie ein Gespenst im Schatten der Museumsräume.

      „Rattengift!“, fauchte sie. „Als ob ich nicht wüsste, wo man Rattengift bekommt!“ Mit krachender Tür verließ sie den Saal Richtung