Gerhard Gemke

Die hohle Schlange, das Labyrinth und die schrecklichen Mönche von Bresel


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bewirten.

      Da war es ein Glück, dass die Breselner Musikschule jedes Vierteljahr ein Konzert in der Aula veranstaltete. Dazu richteten die Schüler und Lehrer den ehrwürdigen Saal her, dessen Holzvertäfelung noch aus den Gründerjahren des Klosters stammte, und dessen wuchtige Gemälde die ersten Florian-Äbte darstellten. Heute Nachmittag erst hatten Freddie und Rubens Bogdanov die Fenster aufgerissen, und den Mief von drei Monaten gelüftet. Herr Bogdanov hatte den betagten Flügel für das Konzert am Wochenende so gut es noch ging gestimmt und dabei auf eine Art geflucht, die schon Extraklasse war. Freddie fand, dass Herr Bogdanov als Pianist kaum mehr drauf haben konnte. Für den bevorstehenden Auftritt hatte er sich mit seinem Klavierlehrer zu einer Generalprobe verabredet. Herr Bogdanov spazierte von einem Abt zum nächsten, während Freddie Gershwin donnerte. Es klappte eigentlich ganz locker.

      Jedenfalls lockerer, als die restlichen anderthalb Stunden, die sie brauchten, um zu putzen, das Nötigste zu reparieren und die Aula einigermaßen besucherfreundlich wieder hinzukriegen. Wahrscheinlich war sie nun der ansehnlichste Ort im Kloster. Zwischendurch tauchte immer mal einer dieser schweigsamen Gesellen im Saal auf, sah sich flüchtig um und verschwand so wortlos, wie er gekommen war. Freddie glaubte, den Geschäftspartner vom alten Fritz wiedererkannt zu haben, den er vor Sankt Urban beobachtet hatte. Im Mai bei der Tausend-Jahr-Feier. Er war sich aber alles andere als sicher. Irgendwie sahen die Kerle alle gleich aus. Jedenfalls von weitem.

      Als Freddie und sein Klavierlehrer gehen wollten, fegte Bruder Bramsch gerade mürrisch den Eingangsflur. Rubens Bogdanov probierte es mit ein paar freundlichen Worten, bekam aber kaum mehr als ein Grunzen zur Antwort. Schließlich war es Bogdanov leid.

      „Bis Sonntag um zehn“, verabschiedete er sich, und sein gereizter Tonfall hätte auch zum Flügelstimmen gepasst. Ein schwaches Nicken begleitete ihn und Freddie zur Tür hinaus.

      Draußen war es bereits dunkel. Vielleicht bemerkten die beiden deshalb nicht die Frau mit dem Kopftuch, die im Schatten eines Hauseingangs wartete. Als der lange Bogdanov und sein Schüler verschwunden waren, näherte sie sich der Klosterpforte.

      Bruder Bramsch war soeben zur letzten Bodenfliese vorgedrungen. Eigentlich war es höchste Zeit für das Abendgebet. Da klopfte es. Bruder Bramsch schlurfte zur Tür und blickte durch das Gitterfenster in die Dämmerung. Ein Haarturm unter einem schwarzen Tuch wankte im Wind. Darunter blinzelten zwei schmale Augen.

      Bruder Bramsch öffnete die Pforte. „Frau Baronin, was führt Sie denn her?“

      Zwei Stunden später verließ Tusnelda wieder das Kloster. Es war nicht ihr erster Besuch gewesen. Doch so lange Zeit hatte seit Heinrich II. kein Knittelsteiner mehr in der Klause verbracht. Tusnelda leckte sich die Lippen. Ein köstliches Kartoffelgratin hatte sie serviert bekommen und erstaunliche Dinge über ihre Ahnen erfahren. Und nie zuvor hatte sie ein solches Schwimmbad gesehen. Bruder Bramsch hatte es sich nicht nehmen lassen, den hohen Gast persönlich durch die Kellergewölbe zu führen, ihr die prachtvollen freizügigen Deckengemälde zu zeigen und die unzähligen handbemalten Kacheln. Tusnelda war schwer beeindruckt. Erst recht, als Bramsch ihr von einer ganz speziellen Verbindung der Burg zum Kloster erzählte. Heinrich II. hatte sie graben lassen. 1832. Vom Schwimmbad bis zum Rutschenstollen des verrückten Aimo.

      „Kommen Sie.“

      Zögerlich folgte die Baronin dem Mönch durch eine Holztür, dann entlang einer Spur von Zigarettenkippen bis zu einer faulig riechenden Seitenkammer: dem Kartoffelkeller von Sankt Florian. Als sie den Kopf dort hineinsteckte und ihr von dem Geruch fast übel wurde, hatte sie die Lösung ihrer Probleme vor Augen.

      Zurück im Bad schwadronierte Tusnelda zu aller Erstaunen von den künftigen engen Beziehungen zwischen Kloster und Knittelstein. Als schließlich Abt Florestan dadurch ermutigt darauf hinwies, dass in früheren Zeiten die Knittelsteiner das Kloster immer großzügig beschenkt hätten, kam das der Baronin gar nicht so ungelegen.

      „Eine Hand wäscht die andere“, sagte sie und ließ ihren Blick von einer Kapuze zur nächsten wandern.

      Am folgenden Montag reiste Tusnelda nach Augsburg. Zu einem Treffen mit ihrer Schwester Adelgunde, deren Mann Humbert und mit Humberts Chef. Diesem Aarne Sonstwas-mäki.

      Vorher noch verabschiedete sie Oskar Sievers. Besser gesagt, sie schmiss ihn raus. Und das mit Paukenschlag! Jo musste den alten Forscher am Burgtor abpassen und in die Museumsräume bestellen. Dort ließ sich Tusnelda den Verliesschlüssel aushändigen und drückte Oskar zu Jos Verwunderung herzlich die rechte Hand. Mit ihrer eigenen Rechten. Oskar zuckte zusammen, als hätte er mit soviel Kraft der Baronin nicht gerechnet. Ärgerlich zog er den Arm zurück und knetete seine Hand.

      „Ich krieg das noch raus!“, hörte Jo ihn schimpfen. „Das mit den Giftzwergen.“

      „Sie?“ Tusnelda lachte das hässlichste Lachen, das Jo je gehört hatte. Ohne Oskar noch eines Blickes zu würdigen, rauschte sie davon. Die Tür knallte hinter ihr, dass das Visier von Raubritter Arnulf mit einem Scheppern zufiel.

      Erschrocken drehte Jo sich um. Auch Oskar war verschwunden. Sie rannte zum Fenster. Der alte Mann schlurfte gebeugt über den Burghof. Es war das letzte Mal, dass Jo ihn sah.

      Giftzwerge?, dachte Jo. Dazu fielen ihr eigentlich nur Kurt und Knut ein. Die konnte Oskar doch nicht gemeint haben. Oder hatte sie sich verhört?

      Nach dem Mittagessen verkündete Tusnelda den versammelten Burgbewohnern, dass das Tourismus-Projekt auf unbestimmte Zeit verschoben würde. Der Herr Sievers habe sich als untauglich erwiesen, und überhaupt seien die Reste des Labyrinths für Besucher nicht geeignet.

      Jo war wie vor den Kopf gestoßen. Das stimmt doch nicht, wollte sie widersprechen. Zumindest die drei Verliese waren doch bestens … aber Tusnelda ließ niemanden zu Wort kommen. Sie werde über Nacht in Augsburg bleiben, teilte sie ihrem Mann mit und verließ grußlos das Speisezimmer.

      Baron Eduard hatte die ganze Zeit am Fenster gestanden, mit dem Rücken zu seiner Frau. Jetzt drehte er sich um und schaute seiner Tochter in die Augen. Und Jo sah die Trauer darin. Und auch die Angst. Langsam ging sie auf ihn zu und umarmte ihn.

      Kaum jemand fand in dieser Nacht ruhigen Schlaf. Weder auf der Burg, noch in der Augsburger Villa, wo die Knittelsteiner Schwestern mit Humbert und Aarne Kyankalismäki seit Stunden um einen Punschkübel saßen. Aarne hatte dem süßen Gesöff bereits reichlich zugesprochen und erwartete für jeden seiner Trinksprüche schallendes Gelächter.

      „Ach wie geht's im Leben rund,

      sprach der Esel zu dem Ochs.

      Bellt ein Hund maln wir ihn bunt

      mit Lack von KyanTox.

      Prost!“

      Adelgunde und Humbert schmerzten schon die Wangenmuskeln. Tusnelda presste ihre Lippen zu steinharten Strichen. Dieser Kyankalismäki brachte sie mit seinem Frohsinn um. Die gute Laune war dann auch mit einem Schlag verflogen, als Aarne einen Filzstift zückte. In seinem Gesicht verteilte sich ein hämisches Grinsen, als er sich Burg-Knittelstein-in-Öl-auf-Leinwand näherte. Dem Bild, das Elvira Casaverde angeblich so schlecht restauriert hatte. Adelgunde schrie. Laut und schrill. Der fette Finne ließ den Stift wieder sinken. Das Grinsen blieb.

      „Habt ihr übrigens toll wieder hingekriegt, den ollen Schinken“, röhrte er. Dann wurde sein Gesicht hart wie Presspappe. „Aber andere Dinge ganz und gar nicht!“

      Er ließ sich in seinen Sessel zurückfallen. Jetzt war allen klar, dass der gemütliche Teil des Abends vorbei war.

      „Mir blieb überhaupt nichts anderes übrig“, raunzte Aarne. „Da schlich auf einmal so ein Kontroletti von der Schrobendorfer Verwaltung in meiner Firma herum. Was sollte ich denn tun? Ich musste wohl oder übel zehn meiner Fässer an die Entsorgungsfirma liefern. Und das, meine Lieben, hat mich ein Vermögen gekostet.“ Er starrte Humbert in sein Schildkrötengesicht. „Die Frage ist nun, wem soll ich das vom Lohn abziehen? Etwa mir selbst?“

      Humbert wusste vor Verlegenheit nicht wohin mit seinen Händen.

      „Tja, wären keine mehr dagewesen