Gloria Fröhlich

Kuckucksspucke


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dufteten so heftig nach Lavendel und Kölnisch Wasser, dass es für Lines Nase im Wohnzimmer der Großmutter nach einer Weile regelrecht stank.

      Und unter dieser Duftwolke bekakelten sie dann alles, was im Dorf seit dem letzten Zusammentreffen passiert war.

      Und während sie Streuselkuchen aßen, Kaffee, Likör und auch mal prickelnden Schaumwein tranken, und Line sich in eine Ecke kauerte, um nicht entdeckt und weggeschickt zu werden, sprachen sie dieses Mal über einen Bauer, den sie alle mehr oder weniger gut kannten. Die Tasse machte beinahe kein Geräusch, als eine der Damen sie mit vornehm abgespreiztem kleinen Finger behutsam auf die Untertasse stellte, nickend in die Runde sah und hauchte: „Er ist ja vergangene Woche richtig zusammengebrochen“.

      „Ach, ist er etwa….“.

      Die Fragende nagte erwartungsvoll an ihrer Unterlippe.

      „Nein, aber er hat schon jahrelang Zucker, und es stand mit ihm nicht zum ersten Mal auf der Kippe. Mein Schwager wurde in kurzer Zeit vom Zucker dahingerafft.

      Das war damals schlimm.

      Wie die Zeit vergeht, er ist nun schon zwei Jahre tot“.

      Für wenige Sekunden war es still im Wohnzimmer der Großmutter.

      „Es ist zu befürchten, dass es bei dem auch nicht mehr lange geht“, wusste eine andere nun ganz genau, was ihm über kurz oder lang blühen würde.

      Line verstand nicht, wieso sie tatsächlich glaubten, dass die weiße, süße Herrlichkeit überhaupt jemanden dahinraffen konnte.

      Und wie denn!

      Und wenn doch?

      Die Großmutter sprach manchmal von „Raffinade“, wenn es um Zucker ging.

      So bekam das Wort „dahingerafft“ für Line dann einen Sinn.

      Vielleicht bewahrte die Großmutter ihren süßen Vorrat deshalb in einer fest verschlossenen Dose, für Line unerreichbar, in der Speisekammer auf.

      Und die Kränzchendamen griffen nicht einfach mit den Fingern in die Zuckerdose, um sich einen Zuckerwürfel zu nehmen, sondern benutzten dazu eine kleine silberne Zange, die rechts und links mit einer Rosenranke verziert war. Außerdem verfügte sie über zwei gespreizte Krallen, mit denen die Zuckerwürfel fest gepackt werden konnten, wenn man nicht ungeschickt war.

      „Seine Frau sagte ganz verzweifelt im Schlachterladen, er würde seinen Zucker nicht ernst nehmen, und sie befürchtet, dass ihm das das Genick brechen wird“, hörte Line jetzt und verstand den Zusammenhang nicht.

      Aber sie witterte freudig eine Beerdigung, eine die von sich reden machen würde.

      Denn der Bauer war reich, und Reiche ließen sich nicht nur Hochzeiten etwas kosten.

      Jetzt aber ärgerte es Line, als ein kürzlich stattgefundenes Begräbnis erwähnt wurde, das sie verpasst hatte.

      Mitten im Sommer hatte es tatsächlich eins gegeben, und zwar auf der anderen Seite der Eisenbahnlinie, die das Dorf und Line vom Rest der Welt trennte.

      Sie kannte die, um die es ging, und es war jetzt ein merkwürdiges Gefühl, dass die tot sein sollte. Line erinnerte sich an einen massigen Körper, auf dem ein kleiner Kopf mit Pausbäckchen saß, und aus dessen Wurstzipfelmund es pfeifend schnaubte, während es auf der Steintreppe zum Bäckerladen nur sehr langsam nach oben voranging, Schritt für Schritt.

      Und dick, damit meinten die Damen wohl „korpulent“, denn eine von ihnen zeigte mit beiden Armen an ihrem eigenen Körper einen gewaltigen Bauchumfang, der bis an die Tischkante reichte. Und die, die hatte die Tote auch auf ihrem letzten Weg begleitet.

      „Das hätte sie von mir erwartet, so wie wir zueinander standen, sie war ja über dreißig Jahre auf unserem Hof, bevor sie im vergangenen Jahr so unglücklich in die Forke gefallen ist und sich beinahe aufgespießt hatte“, flüsterte sie mit beschwörendem Blick und heruntergezogenen Mundwinkeln.

      „Davon hat sie sich nie mehr richtig erholt, Gott sei ihr gnädig!“

      Doch jetzt hielt sich die Erzählende die Hand vor den Mund, und Line entdeckte, dass sie sich das Lachen verkniff, weil diese Geschichte wohl kein Thema zum Lachen war.

      Sie rang die Hände und wisperte: „Entschuldigung, aber es ist so grauenhaft und doch so komisch, ich muss es einfach loswerden.“

      Die anderen Damen vermuteten den Höhepunkt dieses Nachmittages, signalisierten Aufmerksamkeit und setzten sich kerzengerade auf.

      Auch Lines Ohren liefen auf Hochtouren.

      „Sie hatten Schwierigkeiten, sie in den Sarg zu legen.

      Sie war zu dick und zu breit, und sie wussten nicht, wohin mit den Armen und haben sie schließlich auf die Seite gedreht, aber das ging auch nicht, weil sie dann zu hoch war.“

      Ihre Zuhörerinnen lachten unterdrückt.

      Eine prustete Kuchenkrümel in ihre hohle Hand und flötete: „Oh, wie sind wir pietätlos, schämen wir uns, aber erzählen sie doch weiter, man nimmt doch selbstverständlich Anteil.“

      Na, ja, irgendwie hatten sie es dann doch geschafft, dass von ihr nicht so viel zu sehen war, als sie den Sargdeckel auf sie drückten.

      Stellen sie sich mal vor, das mussten sie zu Dritt machen, und das hat unheimliche Geräusche gegeben.“

      „Ja, das ist bekannt, wenn….das ist grauenhaft, da geht die Luft aus den Lungen ab“, entsetzte sich eine der anderen Damen und rutschte auf ihrem Platz sehr lebendig hin und her.

      Keine von ihnen kaute oder schluckte jetzt noch.

      Und alle Augen hingen an den feucht glänzenden Lippen der Erzählenden, auf denen noch ein winziges Stück von einem Mandelplättchen klebte.

      „Am Kopfende gelang es ihnen, den Sargdeckel zuzunageln, aber weiter hinten stand er noch so weit offen.“ Sie zeigte einen etwa drei Zentimeter breiten Abstand zwischen Daumen und Zeigefinger, atmete danach mit aufgerissenen Augen tief durch und sah dann versteckt amüsiert und abwartend in die Runde.

      „Dass unser Herrgott das zulässt, das ist ja kaum zu glauben“, empörte sich eine Stimme.

      „Da gibt es nichts zu glauben, da weiß man, dass man einen größeren Sarg nehmen muss. Der Herrgott lässt die Bäume zwar nicht in den Himmel wachsen, aber es ist doch genug Holz für einen großen Sarg da“, meinte eine andere, und das hörte sich ziemlich vernünftig an.

      „Heute ist das ja wirklich kein Problem, aber damals“, hauchte die Großbäuerin.

      „Meine Großeltern hatten ihre Särge noch in der Tenne stehen. Früher war das so, denn wenn es mal eine Seuche und viele Tote gab, kam der Zimmermann mit der Arbeit nicht hinterher, also hatte jede Familie mindestens einen Sarg vorrätig.

      Es gab sogar schmale, schwarze Sargtische, auf denen sie standen. Und dann warteten sie in der Diele auf „Belegung“, oft jahrelang!

      Und ich weiß noch, bei meinen Großeltern kamen in einen der Särge abends immer die Hühner.“

      Die Kränzchendamen lachten, und in den Gläsern moussierte es.

      Die Damen waren ausgelassen.

      Der altrosa Schleier, der über ihre Wangen kroch, war auch ein Zeichen für ihre Erregung aufgrund der außergewöhnlichen Begebenheit, die ihnen gerade zu Ohren gekommen war.

      Mit der grauenhaften Vorstellung, dass der Sargdeckel nicht geschlossen werden konnte, waren sie bereits an die Grenzen des für sie Erträglichen gekommen, als sie mit kreischendem Gewimmer der Erzählenden das an sich herankommen lassen mussten, was eine Steigerung ihres Entsetzens nicht mehr zu übertreffen, nur noch in der Hölle möglich gewesen wäre.

      „In der glühenden Hitze des frühen Nachmittags auf dem langen Marsch zum Friedhof, entging den herumlungernden Straßenfliegen natürlich nicht, was sich dort in dem blumenbekränzten Holzkasten verbarg und wohin man