Karlheinz Seifried

Zu nah am Abgrund


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den ich organisieren sollte. Ich sagte mir:

      ‚Je größer das Projekt desto interessanter ist es, also los.‘

      Es ging darum, alle Rockerbanden der Umgebung unter einen Hut zu bekommen und zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort auffahren zu lassen. Die Aufgabe sollte sein, Angst und Schrecken zu verbreiten. Sie wollten zeigen:

      Hier sind wir, das können wir und Tschüss - weg sind wir wieder. Damit wollten sie demonstrieren, dass die Polizei ihnen gegenüber machtlos ist.

      Alles sollte ganz schnell anlaufen, denn es war wichtig, dass niemand von der Polizei gefasst wurde. Also am besten hinterher von der Bildfläche verschwinden und untertauchen.

      Da wir nicht ganz so viel Zeit hatten, um alles in die Wege zu leiten, legten wir gleich los. Hauptsitz wurde ein alter Bauernhof, der auch das Quartier einer der Gangs, besser gesagt der Gang des Big Bosses war. Big Boss war der Chef aller Gangs in Bremen und Umgebung.

      In der alten Scheune baute ich mir eine große Holzwand auf, um Karten, Bilder und Pläne aufzuhängen und um die Wege der einzelnen Gruppen aufzuzeichnen, Kreutz-, und Treffpunkte festzulegen, Polizeistationen zu markieren.

      Ich besorgte mir Landkarten, Stadtpläne, Generalstabskarten, habe mir Fotos von wichtigen Knotenpunkten machen lassen und war froh, so viel Platz zur Verfügung zu haben.

      Wichtig war, schnell ins Zentrum zu kommen, Treffpunkt der Aktion sollte der Bahnhofsvorplatz in Bremen sein. Der war groß genug, um alle aufzunehmen und die Lage war gut, um schnell wieder in verschiedenen Richtungen zu verschwinden.

      Der Big Boss wollte, wie sein Vorbild in Amerika den „Hells Angels“, zeigen, was er drauf hatte und sich einen Namen machen. Meinetwegen, ich würde bei dem Spektakel ohnehin nicht dabei sein. Wenn die Geschichte anlief, war ich wieder an Bord und im Ärmelkanal Richtung England unterwegs. Die Bremer Ereignisse würde ich nur über Radio und Zeitung verfolgen können. Horst half mir bei allen möglichen Arbeiten und ging mir zur Hand beim Aufstellen und Schreiben von Plänen.

      Zuerst einmal musste die Gruppenstärke festgelegt werden und die Beteiligten mussten den jeweiligen Gruppen zugeordnet werden. Danach wurden die Gruppen und die einzelnen Teilnehmer durchnummeriert. Gruppe eins, zwanzig Mann stark, hatte die Nummer 0101 bis 0120. Ein einfaches System, selbst für den größten Döspaddel zu verstehen und zu behalten. So hatte jeder eine Nummer und konnte direkt angesprochen und geführt werden, am Ende hatten wir zehn Gruppen mit je zwanzig Mann zusammen. Das war schon beeindruckend, denn wenn zweihundert Motorräder durch Bremen knatterten und sternförmig auf den Bahnhofsvorplatz donnerten, konnte einem schon Angst und bange werden.

      Gut, dass ich auf eine große Anzahl von Mitgliedern der Gangs zugreifen konnte, denn ich benötigte ja noch ungefähr vierzig weitere Personen für besondere Aufgaben, das so genannten Spezialteam.

      Welches zum Sperren und Blockieren von Straßen, Polizeizufahrten, Einfahrten und für die Überlastung der Telefonleitungen der Polizeireviere zuständig war. Der erste Abschnitt enthielt Vorsichtsmaßnahmen und Tätigkeiten bei der An- und Abfahrt zum Ziel. Wir mussten alle Polizeistationen im Umkreis von zehn Kilometern um den Bahnhof auflisten und besonders präparieren, das heißt, es wurden in den Ein- und Ausfahrten von jeweils zwei unserer Leute kleine Metalldreiecke, so genannte Reifenschlitzer, verstreut.

      Das ging schnell und die beiden konnten danach gleich ihre zweite Aufgabe ausführen, an bestimmten großen Kreuzungen ebenfalls unsere so wirksamen kleinen Freunde zu verstreuen. Dies konnte ganz locker bei der Überquerung von Kreuzungen vom Motorrad aus erfolgen. Beim Rückzug, so sah es mein Plan vor, sollten diese Männer hinter den abziehenden Motorrädern herfahren und den Rest der Reifenschlitzer verteilen. Das war sozusagen die Rückzugs-Sicherung und etwaige Verfolger bekamen platte Reifen. Damit war dieses Spezialteam voll eingespannt, sie mussten schnell und zuverlässig sein und sie mussten Ortskenntnis haben.

      Ich ließ im Hafen einen Schuppen suchen, der zu diesem Zeitpunkt leer war. Er sollte für einen Teil der Gruppe zum Sammelpunkt werden und für den Rückzug eine Ausweichalternative sein, um sich schnell unsichtbar machen zu können. Sprechfunkgeräte, die jeder Gruppe und vor allem den Sondereinheiten zu Verfügung standen, machten es möglich, wenn die Situation es erforderte, blitzartig umzudisponieren.

      Dann suchten wir uns in der Nähe vom Bahnhof ein Haus, das wir als Leitzentrale nutzen konnten, denn hier hatte man den idealen Überblick und war im Zentrum des Funkkreises. Ein Dach oder eine leere Wohnung würden es für diesen Zeitraum schon tun.

      Für diese Leitzentrale wurden vier Mann eingeteilt, die das Kartenmaterial hatten, die Funksprechgeräte betätigten und -ganz wichtig, den Polizeifunk abhörten, das war unser Führungsteam.

      Das größte Problem waren die Brücken, diese mussten wir so schnell wie möglich auf der Rücktour überqueren. Denn wenn die in der Hand der Polizei waren, hatte ein Drittel der Leute nicht die eingeplante Rückzugmöglichkeit. Deshalb legte ich besonderes Augenmerk auf die Zufahrten der Brücken, um diese so schnell wie möglich sperren zu können. Wir mussten hier die Kontrolle haben.

      Gut, der Sternaufmarsch war schnell geplant und auch schnell durchgeführt. Schlimmer und minutiös zu planen war der Rückzug, hier bestand die große Gefahr, Verluste zu erleiden, was ich selbstverständlich durch meinen Plan auf jeden Fall verhindern wollte. Meine Überlegungen galten jetzt den Straßen, die wir befahren wollten. Würden uns vorhandene oder geplante Baustellen behindern? Wo konnten wir uns schnell verstecken oder über welche Wege schnell in die Wälder kommen? Im Nordosten und im Südwesten ging es ins Naturschutzgebiet, beide Strecken waren relativ kurz und sollten unsere Hauptwege werden.

      Der im Westen von Bremen liegende Hafen, in dem auch unser Schuppen stand, war ebenfalls schnell erreichbar. Soweit war alles recht gut organisiert. Schwieriger wurde es mit der östlichen Richtung, sie war länger und wir hatten hier auch noch keine geeignete Möglichkeit zum Untertauchen gefunden. Hier war ich noch auf der Suche nach einem Hinterhof oder einem ähnlichen für unsere Zwecke geeigneten Versteck.

      Wir holten die einzelnen Gruppen zu uns, wiesen sie in ihre Aufgaben ein, verteilten die Funkgeräte, gaben die Waffen aus und überprüften alles immer und immer wieder. Dann wurden Schießstunden abgehalten, um sie mit den Waffen vertraut zu machen.

      Nach den ersten Ergebnissen sagte ich zu Big Boss:

      „Lothar! Lass das mit den Waffen sein. Die schießen sich noch alle selbst tot oder bringen Unbeteiligte in Gefahr. Gebe denen ihre Messer, Ketten und Knüppel mit, damit können sie schon genug Schaden anrichten und Angst einflößend sieht das auch aus.“

      Der erste Unfall mit den Waffen ließ auch nicht lange auf sich warten. Ein Gruppenmitglied schoss sich bei der Übung so schlimm in den Fuß, dass der kleine Zeh amputiert werden musste. Dieser Vorfall war der entscheidende Auslöser für den Meinungswechsel von Big Boss.

      Die Zeit rückte immer näher und wir überprüften ein letztes Mal den gesamten Ablauf, die Aufgaben der Gruppen und die des Sonderteams. Alles war bereit!

      Zufrieden mit meiner Arbeit übergab ich, zwei Tage bevor der Aufmarsch stattfinden sollte, alles weitere an den Big Boss. Horst und ich machten uns anschließend auf den Weg nach Hamburg, wo wir uns mit Wolfgang trafen und unsere Arbeit, die wir in Bremen geleistet hatten, noch einmal durchsprachen. Wir übernahmen Ware für England und freuten uns schon auf Südamerika, dem Ziel unserer Reise.

      Endlich wieder auf einem Schiff, fühlten wir uns schon wieder wohler. Wir setzten uns am Abend noch auf ein Bier zusammen und gingen dabei noch einmal alles durch, was Bremen betraf, wir fanden keine Lücke und waren beruhigt. Am nächsten Abend liefen wir in Richtung London aus. Am Tag X befanden wir uns im Englischen Kanal kurz vor London, als wir die Nachrichten hörten:

      Radio Bremen, Mittagsstunde:

      „Meine Damen und Herren, wie wir soeben erfahren haben, ist eine Motorrad-Gang auf den Vorplatz des Bremer Hauptbahnhofes gefahren und hat dort fürchterlich randaliert, Schaufenster eingeworfen, Passagiere belästigt, Autos demoliert.

      Die Anzahl der Beteiligten wird mit weit über zweihundert Mann angegeben. Die Polizei ist zurzeit