Robin Mayerle

Schatten der Zitadelle


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fest um sich, um ihn loszuwerden, dass Lurd nach hinten kippte und halb über den Rand der Sitzbank hing, sein Kopf gefährlich nahe an den eisernen Speichen des Rades.

      „Ahhh, zieh mich wieder hoch!“, schrie er nervös.

      Nachdem sie ihn am Kragen gepackt hatte, zog Elunde den Jungen mit einem Ruck, den die meisten Leute einer Frau von ihrer zierlichen Statur nicht zutrauen würden, zurück auf den Wagen.

      „Mach sowas nie mehr!“, schimpfte sie wütend, aber dennoch so gefasst, dass die weiter vorne fahrenden Mor'grosh es wohl nicht hörten.

      „Entschuldige...“ Sich seines kindischen Verhaltens bewusst, stieg Lurd die Schamesröte ins Gesicht. Den Rest des Tages starrte er gedankenverloren vor sich hin und sagte kein Wort mehr.

      ***

       Am sechsten Tag der Reise erschien am Horizont endlich Hammerfall, die Hauptstadt der Menschen.

       Eigentlich konnte man von der Stadt selbst noch gar nichts sehen, denn sie war auf einem hohen Berg erbaut, der einsam aus der Ebene hervorragte.

      Broxx war schon einige Male hier vorbeigekommen, aber noch nie hatte er Hammerfall selbst besucht.

      Im Moment interessierte er sich allerdings nicht im geringsten dafür, wie es dort oben auf dem Felsen aussah. Er hatte nur Augen für Margha, die neben ihm auf der Kutsche saß und über irgendwelche Kräutersorten redete. Nickend blickte er sie an, obwohl er nicht wirklich zuhörte. Zu sehr faszinierten ihn ihre feinen Züge.

      „... und deswegen verwendet man bei offenen Wunden immer Königskraut“, schloss sie.

      „Achso. Ja, mein Vater hat das auch immer benutzt, soweit ich mich erinnern kann...“

      Gedankenverloren wandte er den Blick in Richtung seiner Heimat.

      „Warst du schon einmal in Hammerfall?“, fragte die Mor'grosh ihn.

      „Nein. Die Menschen sind tatsächlich die Einzigen, die einen Halbork noch weniger in ihrer Stadt haben wollen als die Orks selbst. Die vergangenen Konflikte zwischen ihnen und den Grünhäuten haben sie vorsichtig gemacht.“

      „Bei mir Zuhause waren die Leute immer freundlich zu mir. Aber ja, du hast Recht, eine gewisse Abneigung schlägt einem immer entgegen. Naja, wir werden sehen, wie man uns empfängt.“

      Immer näher gelangten die Reisenden an den riesigen Felsen heran. Nur ein schmaler Seitenweg, der mit einem starken Tor gesichert war, führte hinauf zu den Gebäuden.

       Merkwürdig... Hier sind nahezu keine Händler unterwegs. Wenn ich recht überlege, ist das schon so, seit wir die Steppe verlassen haben.

      Broxx war beunruhigt.

      Als sie am Tor angelangten, fragte sie der mürrisch dreinblickende Wächter nach dem Grund ihres Kommens. Broxx erklärte ihm ihren Auftrag und zückte das vom Kriegshäuptling unterzeichnete Pergament, woraufhin sich der Wächter entschuldigte.

      „Tur mir Leid. Es geschieht ja nicht alle Tage, dass zwei Halborks und eine Elfe bei uns um Einlass bitten.

      Man muss ja vorsichtig sein in diesen Zeiten. Was sich nicht alles außerhalb der Städte bewegt... Räuber, Plünderer...“

      Er senkte die Stimme.

      „Und man munkelt Schlimmeres... Dunkleres.“

      Den Kopf schüttelnd, fügte er hinzu:

      „Egal. Ich lasse euch zum König bringen.“

      Dann stieß er in sein Horn. Wenige Augenblicke später schwangen die Torflügel auf.

      Gestikulierend, dass er sie weiterführen würde, setzte sich ein Reiter an die Spitze des Zuges vor die Kutschen. Er führte sie die schmale Straße hinauf, während Broxx staunend auf die Landschaft zu seiner rechten herabschaute.

      Es war ein schönes Fleckchen, das die Menschen ihre Heimat nannten. Lauschige Wiesen, dichte Wälder und sanfte Hügel erstreckten sich bis zum Horizont. Unweigerlich musste er schmunzeln.

       Es wäre schon ein schöner Ort, um sich niederzulassen.

      Sehnsüchtig wanderte sein Blick in die Ferne.

       Dennoch... es reicht niemals an meine Heimat heran.

      Schlagartig wurde ihm bewusst, wie sehr ihm sein Zuhause all die Jahre hindurch gefehlt hatte.

      Blind vor Zorn hatte er es verdrängt, doch nun, da er Tetha verloren hatte und durch Margha endlich wieder wahres Glück erfahren durfte, wallte das Heimweh stark in ihm auf.

       Es ist Zeit für einen Neuanfang.

      Als er nach links sah, schwanden die Sehnsucht und die Zufriedenheit aus seinen Gedanken und wichen blankem Entsetzen.

      In die Felswände eingelassen waren riesige Gefängniszellen, dunkel und feucht. Viel zu viele Häftlinge drängten sich darin, Leib an Leib. Die Äußeren an die Gitterstäbe gepresst, stöhnten und schrien sie vor Schmerzen aufgrund des Platzmangels.

      Die Gesichter der Vordersten waren zu Masken erstarrt.

      „Was ist den hier los?“, fragte Broxx den Führer ernst.

      Dieser blickte nur kurz über die Schulter und zuckte die Achseln. Ihn schien es nicht sonderlich zu interessieren.

      „Sie stehen unter Verdacht des Verrates an der Krone. Und deshalb halten wir sie unter Arrest.“

      Der Mor'grosh verkniff sich eine bissige Bemerkung. Mit dieser Ungerechtigkeit konnte er sich nicht abfinden. Darauf würde er beim König zu sprechen kommen, das war sicher.

      Aber erst einmal ließ er sich weiter durch die Stadt führen.

      Im Moment durchfuhren sie ein zweites großes Tor am Ende der Auffahrtsstraße. Zu beiden Seiten des weiterführenden Wegs ragten hohe steinerne Gebäude mit länglichen Fenstern und vergilbten Dächern gen Himmel.

      Nur schmale Gassen trennten die Häuser voneinander und allgemein war alles sehr platzsparend gebaut. Hier und da standen, wo sich genug Raum auftat, Baracken, in denen schäbige Kreaturen zusammengekauert saßen. Müll verwandelte die Straße in einen widerlichen Sumpf und verpestete die Luft.

      Auch hier lebten eindeutig zu viele Menschen auf zu wenig Platz.

       Was hat nur diese Überbevölkerung verursacht? Es scheint mir nicht so, als wäre sie einfach stetig angestiegen, eher als hätte urplötzlich eine Vielzahl an Menschen ein neues Zuhause gesucht. Wie eine... Explosion.“

      Weiter folgten sie der Hauptstraße, vorbei an dem Wald von Gebäuden.

      An ihrem Ende befand sich der Palast. Grundsätzlich bestand er aus Stein, doch die Fassade war reich mit Elfenbein und Gold verziert. Broxx taten die vielen Fanten Leid, die für die Verzierung hatten sterben müssen.

      „Die armen Fanten“, bemerkte Margha.

      Er lachte und hätte ihr in diesem Moment am liebsten einen Kuss auf die Lippen gedrückt.

      „Wie du bei dem Zustand dieser Stadt nur daran denken kannst.“

      Jetzt machte der Reiter halt und die Gruppe brachte die Kutschen zum stehen.

      „Haltet euch bereit. Ich trage dem König euer Anliegen vor. Wenn er einer Audienz zustimmt, lasse ich euch holen.“

      Nachdem er gegangen war, sprang Broxx mit einem Satz vom Wagen.

      „Irgendetwas stimmt hier nicht“, sagte er und verschränkte nachdenklich die Arme.

      „Das sehe ich auch so“, stimmte Elune ihm zu. „So viele Menschen müssen doch von irgendwoher kommen.“

      Sie diskutierten noch eine Weile, als schließlich ein Diener durch den Eingang trat.

      „Der König wünscht, euch zu sehen. Folgt mir bitte.“

      Erneut durchschritt Broxx