Robin Mayerle

Schatten der Zitadelle


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ihnen in die wirkliche Welt beschworen. Bei dem Ritual jedoch ging etwas schief: Der Magier habe den Schutzkreis nicht richtig gezogen und so konnte der Maleficar Besitz von ihm ergreifen und es seinen Brüdern auch ermöglichen, in die reale Welt zu gelangen. Seitdem würden sie umherstreifen, getrieben von der Gier nach Nahrung. Es hieß, sie zehrten sich von den Seelen der Sterblichen, denn diese enthielten die Essenzen der Träume. Manche jedoch, so erzählte man sich, würden sich über die pure Gier nach Nahrung erheben und sich einem höheren Ziel widmen. Genau diese sollten äußerst gefährlich sein, denn angeblich befassten sie sich mit dunkler Magie und schreckten nicht davor zurück, Bündnisse mit noch grauenvolleren Wesen einzugehen.

       Diese Kreatur sah genau so aus, wie in den Legenden beschrieben: Das Gesicht fahl wie eine Leiche, leere, schwarze Augen und große Hörner auf dem Kopf. Der Körper war von einer dunklen Panzerung umgeben, an den wenigen unbedeckten Stellen, war die rote Haut zu erkennen und auf dem Rücken des Wesens befanden sich zwei riesige, ledrige Schwingen.

      Broxx war einen Moment zu lange in Gedanken versunken und so hätte ihn die Kreatur beinahe mit einer magischen Schattenkugel, die es ansatzlos aus dem Handgelenk schleuderte, erwischt. Er konnte gerade noch ausweichen, da setzte sie bereits nach und traf ihn mit voller Wucht der Klaue in die Seite. Mit schmerzverzerrtem Gesicht schnappte er nach Luft.

       Den nächsten Schlag konnte er parieren und er versuchte, selbst einen Treffer zu landen. Aber der Maleficar fing diesen ab und hielt Broxx’ Arm. Er versuchte sich mit der linken Hand zu befreien, aber der Dämon krallte sich auch im dort fest.

       Der Griff war nur schwer zu lockern und ehe sich der Halbork wehren konnte, hatte ihm der Maleficar schon mehrmals das Knie in den Bauch gerammt. Einer seiner Begleiter, die zuvor die Wachen vom Eindringen abgehalten hatten, schaffte es, die Kreatur abzulenken, indem er versuche, ihr das Schwert in den Rücken zu rammen. Er bezahlte mit dem Leben, denn der Maleficar hielt ihn fest und saugte ihm genüsslich die Seele aus. Panisch versuchten die anderen Gefangenen, sich außer Gefahr zu bringen, während sich der verwandelte Mor'grosh vor Schmerzen am Boden krümmte.

       Er war in einer misslichen Lage, denn der Dämon deutlich überlegene Fähigkeiten, prügelte den Halbork, der hilflos versuchte, seinen Körper zu schützen, durch den ganzen Raum und auch seine dunkle Magie mit den Schattenkugeln verrichteten ihr Werk.

       In einer kurzen Schlagpause, in der der Maleficar ihn höhnisch auslachte, richtete sich Broxx auf und versuchte nachzudenken.

       Er ist mir körperlich weit voraus und außerdem hat er magische Fähigkeiten. Wer weiß, zu was er noch alles imstande ist. Ob man wohl große Schmerzen erleidet, wenn einem die Seele aus dem Körper gezogen wird? Und was passiert danach?

      Und da kam ihm die Idee:

       Moment mal... Er saugt seinen Opfern die Seele aus, wenn er sie besiegt hat. Aber ich bin ja kein gewöhnlicher Sterblicher. In meinem Inneren wohnt die Seele einer Bestie. Ja, das könnte klappen!

      Mit einem mächtigen Hieb schlug der Maleficar Broxx wieder zu Boden. Dieser versuchte aufzustehen, aber seine Kraftreserven waren aufgebraucht und er brach zusammen.

       Da er nun hilflos am Boden lag, beugte sich der Dämon triumphierend über ihn und flüsterte:

       „Ich sagte doch, es wird dein Ende sein.“

       Genießerisch begann er, seinem Opfer die Seele auszusaugen. „Köstlich! Argh.. Was... Nein!“

       Plötzlich fasste er sich an die Kehle und gab ein gurgelndes Geräusch von sich. Er sank auf die Knie und kämpfte scheinbar gegen einen unsichtbaren Feind in seinem Inneren an.

       Wie aus dem Nichts sprang der auf Normalgröße zurückgeschrumpfte Broxx auf einmal auf. Er schnappte sich das Schwert einer toten Wache vom Boden und schlug dem Maleficar mit diesem den Kopf ab.

       Einige Augenblicke vergingen und die Leiche des Dämons verschwand unter einem kurzen Blitz aus Dunkelheit, der aus dem Nichts zu kommen schien.

      Nachdem der Maleficar besiegt war, suchte die Gruppe einen Ausgang. Broxx fand am Thron einen Hebel, den er betätigte. Ein lautes Geräusch erklang und bebend senkte sich in der Mitte des Raumes ein kreisförmiges Stück des Bodens nach unten. Er inspizierte die neu entstandene Vertiefung.

       Eine Treppe, die auf eine runde Plattform an der Unterseite der Zitadelle führte, hatte sich gebildet. Er stieg sie hinab und lugte über den Rand der Plattform. Viele Meter unter ihm befand sich das zerstörte Dorf, denn die Festung schwebte noch immer in der Luft. Die Konstruktion untersuchend, auf der er stand, bewegte er sich nun in deren Mitte und dort fiel ihm ein grüner Kreis auf dem Boden auf. Als er den Blick wieder hob, befand er sich ein Stück von dem zerstörten Dorf entfernt und konnte die Wiesen und Felder sehen, ohne den Kopf senken zu müssen. Er war wieder auf dem Boden.

       Wie ist das möglich? Ah, ich glaube, ich habe es verstanden! Diese Vorrichtung bringt Personen und Gegenstände zum jeweils anderen Gerät.

      Um seine Vermutung zu überprüfen, bewegte er sich aus dem Kreis hinaus und wieder hinein. Nun stand er wieder oben auf der Plattform und konnte das Dorf von oben sehen.

      Dieser Mechanismus ist genial. Sie können einfach nach oben und unten gelangen, doch wenn jemand angeifen will, hat er vom Boden aus keine Möglichkeit, denn sicherlich ist das ganze System ganz einfach abzuschalten. Und Gefangene können auch nicht einfach fliehen...

      Er rief die anderen herbei, die währenddessen ebenfalls auf der Suche nach einem Ausgang gewesen waren. Einige hatten auch die Festung noch einmal nach Überlebenden durchkämmt. Vereinzelte Gefangene konnten sie noch retten, aber als Broxx sie nach Theta fragte, beteuerten sie, dass sie trotz gründlicher Suche nichts gefunden hatten.

       Oh Theta, was haben sie nur mit dir gemacht? Was sollte ich nur tun, wenn du nicht mehr da bist? Ich muss dich finden...

      Ein Gefühl von Trauer und Angst stieg in ihm hoch. Fast sein ganzes Leben war er mit Theta zusammen gewesen. Als er sie in seiner Kindheit im Wald zum ersten Mal getroffen hatte, war sie noch ein kleines Bärenjunges gewesen. Beide spürten von Anfang an eine tiefe Verbindung und Zuneigung füreinander.

       Theta hatte Broxx die Zeit ohne seine Eltern sehr erleichtert. Wenn er traurig oder einsam gewesen war, hatte sie ihn getröstet. Er hatte immer jemanden zum Spielen gehabt und gemeinsam hatten sie es geschafft, zu hervorragenden Kämpfern heranzuwachsen und sich stets ihr Ziel vor Augen zu halten: Die Wahrheit über Broxx’ Vater herauszufinden. Doch nun war auch seine einzige Gefährtin verschwunden und Broxx wusste nicht, was er tun sollte. Dennoch, versuchte er sich wieder zu fangen, es gab vorerst wichtigere Dinge zu tun, als seine Zeit mit einer verzweifelten dritten Durchsuchung der Zitadelle zu verschwenden.

       Broxx rief alle Flüchtlinge zusammen und schlug vor, ein Nachtlager am Hang eines kleineren Hügels, welchen er von oben hatte ausmachen können, zu errichten und anschließend wollte man bereden, wie man weiterhin verfahren sollte.

       Es gab keine Proteste gegen den Vorschlag und so wurden seine Anweisungen bereitwillig befolgt. Er veranlasste, Feuerholz zu sammeln, notdürftige Zelte aus Ästen und großen Blättern zu errichten und Kräuter zu suchen, um die Verletzten vorläufig zu versorgen. Außerdem schickte er einige Leute noch einmal zurück in die Festung, um den Rest des zähen Breies, den die Gefangenen bekommen hatten, herbeizubringen.

       Immerhin ist es etwas zu Essen.

      Er selbst machte sich auf die Suche nach seinen beiden Äxten.

      Sich bewusst, dass er eine leitende Rolle bei den Flüchtlingen eingenommen hatte, rief er abends am Lagerfeuer dann noch einmal alle kampffähigen Männer zusammen. Die Waffen hingen wieder an seinem Gürtel und Kisten von Breipulver stapelten sich um die Leute.

       „Ich werde euch bald verlassen. Ich weiß nicht, was für Wesen das waren und was sie im Schilde führten, aber ich denke, von ihnen geht keine Gefahr mehr aus... und ich muss einer Freundin helfen. Meine Bärin, Theta, wurde auch von ihnen gefangen genommen und ich muss sie wiederfinden!“

       Er hatte kein gutes Gefühl dabei, die Leute im Stich zu lassen, aber er musste seiner geliebten Theta