ich schätze so zwischen 23 und 24 Uhr, eingetreten.“
„Kannst du sagen, mit welchem Gegenstand er erschlagen worden ist?“, hakte Anaïk nach.
„Du brauchst dich nur umzusehen, meine Liebe, das Mordwerkzeug hängt noch in der Luft.“
„Bitte?!“ Anaïk war irritiert.
„Siehst du den Brocken nicht?“, fragte Yannick und zeigte auf einen großen Stein, der mit einem Gurt auf Kopfhöhe an einem dicken Ast befestigt war. Der Ast hatte einen Durchmesser von dreißig Zentimetern und war quer über den Kiesweg gewachsen. Er konnte die Last von diesem Felsbrocken lässig tragen. An dem Gurt hatte der Mörder ein Seil befestigt, mit dem er den Gesteinsbrocken wohl aus der Senkrechten gezogen und ihn losgelassen hatte, als Paul Malencourt an der richtigen Stelle stand. Der Stein musste den Mann mit großer Wucht getroffen haben. Eine Blutspur am Felsbrocken zeigte die Aufschlagstelle. Anaïk war sprachlos. Wer kam auf eine solche Idee? Zweifelsohne war die Methode originell. Eine solche Mordwaffe hatte es in Quimper und Umgebung noch nicht gegeben. Der Mörder hatte sich seine Hände jedenfalls nicht mit Blut beschmutzt, die Arbeit hatte der große Stein für ihn erledigt. Das würde bestimmt keine einfache Ermittlung werden, dachte Anaïk und betrachtete den Brocken genauer. Dann wandte sie sich wieder der Leiche zu.
„Wie heißt der Tote, Dustin?“, fragte sie ihren Kollegen noch einmal.
„Paul Malencourt, es handelt sich um den Mann, der vor einigen Tagen in den Schlagzeilen gewesen ist, weil er mit seiner Segelyacht beim Sturm in Seenot geraten war. Er musste von den Männern der SNSM gerettet werden. Bei der Aktion ist ein Retter ums Leben gekommen. France 3 hat über seine Rettung berichtet.“ Dustin sah Anaïk an.
„Ja, ich erinnere mich, ich habe davon gelesen. Es hieß, dass der Mann nicht einmal ein Dankeschön für seine Rettung übrighatte“, antwortete Anaïk und sah nochmals auf den Toten vor sich.
„Genau um diesen Mann handelt es sich. Er trägt die Verantwortung für den Tod von René Audic, so hieß der Verunglückte. Audic hinterlässt eine Frau und ein kleines Kind.“
„Das könnte ein Motiv für den Mord sein“, spekulierte Anaïk.
„Vielleicht. Neben ihm liegt eine Rose.“ Dustin zeigte auf eine weiße Rose, die neben der Leiche auf dem Boden lag.
„Eine weiße Rose! Weiße Rosen werden doch häufig bei Beerdigungen ins Grab geworfen.“ Anaïk betrachtete die Rose und fuhr laut in ihren Überlegungen fort.
„Mir scheint, die Rose stammt aus einem Garten, es ist keine gekaufte Rose, so duftet und sieht nur eine Gartenrose aus.“
„Bonjour Anaïk, Bonjour Dustin“, unterbrach Monique ihre Gedanken.
„Ich war gerade auf dem Weg nach Quimper und habe erfahren, dass ihr in Névez bei einem Leichenfund seid. Da bin ich sofort zurückgefahren“, erklärte Monique.
„Ich wollte dich nicht so früh stören. Ich konnte nicht einmal meinen Kaffee trinken“, meinte Anaïk und lächelte ihre Kollegin an.
„Ist lieb von dir, Anaïk, beim nächsten Fall können die Kollegen mich dann aus dem Bett werfen“, meinte Monique und lächelte ebenfalls.
„Sieh mal, was wir neben der Leiche gefunden haben, Monique, eine weiße Rose. Das sieht doch aus, als wollte uns jemand einen Hinweis geben“, sagte Anaïk und sah erneut auf den Leichnam und die Rose.
„Die kommt aus einem Garten“, meinte Monique und zog sich Handschuhe über.
„Das habe ich gerade auch zu Dustin gesagt“, antwortete Anaïk.
„Dann müssen wir ja nur die Gärten durchforsten und den mit den weißen Rosen finden“, meinte Monique scherzhaft.
„Und wenn wir diesen Garten finden, sagt das noch nichts aus. Der Mörder kann die Rose aus irgendeinem Garten genommen haben, sie muss ja nicht zwangsläufig aus seinem eigenen sein“, räsonierte Anaïk und beugte sich über den Toten.
„Ich sehe mir mal die Umgebung an, vielleicht finde ich weitere Spuren“, meinte Dustin und ließ die beiden Kommissarinnen bei der Leiche zurück.
„Erkennst du den Mann?“, fragte Anaïk ihre Kollegin.
„Ja, das ist der Segler, der vor einigen Tagen gerettet worden ist. Ich habe den Bericht im Fernsehen gesehen. Es hieß, er war ziemlich undankbar. Ein Retter ist doch dabei ums Leben gekommen.“ Monique sah Anaïk an und wartete auf eine Erwiderung.
„Denkst du, dass das ein Racheakt gewesen sein könnte?“
„Du denkst an die Familie des verstorbenen Retters?“
„Klar, warum nicht. Wir müssen mit der Familie sprechen.“ Anaïk überlegte und fuhr dann fort.
„Ich denke, wir müssen sehr behutsam vorgehen. Die Familie ist bestimmt in tiefer Trauer, und dann kommen wir und verdächtigen sie des Mordes. Aber es führt kein Weg daran vorbei. Das Gespräch müssen wir führen. Lass uns alle Fakten zusammentragen und die gesamte Familie ausfindig machen. Die Tat ist von einem Mann verübt worden“, sagte Anaïk überzeugt.
„Warum von einem Mann?“, fragte Monique.
„Wegen der Tatwaffe“, antwortete Anaïk und zeigte auf den Felsbrocken über ihnen.
„Oh, den habe ich noch gar nicht gesehen. Ich bin so auf die Leiche fixiert gewesen. Ich gebe dir Recht, eine Frau kann diesen Brocken nicht hochheben.“
„Es geht nicht nur ums Hochheben, der Felsbrocken muss hierher in den Garten getragen worden sein. Ich glaube nicht, dass ihn jemand mit einem Schubkarren hergebracht hat. Bei dem Gewicht wäre eine deutliche Reifenspur im Kies zu sehen, die fehlt aber.“
„Auf eine solche Idee muss man erst einmal kommen. Einen Felsbrocken mit einem Gurt an einem Ast zu befestigen, ihn mit einem Seil halten und das Seil in dem Moment loslassen, in dem das Opfer an der richtigen Stelle angekommen ist“, meinte Monique.
„Warum ist Monsieur Malencourt bei Nacht in den Garten gegangen? Ist er herausgelockt worden? Hat er seinen Mörder gekannt? Hat er Geräusche gehört?“
„Wer hat den Toten gefunden?“
„Das war der Gärtner. Wir müssen uns noch mit dem Mann unterhalten, er steht dort drüben bei seinem Fahrzeug und wartet auf uns“, antwortete Anaïk und machte sich auf den Weg zu dem Mann.
„Der Mörder ist immer der Gärtner“, trällerte Monique.
Auf dem Kleinlaster des Gärtners stand in großen Buchstaben der Name des Gartenbaubetriebs, André Guivarch. Die beiden Kommissarinnen stellten sich vor.
„Sie sind Monsieur…?“
„André Guivarch, mir gehört der Betrieb, und ich bin mein einziger Angestellter“, antwortete der Angesprochene.
„Monsieur Guivarch, Sie haben Monsieur Paul Malencourt gefunden?“
„Ja, genau! Ich sollte heute Morgen den Rasen mähen, die Hecken zurückschneiden und die verblühten Rosen entfernen. Als ich hier eintraf, bin ich sofort hinters Haus gegangen, um mit dem Schneiden der Rosen zu beginnen. Es war noch früh, und ich wollte Monsieur Malencourt nicht mit der lauten Heckenschere wecken, er schlief gerne etwas länger und wäre bestimmt böse geworden.“
„Wie gut kannten Sie Monsieur Malencourt?“
„Nun, so gut kannte ich ihn nicht. Ich arbeite seit drei Jahren für ihn. Als ich meinen Betrieb aufgebaut habe, habe ich allen Bewohnern in Névez meine Dienste angeboten, auch Monsieur Malencourt. Der war mit seinem alten Gärtner, der den Garten einige Jahre lang unterhalten hat, nicht mehr zufrieden, und so habe ich spontan den Auftrag erhalten. Er hat die Rechnungen immer bezahlt, auch wenn ich oft etwas länger auf die Überweisung warten musste. Sehr großzügig war der Mann nicht, redselig kann ich ihn auch nicht nennen. Mehr als Bonjour und einige Höflichkeitsfloskeln haben wir selten ausgetauscht.“
„Haben