Tekla Reimers

Liebesleben und Geschlechterkampf


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zu Gesicht bekommen. Keiner wusste wer sie war.

      Als die wirkliche Alix vierzehn Jahre alt wurde, fand schließlich ein erträumter ‘Old Shatterhand’ den Weg zu ihrem wilden Garten Eden. Er war hingerissen und irgendwie musste es zu einem alles auflösenden Kuss kommen - aber dann wusste sie nicht weiter und eigentlich auch nichts Rechtes mit ihm anzufangen. So endete ihre Tagträumerei.

      Damit ihr Mädchentraum wahr werden könnte, beschloss Alix reiten zu lernen. Bei einem benachbarten Bauern gab es Pferde und ihr Vater brachte seiner 3.Tochter das Nötigste bei an Kenntnissen und Fähigkeiten, welche noch aus seiner Militärzeit in der Kavallerie stammten. Bald durfte Alix als Pferdepfleger und Bereiter beim Nachbarn mithelfen, wann immer Schule und Hausarbeit ihr Zeit ließen. Sie liebte diese starken, empfindsamen Tiere und durchstreifte in den folgenden Jahren mit ihnen die ländliche Umgebung ihrer Heimatstadt.

      Nach dem Abitur wollten Alix’ Klassenkameraden etwas Konkretes werden: Arzt, Lehrer, Rechtsanwalt oder wenigstens Großverdiener. Sie aber glaubte, nun stünde die Welt ihr offen. Die Höhen und Tiefen der menschlichen Existenz wollte sie erleben: Algeriens Sonne und Norwegens Eis. Dies gerade, weil sich ihr geistiger Horizont von ganz links nach ganz rechts erstreckte, über eine christlich-buddhistische Mitte, in Anlehnung an Hermann Hesse. Denn die Bücher von Sartre, Camus und Brecht hatten sie genauso beeindruckt wie Romane von Knut Hamsun und Friedrich Nietzsches philosophische Schriften. Darüber hinaus war Alix zu der festen Überzeugung gelangt, dass der Mensch auf dieser Welt sei, um sich nützlich zu machen, damit alle genug zu essen hätten und eine warme Wohnung. Etwas unbestreitbar Nützliches zu tun, ein zukünftiger Broterwerb und die weite Welt in Afrika oder Asien zu erleben, schien ihr durch ein Studium der Agrarwissenschaften erreichbar. Außerdem hatte sie beim Galoppieren über sonnige Felder, ‚auf dem Rücken der Pferde’, ihr höchstes Glück empfunden.

      Alix ergriff somit einen Männerberuf. Als Praktikantin der Landwirtschaft auf einem Versuchsgut der regionalen Universität lernte sie Kühe melken, Schweine mästen, Trecker fahren, mähen und pflügen. Das konnte sie schließlich alles gut machen, nur blieb sie merkwürdig unpassend für solche Arbeiten. Die Bedienungshebel waren zu klobig für ihre kleinen Füße und zu schwergängig für ihr Gewicht. Mit 1,65m war Alix nun ausgewachsen und mittelgroß, wohl muskulös, doch von eher zierlichem Körperbau.

      Oft waren ihre Kraftreserven schon mittags erschöpft und sie schlief auf dem erstbesten Stuhl im Sitzen ein. Als Treckerfahrerin schaffte sie ebenso viel wie ihre - sämtlich männlichen - Kollegen, aber mit der Forke, der Schaufel oder Sackkarre höchstens die Hälfte. Wenn etwas mit der Hand zu laden war - Futter, Mist, Kunstdünger oder was eben anlag - wurde sie häufig gebeten, lieber für Unterhaltung und Bier zu sorgen. Auf dem großen Gutshof, wo Alix ihr praktisches Lehrjahr absolvierte, mochten solche Mängel an Körperkraft noch durchgehen, aber ein normal rechnender Bauer hätte sie sicher nicht eingestellt.

      Manchmal fragte Alix sich, ob sie einfach zu klein geraten sei für die Landarbeit oder ob es einer Frau prinzipiell unmöglich wäre in einem Männerberuf mitzuhalten. Sind weibliche und männliche Körper gleich groß und stark, gleich begabt für den Lebenskampf und körperliche Arbeit?

      3. Die großen Frauen und das starke Geschlecht

       Körperhöhe

      Die Strecke zwischen Scheitel und Sohle ist der am meisten genetisch bestimmte Faktor menschlicher Körpergröße. Zusammengesetzt hauptsächlich aus Rumpfproportion und Beinlänge. Die erwachsene Körperhöhe wird von zahlreichen Genen mit jeweils kleiner Wirkung kontrolliert, die zu verschiedenen Zeiten während des Heranwachsens in Kindheit und Jugend ihren Einfluss entfalten. In all seinen Einzelheiten ist dieser Mechanismus bislang noch nicht geklärt, kann aber vereinfacht in drei Wachstumsphasen dargestellt werden: Eine erste Aktivierung von bestimmten Genen reguliert pränatales Wachstum, eine zweite mit anderem Genlocus steuert das Längenwachstum in der Kindheit, eine dritte genetische Aktivität an einem weiteren Komplex von Erbanlagen den pubertären Wachstumsschub. Jede dieser Entwicklungsphasen verwirklicht einen Teil des erblichen Programms für die erwachsene Körperhöhe eines Menschen. Alle sind hormonell vermittelt und empfindlich gegen Umwelteinflüsse, insbesondere die Ernährung und körperliche Belastungen, wie Schlafmangel, Krankheit und Überarbeitung. Auch seelischer oder sozialer Stress kann die Sekretion des Wachstumshormons beeinträchtigen. Andererseits bringen Fleisch und andere lysinhaltige Nahrungsmittel bei Kindern bis zu 2cm mehr an Körperhöhe hervor. Training und körperliche Übungen haben keinen messbaren Einfluss.

      Insgesamt können umweltbedingte Wachstumshemmungen die realisierte Körperhöhe um circa 10cm gegenüber der genetisch möglichen zurückbleiben lassen, wie eine weltweite Untersuchung, über den Einfluss von Armut und Mangelernährung auf die menschliche Körpergröße ergab. Die ökonomisch besser gestellten jugendlichen Afrikaner, aus der Stadt Kingston auf Jamaika beispielsweise, sind gegen Ende ihres pubertären Wachstumsschubs, mit siebzehn Jahren durchschnittlich 12cm größer als ihre Altersgenossen afrikanischer Abstammung in ländlichen Gegenden.

      Demnach wäre es wohl möglich den sexuellen Unterschied an Körperhöhe verschwinden zu lassen, wenn männliche Kinder und Jugendliche generell in Armut lebten, weibliche dagegen wohl situiert. Wie wir alle wissen, ist das historisch niemals der Fall gewesen - eher war es umgekehrt: In streng patriarchalischen Familien essen zuerst der Vater und die Söhne, danach bekommen die Mutter und die Töchter was übrig bleibt. Das ist im mittelalterlichen Europa meist durch Tischsitten so geregelt gewesen und führte dazu, dass in weniger guten Zeiten die Frauen kaum je ein ordentliches Stück Fleisch abkriegten.

      Wie viel Mangelernährung und ein schweres Leben ausmachen kann, belegt auch das Phänomen einer allgemeinen Vergrößerung der Nordeuropäer seit dem Mittelalter: Diese ‘säkulare Akzeleration’ kann ebenfalls auf verbesserte Lebensumstände, vollwertige Ernährung und behütetes Wachstum in Kindheit und Jugend zurückgeführt werden. Zumal nicht nur europäische Bevölkerung von dieser Tendenz zur Vergrößerung erfasst wurde, sondern sogar Buschleute der Kalahari-Wüste Südafrikas und australische Ureinwohner, die von ihrer traditionellen Lebensweise als Jäger und Sammler zu mehr Sesshaftigkeit übergegangen sind. Auch bei ihnen bewirkte eine gleichmäßigere und bessere Versorgung mit Nahrung und Wasser ein vermehrtes Längenwachstum. Solche historischen Variationen der Körperhöhe – ohne dramatische Veränderungen des Genmaterials - betrugen im Durchschnitt bis zu 10cm. Sie werden interpretiert, als mehr oder weniger weit gehende Ausnutzung der genetischen Veranlagungen einer Bevölkerung.

      Es ist demnach wahrscheinlich, dass Anfang der Siebzigerjahre weltweit von Eveleth und Tanner gemessene Werte für Frauen - wegen negativer Umwelteinflüsse - niedriger verwirklicht waren, als es von ihrem genetischen Programm her möglich wäre. Dafür spricht auch eine deutliche Vergrößerung der Europäerinnen in den letzten zwanzig Jahren. Die Maße der Konfektionsgrößen für Damenoberbekleidung von 1982 erwiesen sich bereits 1992 als nicht mehr passend - die Frauen waren höher gewachsen, erreichten nicht selten 1,80m, und waren um die Hüften breiter geworden. Der sexuelle Unterschied an durchschnittlicher Körperhöhe kann sich also verringern, wenn die Frauen den Männern sozial gleich gestellt werden. Um wie viel, lässt sich heute noch nicht abschätzen.

      Gänzlich verschwinden wird er allerdings nicht, weil es sich dabei um ein sekundäres Geschlechtsmerkmal unserer Spezies handelt. Diese sind erbliche Eigenschaften, die sich erst beim Erwachsenen geschlechtsverschieden ausbilden z.B. Busen und Bart. Männliche Körper reifen langsamer als weibliche; ihr jugendlicher Wachstumsschub setzt später ein und dauert um zwei bis drei Jahre länger, als der von Mädels gleicher Abstammung. Dieses unterschiedliche Wachstumsmuster der Geschlechter während der Pubertät zeigen alle geografischen Varietäten des Jetzt-Menschen: Asiaten und Afrikaner ebenso wie Europäer und Aborigines. Es stammt also aus einer früheren Epoche der Humanevolution, vor Ausbreitung des Homo sapiens über die fünf Kontinente. Sehr wahrscheinlich ist es ein Erbstück aus unserer äffischen Naturgeschichte: Dort finden sich sehr ähnliche Differenzen im körperlichen Wachstum der Geschlechter, welches ebenso hormonell vermittelt ist und auch verschieden lange dauert. Diese biologische Zweigestaltigkeit (=Sexualdimorphismus) unserer Spezies ist eine natürliche