Tekla Reimers

Liebesleben und Geschlechterkampf


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am Hofe des Nachbarkönigs einschleicht. Trotz ausgeklügelter Verhaltenstests mit der Wahl zwischen Blumen und Kanonen, gesalzenem Fleisch und Kuchen, Mitleid und Gerechtigkeit, gelingt es diesem König nicht, sie als weiblich zu entlarven. Nichts hilft - außer einem gemeinsamen Bad!

      - Die Exil-Russin Isabelle Eberhardt durchstreifte zu Pferd die Sahara. Als Mann verkleidet reiste sie mit den Anfang des 20.Jahrhunderts noch üblichen Handelskarawanen, in der Region von Algerien, Tunesien und Marokko. Sie wählte die Identität eines islamischen Kaufmanns-Sohnes auf Bildungsreise. Oft ritt sie wochenlang alleine, verkehrte in Karawansereien und abgelegenen Araber-Siedlungen. Sie schrieb Novellen und Berichte für französische Zeitungen, worin so ungeheure Strapazen und so hoher persönlicher Mut zum Ausdruck kommen, wie kaum jemand damals einer bürgerlichen Frau zugetraut hätte. Isabelle heiratete spät, einen arabischen Offizier, ohne Vermögen wie sie selbst. Kinder bekam sie nicht, soweit bekannt ist.

       Der Dokumentar-Film ‘Tour-Kontur’ von Kellner und Niemeyer (1983) präsentiert eine US-amerikanische Boxerin, die es mit männlichen Gegnern aufnimmt. Sie bemerkte ihre ungewöhnlichen Körperkräfte erst, als sie, auf den Straßen New Yorks, von zwei Männern sexuell belästigt wurde: Sie schlug zu und blieb auf der ganzen Linie siegreich. Einer der beiden verprügelten Männer brachte sie später auf die Idee, eine Box-Ausbildung zu beginnen. Hoch gewachsen, mit nunmehr durchtrainierter Muskulatur ist ihre körperliche Stärke augenfällig. Allerdings war ihre berufliche Karriere als Fotomodell infolgedessen bald beendet.

      4. Erzählung II: Alix‘ Schwestern suchen den Mann fürs Leben

      Liebe herrschte in den Köpfen der drei Schwestern als eine Form von Platons Ideal: Weib und Mann als zwei Hälften eines Ganzen. Vielleicht sogar individuell füreinander geschaffen? Zusammen erst ein vollständiger Mensch. Sie stellten sich das ungefähr so vor, wie Friedrich Schiller:„...und plötzlich fühlt ich klar es in mir werden, die ist es oder keine sonst auf Erden!“

      Demnach konnten sie ganz unbesorgt warten auf dieses Zusammen-gefügt-werden mit dem extra angefertigten Vorherbestimmten. Bis es so weit war, verliebten sie sich häufig, heftig und am besten auf Blickentfernung. Jahrelang umspannen sie interessante Schulkameraden, Tennispartner oder schöne Bauarbeiter mit erotischen Fantasien, sehnten sie herbei und schlugen sie beim geringsten realen Annäherungsversuch mit bösen Scherzen in die Flucht.

      Dies widersprüchliche Verhalten hatte seine Gründe: In ihrer kleinen Stadt konnte nichts passieren, ohne dass jeder davon erfuhr: Spazieren gehen mit einem Verehrer, gar herum knutschen - nichts entging der strengen Aufmerksamkeit ihrer Eltern. Was sie nicht selber sahen, wurde ihnen sicher zugetragen. Sex gab es erst nach der Heirat und auch darüber wurde nicht gesprochen.

      Als doch einmal ein verliebter Klassenkamerad die älteste Schwester von der Schule nach hause begleitete, drohte ihr Vater seinen Schäferhund loszulassen: „So was kommt mir nicht auf den Hof“. Das sollte allen anderen eine Lehre sein, zogen doch bereits die Leute über ihn her: „Lieber einen Sack Flöhe hüten, als drei hübsche Töchter!“

      Was blieb den Mädels übrig als warten? - Auf den Schulabschluss, nicht mehr die Füße unter Vaters Tisch stellen zu müssen; wegziehen können aus der Kleinstadt, studieren, eine eigene Bude haben, endlich 21 werden und mündige freie Bürger. Das schien ein unabsehbar langer Weg für Eine, die siebzehn ist und heiß.

      Die Mittlere der Schwestern, Clariss - wie sie sich nun nannte, weil es französisch klang - setzte sich prinzipiell über alle Regeln hinweg, auch die sexuellen Tabus ihres Vaters. Sie trug kilometerlange Fingernägel in schreiendem Rot und klimperte mit den grün getuschten Wimpern ihrer Lidstrich gesäumten Augen, ließ weiße Spitzenunterröcke blitzen und schwere Silberarmbänder klirren. Das nachtschwarze Haar zu einem Berg von Löckchen und Fransen kunstvoll aufgetürmt - da der viel schickere Bubikopf ihr strikt verboten war - wirkte sie im Kleinstadtmief wie ein schwarzer Stern. Exotisch, extravagant, das dunkle Mädchen: Stundenlang schwamm sie in kochend heißem Badewasser herum, lief splitternackt durchs Haus, schleppte Katzen und Hunde zum Kuscheln ins Bett, später auch ihre Schwestern,.

      Der Vater wollte sein sauer verdientes Geld nicht für Klamotten rauswerfen. Deshalb befasste sich Clariss mit Mode und lernte, unterstützt von der Mutter, nähen. Bald machte sie ihre Kleider so eng wie sie wollte, ihre Ausschnitte tief, ihre Röcke aufreizend kurz.

      Und es funktionierte: Ein fertiger Ingenieur mit Auto und gehobenem Einkommen, stellte sich auf einem Familienfest ihren Eltern als ernsthafter Bewerber vor. Seine Frau würde einmal Köchin und Putzfrau haben. Nicht dass er Clariss sonderlich gefallen hätte, aber er durfte sie, mit elterlicher Erlaubnis, am Wochenende ausführen, dafür nahm sie wenig körperliche Attraktivität und seine bornierte Langeweile in kauf.

      Während ihrer letzten Schulferien reiste Clarissa ans Meer. Am Strand jobbte ein Holländer als Aufsicht: Adrian van Leuwen, dem sämtliche Frauenaugen folgten, wenn er Strandkörbe aufstellte, Signalflaggen hisste, das Rettungsboot zu Wasser ließ. Sein Körper glich einer klassischen Statue, sein Gesicht einem Erzengel, trotz oder auch gerade wegen der wilden Locken drum herum. Clariss war hingerissen von der hoch gewachsenen Gestalt. Seine wunderbar langen Beine, die schmalen Hüften und starken Schultern fand sie einfach unwiderstehlich.

      Im Abendrot trug er sie den Strand entlang zu seiner Hütte zwischen den Dünen. Beim Schein der Petroleumlampe erzählte er von seinem Traum: Er wollte ein Segelschiff bauen, groß genug zum Wohnen und seetüchtig, um die Weltmeere zu befahren. Wo es ihm gefiele, da wollte er bleiben - vielleicht in Indien.

      „Oder auf den glückseligen Inseln hinter dem Winde“, schlug Clariss vor. Adrian war der erste Mann, in den sie sich so Hals über Kopf verliebt hatte.

      Morgens saß sie allein am Strand, blickte träumerisch in die Weite der grenzenlosen See und sprach mit sich selbst: „Ach, Adrian! Warum muss ich mich in dich verlieben? Ich will nicht, dass mein Freud’ und Leid von einem Unbekannten abhängen.“ Was weiß ich denn von ihm, dachte sie weiter, ich kann seine Art zu leben nicht begreifen. Ich kenne diesen Menschen doch kaum. Soll ich denn nur froh sein können, wenn er da ist? Und das ist er ja eigentlich eher selten. Ständig hat er was Besseres vor! Er liebt mich nicht, befand sie schließlich. Er hat eine schöne Zeit mit mir, so wie mit vielen anderen Frauen vorher - und sicher auch nachher wieder, wenn ich nach hause fahre. Ich bin allein, auch wenn er bei mir ist.

      „Ach“, seufzte sie nach einer Weile tiefen Sinnens, „ich will gar nichts von ihm. Nur ihn leben sehen, ihn fühlen jetzt: sein Gesicht, den Blick seiner unergründlichen Augen, seinen Mund, wie er lacht und atmet, die Bewegungen seines Körpers - seinen Schlaf sogar“. Fast die ganze Nacht hatte Clarissa ohne Decke gelegen, weil sie sich nicht traute die von ihm weg zu ziehen. „Ich wage nicht, ihm meine Liebe in den Weg zu stellen“, überlegte sie weiter, „diese furchtbare Angst, er will mich nicht wirklich!“

      Tatsächlich war Clariss von nun an jeden Abend bei ihm, ein paar mal sogar über Nacht. Todmüde durch eine wilde Tanzerei, waren sie irgendwann einfach zusammengeblieben. Zwischen nacht und morgen hatte Adrian versucht hineinzukommen in ihren Schoß. Doch bei einer Jungfrau landet man nicht so leicht: Sein Erguss blieb außen vor.

      Am Morgen danach, als Clariss noch im Halbschlaf dämmerte, war Adrian schon putzmunter und sexuell stark drauf. Trotzdem konnte er nicht gänzlich eindringen, auch beim zweiten Anlauf nicht.

      Später, als sie aufstand, bemerkte Clariss einen Schwall von Blut zwischen ihren Beinen. Schnell kniff sie die Schenkel zusammen, besorgt um Bettzeug und Teppich. Sie dachte, das sei noch eine Nachblutung ihrer Menstruation, die tags zuvor beendet schien. Erst ein paar Stunden danach fiel ihr auf, dass dies wohl das mythische Jungfernblut gewesen sein musste. Eigentlich ein recht unspektakuläres Ereignis, dieser wirkliche Riss ihres Hymens. Sie hatte sich den krönenden Abschluss ihrer Jungfräulichkeit oder den Verlust ihrer Ehre - je nachdem wie man es betrachtete - irgendwie viel dramatischer vorgestellt, als eine totale Umwälzung. Wenigstens hätte doch ihr Liebster etwas gemerkt haben müssen!

      Gleich abends ging sie zu ihm. Diesmal stieß Adrian auf keinerlei Hindernisse