Tekla Reimers

Liebesleben und Geschlechterkampf


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geschlechtsspezifisch aus: Männer haben, infolge ihrer relativ höheren Muskelmasse, im Durchschnitt einen anderen Grundumsatz, als Frauen gleicher Abstammung. Ein Messwert hierfür, der sogenannte ‚Reifequotient’, klammert Unterschiede an Körpergröße aus, indem er die gesamte Zellmasse eines Körpers - Muskeln und Nicht-Muskeln - ins Verhältnis setzt zur Körperoberfläche. Europäerinnen erreichen nach diesem Maß mit 16,9kg Gewicht je m2 Oberfläche eine körperliche Reife, sodass ihre Menstruation einsetzt, ein monatlicher Abbau und Abfluss ungenutzter Gebärmutterschleimhaut durch die Scheide. Dieses Menarchegewicht ergibt sich bei guter Ernährung eines weiblichen Körpers zwischen seinem 12. und 15. Lebensjahr. Jedoch können durch Hungerzeiten, Magersucht oder Leistungssport so abnorm niedrige Werte in diesem Verhältnis von Zellmasse je Körperoberfläche entstehen, dass Menstruationen ausbleiben. Wenn bei erwachsenen Frauen der Anteil an Körperfett unter 22 Prozent ihres Körpergewichts sinkt, verschwindet damit auch ihre Fruchtbarkeit.

      Die sexuellen Unterschiede an Muskulatur, Nicht-Muskelmasse und Energiestoffwechsel interpretieren Biologen als natürliche Anpassungen des weiblichen Geschlechts für Schwangerschaft und Stillen, denn bei Frauen wachsen, zusätzlich zu allen anderen Organen des Jetzt-Menschen, noch eine große Gebärmutter und zwei Milchdrüsen sowie Fettpolster als Vorrat für etwaige Milchbildung. Die Natur hat gleichsam vorgesorgt: in Frauen, ohne genügende Nahrungsreserven für eine Schwangerschaft und ausreichende Stillphase, entstehen Kinder gar nicht erst. Was auch den Schluss zulässt, dass diese weiblichen Eigenschaften, an Energiestoffwechsel und Fettspeicherung, aus einer weit zurückliegenden Epoche der Humanevolution stammen; einer Zeit, ohne soziale oder sexuelle Nahrungsteilung, in der jedes Individuum für sich selbst Futter suchen musste - wie es die Affen heute noch tun. Anders formuliert: Hätte es bei unseren äffischen Vorfahren bereits treu sorgende Väter oder Familienernährer gegeben, die stillende Mütter mit zusätzlicher Nahrung versorgten, wäre eine geschlechtsspezifische Ausrichtung des Energiestoffwechsels nicht selektiert worden. Doch für Mütter, die ihren Milchfluss jahrelang mit Selbsterbeutetem aufrecht halten müssen und auch noch Babys tragen, war eine Anpassung erwachsener Frauenkörper an längerfristige Belastbarkeit offenbar wichtiger als momentane Kraftentfaltung ihrer Muskulatur.

      Heutzutage wirkt der biologisch überkommene Fruchtbarkeitszyklus der Frau eher hinderlich und kräftezehrend als zweckmäßig angepasst. Daraus ‚lustige Tage’ zu machen, - wie Clarissa und Alix - ist sicherlich mit das Beste, was Frauen mit diesem schwierigen Naturerbe tun können: sich allerlei mühsamen Pflichten der Gesellschaft zu entziehen, eine Auszeit nehmen, um in Ruhe das eigene Frausein zu genießen, das lebendige Wunder ihrer Körperkräfte neue Menschen hervorbringen zu können. Gleichsam mit Zauberkraft.

      All monatlich tagelang, mehr oder weniger aus der Vagina zu bluten ist aber nicht einmal natürlich, denn im Naturzustand menstruieren Frauen ebenso selten wie wild lebende Schimpansinnen einen Eisprung haben, immer nur in den wenigen Monaten zwischen dicht aufeinanderfolgenden Schwangerschaften, Geburten und Stillzeiten während ihres fruchtbaren Erwachsenenalters. Jahrzehntelang all monatlich fast eine ganze Woche hindurch Hormonumschwünge und blutigen Ausfluss von Schleimhaut-Zellen der Gebärmutter zu bewältigen ist ein Ergebnis kultureller Entwicklungen, infolge Familienplanung, gesunkener Kindersterblichkeit und gestiegenem Bevölkerungswachstum sowie nicht zuletzt weiblicher Persönlichkeitsbildung.

      Mit hormonellen Verhütungsmitteln können Frauen sich diese kulturbedingten Lasten erleichtern und ihrem Körper die - für heutige Umweltanpassung - unnütz wirkenden Anstrengungen weitgehend ersparen. Eireifung sowie Eisprünge ereignen sich dann nicht mehr spontan; Auf- und Abbau von Zellen in der Gebärmutterwand wird mittels Hormongaben zuträglich geregelt - je nach derzeitigen medizinischen Erkenntnissen mehr oder weniger -, ebenso das An- und Abschwellen der Brüste. Dramatische Schwankungen der Libido bleiben aus. Die Gesundheit des weiblichen Körpers wird durch weniger Menstruationszyklen nachweislich verbessert, weil insbesondere biologische Überforderungen der Gewebe in Gebärmutter und Brustdrüsen entfallen und damit die Wahrscheinlichkeiten von Wucherungen in diesen Organen sinken.

       Knochenbau

      Generell variiert die Knochenbreite gleichsinnig wie die Körperhöhe. Es gibt relativ grazilen Knochenbau bei den zierlichen, klein gewachsenen Varietäten der Äquatorregion an Männern und Frauen, aber auch deutliche sexuelle Unterschiede. Insbesondere bei Europäern sind weibliche Gelenke im Durchschnitt wesentlich schmaler als männliche.

      Ein anderer Einflussfaktor für Belastbarkeit und Befähigungen zur Schwerarbeit ist die Dichte des Knochengewebes. Die statistischen Werte sind gleich für weibliche und männliche Skelette, variieren aber zwischen geografischen Varietäten des Jetzt-Menschen. Beispielsweise haben Afrikaner im Durchschnitt dichtere Knochen als Europäer.

      Im Knochenbau ergibt sich durch Östrogeneinfluss auf die Beckengestaltung und Androgeneinfluss auf das Wachstum des Schultergürtels ein deutlicher Geschlechtsunterschied. Weibliche Becken sind breiter und höher, im weltweiten Durchschnitt. Eine flachere Stellung der Darmbeinschaufeln schafft Raum für einen querovalen Beckenausgang mit deutlich größerem Durchmesser als beim Mann. Die größere Höhe des weiblichen Beckens bietet den nötigen Platz für eine umfangreiche Gebärmutter. Dies sind offenkundig Anpassungen des Frauenkörpers im Kontext einer biologischen Fortpflanzung mit aufwendiger Schwangerschaft und Lebendgeburt großköpfiger Babys.

      In der männlichen Gestalt bildet sich - während des pubertären Wachstumsschubs – ein geschlechtsspezifischer Schwerpunkt im Bereich von Brustkorb und Schultern. Auch hierbei gibt es hormonabhängig individuelle Variationen, doch zeigt die Häufigkeitsverteilung für Messwerte von Schulter- und Beckenbreiten des Jetzt-Menschen nur geringe Überschneidungen der Geschlechter – falls nicht Afrikaner in die Messreihen einbezogen sind. Denn die Afrikanerinnen sind in ihrer Beckenbreite dem männlichen Pol der W <⎯> M –Skala angenähert.

      Kriegerische Tauglichkeit hängt weniger von Körpergröße und -kraft ab, als von der eigenen und der gegnerischen Bewaffnung. In der Geschichte ist, überall auf der Welt, immer wieder von sehr erfolgreichen Kriegerinnen und Amazonen berichtet worden. Griechische und römische Dichtungen erschufen einen ganzen Frauenstaat am Ufer des schwarzen Meeres, Themiskyra genannt. Von dort aus griffen - nach der Legende - Heere bewaffneter Frauen in griechische Kriegswirren ein. Die Amazonenkönigin Penthesilea nahm es mit den stärksten Kämpfern auf. Homers Gesang vom trojanischen Krieg, bemüht schließlich den unbesiegbaren Achilles, um diese männermordende Kriegerin zu töten.

      All diese wunderschönen Erzählungen von kleinasiatischen und nordafrikanischen Frauenheeren halten einer historischen Überprüfung allerdings nicht stand. Sie wurden teils aus politischem Anlass erfunden, um kriegsmüde Männer zu höherem Einsatz zu motivieren. Teils sind Tatsachenberichte über einige Kriegerinnen, aus Lust an der Sensation, später maßlos übertrieben worden. Oft wurden sie, wegen der Faszination weiblicher Stärke, legendär aufgebauscht. Große Frauen beflügeln einfach Männerfantasien - auch gerade die der kleineren Exemplare in den schreibenden poetischen Zünften.

      Zuverlässig belegt sind junge Frauen als königliche Garde-Soldatinnen in einigen vorkolonialen Reichen Afrikas. Wobei überlegene Waffen, frei zu sein von Kindern und Loyalität gegenüber dem Herrscher eine größere Rolle spielten, als Körperkraft. Weil es immer schmeichelhafter ist, einem übermächtigen Gegner zu unterliegen, haben männliche Berichte hinterher, aus solchen feindlichen Kriegerinnen, Riesinnen und Überfrauen gemacht.

      Realistischer sind die Berichte und Legenden über einzelne Frauen, die in Männerkleidern durch die Geschichte ritten und fochten:

       Das Märchen ‘die Königstochter von Frankreich’ erzählt, wie die dritte Tochter für ihren Vater in den Krieg zieht. Sie schneidet sich die Haare ab, zieht Männerkleider an und reitet an der Spitze seines Heeres, an Stelle des nicht vorhandenen Sohnes.

       Der Ritter Dietleib, aus dem Sagenkreis um Dietrich von Bern, war ein Mädel. Sie wurde als Junge erzogen, weil der Vater ihr falsches Geschlecht erst bemerkte, nachdem sie bereits zum Ritter geschlagen war. Er empfahl ihr Dienste als Schildmaid zu suchen. Zuerst verdingte sie sich als Kriegerin und Gefolgsmann beim Zwergenkönig Laurin.

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