Marion Mollenhauer + Ingrid Siano

3x4 Pfötchen und das Netz der weißen Spinne


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direkten Art recht unsanft aus seinen Träumereien. Sie konnte nicht ahnen, dass Barnys Traum sich bald auf recht ungewöhnliche Weise erfüllen sollte.

       Eine merkwürdige Begegnung

       Zwei Tage später war es dann so weit: Alle zwei- und vierbeinigen Mitglieder der Familie Graf standen sehr früh auf, um zur Hundeausstellung nach Bellagio zu fahren. Aber zunächst wurden Olivia und Kaily in die Badewanne gesteckt, mit duftendem Shampoo eingeseift und wieder abgeduscht. Dann massierte Mariella ihnen eine Haarkur ins Fell und spülte sie gründlich wieder aus. Anschließend föhnte sie die langen, seidigen Haare der kleinen Terrier vorsichtig auf lauwarmer Stufe trocken. Morgenmuffelig ließen die beiden Yorkie-Mädchen die Prozedur über sich ergehen. Als Mariella schließlich den Föhn ausschaltete, kam Barny, der sich erfolgreich vor dem Baden gedrückt hatte, aus seinem Versteck hervor und sagte bewundernd: „Super, Mädels, ihr seht toll aus. Kaily, du erreichst bestimmt einen der ersten Plätze.“

      „Phhh“, machte Kaily, deren Haarkleid stahlblau und golden in der Morgensonne glänzte, „was soll ich mit einem der ersten Plätze? Ich will den 1. Platz und den riesengroßen Siegerpokal. Dann bin ich der schönste Hund Europas.“ „Das wollen die anderen aber auch alle erreichen“, gab Olivia zu bedenken, die zwar sehr hübsch war, aber nie Interesse am Showgeschäft gezeigt hatte. „Aber ich werde es schaffen!“, sagte Kaily selbstbewusst und hielt ganz still, als Frau Graf ihr eine prächtige, rote, perlenverzierte Schleife ins Haar steckte. Herr Graf trieb ungeduldig zur Eile an. „Beeilt euch, sonst braust uns die Fähre in Varenna noch vor der Nase weg“, rief er und brachte schon mal den Campingtisch und die Stühle zum Auto.

      „Wir sind schon fertig.“ Mariella stellte die große, bequem ausgestattete Hundetransportbox, in der Olivia und Kaily wie zwei Prinzessinnen in der Sänfte saßen, in den Wagen. Dann setzte sie sich ebenfalls auf den Rücksitz. „Barny kann aber nicht den ganzen Tag alleine zu Hause bleiben“, rief sie ihrer Mutter zu, die mit der Provianttasche aus dem Haus kam. Lucie Graf deutete auf den Vordersitz: „Schau mal, wer sich da schon breit macht“, lachte sie. Barny wackelte charmant mit dem Schwänzchen und sprang dann bereitwillig zu Mariella und ihren beiden Schützlingen auf den Rücksitz. Als Herr Graf losfuhr, stand plötzlich Nando am Straßenrand. „Ciao, bambina“, rief er. „Wohin soll die Reise gehen?“ Fast mühelos rannte er mit seinen langen Windhundbeinen ein Stück neben dem Auto her. „Dahin, wo der Pfeffer wächst“, knurrte Barny ziemlich unfreundlich. Aber Olivia übertönte ihn mit ihrem hellen Stimmchen: „Nach Bellagio, zum Schönheitswettbewerb“, rief sie.

      „Bene, cara mia, dann sehen wir uns heute Abend, wenn ihr zurück seid“, antwortete Nando. „Viel Glück!“ Dann blieb er stehen, denn er war nun doch ein wenig außer Atem.

      Am Fähranleger in Varenna standen bereits mehrere Autos in zwei Warteschlangen. „Na, hoffentlich ist die Fähre groß genug, um alle Wagen mitzunehmen“. Rolf Graf sah besorgt auf seine Armbanduhr. „Die nächste Fähre geht eine Viertelstunde später. Das ist immer noch früh genug“, beruhigte ihn Frau Graf. In diesem Moment trat ihr Mann heftig auf die Bremse. Der Fahrer einer großen, protzigen Limousine, an deren Motorhaube die goldenen Buchstaben „CD“ prangten, versuchte sich in die kleine Lücke zwischen dem Auto der Grafs und deren Vordermann zu schieben.

      „Das hat der sich so gedacht“, sagte Mariellas Vater und ließ sein Auto millimeterweise vorrollen. Schließlich setzte die Limousine zurück und reihte sich hinter ihnen als letztes Auto in die Warteschlange ein. „Warum nicht gleich so?“, brummte Herr Graf. „Habt ihr die merkwürdigen Leute in dem Auto gesehen?“, fragte Mariella. „Die Frau auf dem Rücksitz trägt eine Pelzstola mitten im Juni, und die Sonnenbrille des Chauffeurs hat Spiegelgläser.“

      „Kleines, jeder kann sich so kleiden, wie er möchte. Das geht uns nichts an.“ Die Stimme von Mariellas Mutter hatte einen leicht tadelnden Unterton. Herr Graf schmunzelte und sagte: „Also, ich finde auch, dass der Chauffeur wie ein Mafioso aussieht.“ Mariella beugte sich zu der Hundebox hinunter und flüsterte: „Ich weiß zwar nicht genau, was ein Mafioso ist – aber er sieht merkwürdig aus.“ Laut sagte sie: „Ich glaube, die hatten auch ’nen Hund dabei.“ „Ach herrje“, seufzte Olivia. „Ein Mafia-Hund! Und direkt hinter uns in der Warteschlange! Das hat uns gerade noch gefehlt.“

      „Das wissen wir doch noch gar nicht genau“, brummelte Barny, der noch ein kleines Nickerchen gemacht hatte. „Außerdem, was soll schon passieren, solange ich bei euch bin.“ Er reckte und streckte sich ausgiebig.

      „Du solltest dir die Leute wenigstens mal ansehen, alte Schlafmütze.“ Olivia war etwas ungehalten. „Genau“, mischte sich Kaily ein. „Schließlich habe ich dich als Bodyguard engagiert und nicht als Langschläfer. Also, pass gefälligst auf mich auf. Sonst sorge ich dafür, dass du die nächsten Ferien in der Tierpension verbringst.“ Das hatte gesessen. Jetzt war Barny hellwach und riskierte einen Blick aus der Heckscheibe auf die hinter ihnen parkende Limousine. Der Chauffeur war gerade ausgestiegen, um eine Fahrkarte für die Fähre zu kaufen. Als er bezahlte, blitzte ein großer Ring an seinem Finger. Auch die Spiegelgläser seiner Sonnenbrille warfen wütende Blitze in Richtung des Autos, das ihn nicht vorgelassen hatte. Barny legte sich schnell wieder auf den Rücksitz. „Der Typ sieht wirklich nicht sehr freundlich aus“, sagte er.

      „Außerdem trägt er schwarz-weiße Schuhe.“

      „Siehste“, trumpfte Olivia auf, „doch ein Mafioso. Ich habe im Fernsehen gesehen, dass die solche Schuhe tragen.“

      „Wie geschmacklos“, mokierte sich Kaily. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass solche Leute zur Hundeausstellung gehen.“

      „Jedenfalls werde ich sie im Auge behalten“, versprach Barny, dem das Wort „Tierpension“ einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte.

      Auch Mariellas Eltern hatten die seltsamen Schuhe bemerkt und einen vielsagenden Blick gewechselt. Aber da rollte die Autoschlange auch schon vorwärts, und Herr Graf musste sich konzentrieren, denn sein Fahrzeug wurde als letztes auf die Fähre gewunken. Die riesige Limousine hinter ihnen passte nicht mehr auf das Schiff. Sie blieb als einziges Fahrzeug am Ufer zurück. „Die ärgern sich jetzt bestimmt“, stellte Mariella zufrieden fest. „Kümmere dich nicht mehr um diese Leute, sondern steig lieber aus und schau mal, wie schön es hier ist.“ Lucie Graf ging mit ihrer Tochter zum Heck der Fähre, die inzwischen abgelegt hatte.

       Bellagio – ein Hauch von Luxus

       Die hübschen bunten Häuser Varennas leuchteten in der Morgensonne. Hohe Berge zeichneten sich scharf gegen den blauen Himmel ab und hoch über dem Städtchen thronte majestätisch das uralte, halb verfallene Castello di Vezio. Lucie Graf erzählte Mariella die Geschichte von der LangobardenköniginTheodolinda, die vor vielen hundert Jahren in dieser alten Burg weilte. „Vielleicht können wir das Castello einmal besichtigen“, schlug sie vor. „Man hat einen Teil des alten Gemäuers restauriert. Außerdem soll es da oben eine Greifvogelzucht geben.“

      „Was sind Greifvögel?“, fragte Mariella, die sich brennend für alle Tiere interessierte. „Falken, Habichte, Adler und auch Uhus nennt man Greifvögel“, antwortete ihre Mutter. „Zeitweise fliegen die sogar frei herum und kehren immer wieder zur Burg zurück.“ Mariella war begeistert. „Toll, das müssen wir sehen“, rief sie übermütig, während sie zum Bug des Schiffes lief, denn der Fähranleger von Bellagio kam bereits in Sicht. Im Gegensatz zu den kleinen farbenfrohen Häusern Varennas waren die Gebäude Bellagios wesentlich größer und vornehm weiß oder pastellfarben gestrichen. Lucie Graf erklärte ihrer Tochter, dass in den meisten dieser Häuser große luxuriöse Hotels oder Geschäfte untergebracht waren. Auch hier erhob sich über der Stadt ein weithin sichtbares, schlossähnliches Gebäude, die „Villa Serbelloni“. Bellagio lag in der Mitte des Comer Sees auf einer großen Landzunge, die den See in zwei Seearme teilte. Deshalb war die Fahrt mit der Fähre der einfachste Weg, um dorthin zu kommen.

      „Was ist das für ein riesiges Gebäude?“, fragte Mariella und deutete auf die weitläufige terrakottafarbene Fassade des alten Grandhotels