Paul Barsch

Von Einem, der auszog.


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– dicht an Franz mich haltend – in die Stube. Cäcilie saß an ihrem gewohnten Platz neben dem Fenster und hielt eine Häkelarbeit in den Händen. Meinen Gruß erwiderte sie mit einem leichten Nicken. Das wirkte beruhigend auf mich. Dennoch war mir das Weilen in ihrer Nähe sehr peinlich, und glücklich pries ich mich, als die Butterbrote verzehrt waren und ich hinauseilen konnte.

      Am andern Tage vormittags hatten wir die Freude, Johann wieder zu sehen. Nachdem wir ihn rasch über die wichtigsten Ereignisse unterrichtet hatten, ging er hinauf, sich beim Meister zu melden. Lange blieb er fort, so dass wir auf die Vermutung kamen, der Meister wolle ihn mit einer großen Arbeit betrauen. Als er endlich in die Werkstatt zurückkehrte, strahle sein Gesicht in Freude. Er begann zu tanzen, hüpfte und sprang umher, lacht, sang, pfiff und machte den Versuch, auf dem Kopfe zu stehen. Endlich erhielten wir Bescheid auf unser verwundertes Fragen. Ein Papier zog er aus der Tasche, schwang es über dem Kopfe und schaute so sieghaft und jubelselig drein, als sei er bereits Professor oder gar schon adelig geworden. An mich herantretend, sprach er halb ernst, halb komisch: „Von jetzt an musst Du „Sie“ zu mir sagen. Ich bin Geselle!“

      „Du bist wohl nicht recht…?“

      „Sie musst Du sagen! Hier ist meine Gesellenzeugnis!… Ein feines Zeugnis!… Als der Karl Geselle wurde, hab’ ich auch „Sie“ zu ihm sagen müssen, und wir hatten auch drei Jahre zusammen gelernt.“

      Johann war Geselle geworden. Diese Überraschung machte mich auf Minuten fast sprachlos. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen oder traurig sein – ob ich ihn beglückwünschen oder ihn von mir stoßen sollte. Seine Forderung war ernst gemeint; er verbat sich alsbald mit Entschiedenheit das kameradschaftliche „Du“. Der Hinweis auf seinen Vorgänger Karl, den ich als einen eitlen, dünkelhaften, groben und dummen Menschen kennen und verachten gelernt habe, empörte mich, und ich nahm mir vor, dem neu gebackenen Gesellen unter keiner Bedingung die Gesellenehre zu erweisen. Die trauten Bande, die uns verknüpft hatten, waren gelöst; meine heitere Hoffnung, dass er wieder mein guter Dichtergenosse sein werde, war zuschanden geworden… Unverstanden von der Mutter, zurückgestoßen vom Freunde!… Wieder beschlich mich eine grabesfinstere Bangigkeit.

      Das Dienstmädchen kam und rief meinen Namen. Ich sollte zum Meister kommen. Schnell war ich oben. Er saß an seinem Schreibtisch und war sonntäglich gekleidet. Mit ernstem Tone begann er, dass er in einer wichtigen Angelegenheit mit mir zu sprechen habe. Er fand nicht bald die rechten Worte, redete in Verhältnissen, Familienrücksichten, schlechten Zeiten und Veränderungen, und fragte dann unvermittelt, ob ich Herrn Tischlermeister Thomas kenne.

      „Ja!“

      „Möchtest Du bei ihm arbeiten? Er ist ein kluger und guter Herr. Ich habe bereits Deines wegen mit ihm gesprochen.“

      Mir war seine Rede so unfassbar, dass ich keine Antwort zu geben wusste. Ich blickte ihn fragend an. Er sprach weiter und kam nach mehrfachem Stocken in die rechte Bahn. Jetzt erfuhr ich, dass er die Tischlerei an einen Stellmacher verkauft habe und nach Amerika auswandern wolle. Sein Bruder sei drüben, und er wolle mit dem Bruder eine Fabrik gründen. Er könne nicht abreisen, ohne zuvor für uns Lehrlinge gesorgt zu haben. Johann sei ein tüchtiger Mensch, der ganz gut als Geselle fortkommen werde; daher habe er ihm den Freibrief gegeben. Ich hingegen und Franz seien noch nicht reif für den Freibrief; wir müssten jeder noch ein Jahr lernen, Franz vielleicht noch länger. Herr Thomas sei bereit, uns beide in die Lehre zu nehmen. In einem Jahre sei ich Geselle. Von Rechts wegen hätt’ ich noch sieben Vierteljahre zu lernen; aber drei Vierteljahre würden mit erlassen…

      Tischlermeister Thomas galt bei den Gesellen und Lehrjungen der Stadt als sehr strenger Mann, und die Worte des Meisters flößten mir daher Angst ein. Nur nicht zu Herrn Thomas – nein, nein! Die Furcht vor diesem Manne brachte mich auf einen kühnen Gedanken.

      „Herr Meister“, sprach ich bittend, „sind Sie doch so gut und geben Sie mir auch den Freibrief!“

      Er lächelte schmerzlich und schüttelte den Kopf. „Was Du Dir einbildest! Ich kann Dir doch unmöglich einen Freibrief geben, wenn Du noch nicht einmal ein paar kirschbaumene Schränke allein machen kannst!“

      „O ja, Herr Meister, ich kann kirschbaumene Schränke machen!“, entgegnete ich dreist. „Ich habe ja schon Kommoden und Tische ganz allein gemacht!“

      „Aber Schränke – gute Schränke, das ist etwas anderes! In Bauarbeit bist Du noch sehr weit zurück, und nach Zeichnung kannst Du überhaupt nicht arbeiten.“

      Mir wuchs der Mut, und ich versicherte, dass ich, wenn es sein müsste, jede Arbeit fertig brächte.

      „Ich kann’s nicht verantworten!“ sprach er. „Wenn Du zu einem Meister kommst, und Du kannst nichts, so fällt die Schuld auf mich. Ich will aber ein gutes Andenken hinterlassen, und auch mit den Lehrlingen will ich mir keine Schande einlegen.“

      Aber ich ließ nicht nach und gab ihm das Versprechen, dass ich alle Kraft zusammen nehmen würde, um als Gesell mein Fortkommen zu finden und ihm keine Schande zu bereiten. Auch gestand ich, dass ich bei Herrn Thomas nicht weiterlernen möge, weil er zu grob wäre. Jetzt sei dort der lange Lorenz in Arbeit getreten, und unter dessen Gewalt möchte ich nicht wieder kommen. Zu einem Dorftischler würde ich in Arbeit gehen, vielleicht zu meinem Onkel, der auch Tischler sei, und für das Dorf besäße ich genügende Kenntnisse… Der Meister wurde nachdenklich. Nach einigem Zögern begann er eine neue Rede. Er wolle mir ganz offen gestehen, dass er im allgemeinen mit mir zufrieden gewesen. Ich sei ehrlich und fleißig; aber gerade deshalb, weil er an mir manchmal seine Freude gehabt hat, hätte ihn manche recht hässliche Eigenschaft an mir gekrankt und erbittert. Mein Benehmen gegen Fräulein Cäcilie sei über alle Begriffe hinaus ordinär gewesen. Er habe sich die Frage vorgelegt, ob er mich dem Gericht übergeben oder auf andere Weise strafen solle, sei aber schließlich zu der Ansicht gelangt, dass ein solch schändliches Betragen einer Dame gegenüber nur ein verächtliches Pfui verdiene. Er hoffe, dass ich bei rechter Überlegung erkennen werde, wie gemein ich gewesen. Fräulein Cäcilie sei eine achtungswürdige Dame und seine Freundin… Doch heut zum Abschied wolle er sich nicht weiter aufregen… Seine Stimme bebte; er kämpfte sichtlich gegen den aufwallenden Zorn. Mir schnitten seine Worte ins Herz; stammelnd bat ich um Verzeihung. Ich hätte, sprach ich, mein Unrecht bereits eingesehen und bereut. Das Wort sei mir in der Erregung entfahren, weil Fräulein Cäcilie…

      „Sprechen wir nicht weiter davon!“ unterbrach er mich. „Es genügt mir, dass Du um Verzeihung bittest, damit wir ohne Groll scheiden können… Du willst also nicht zu Herrn Thomas gehen?“

      „Nein, ich möchte nicht!“ erwiderte ich bestimmt.

      „Das ist unklug von Dir! Bei Herrn Thomas hättest Du Gelegenheit, Dich vollständig auszubilden. Dort werden nur gute Arbeiten hergestellt – seine Möbel, Kirchenarbeiten und große Bauarbeiten. Aber wenn Du Dein Glück nicht haben willst – zwingen kann ich Dich nicht“… Nach einer Pause des Schweigens fuhr er fort: „Wenn ich bestimmt wüsste, dass Du zu einem Dorftischler gehst… Ja, es ist halt so eine Sache…ich nehme eine große Verantwortung auf mich… Hier in der Stadt kommst Du als Geselle nicht fort!“

      Ich gab ihm das Versprechen, nicht in der Stadt zu bleiben, und bat ihn nochmals herzlich um den Freibrief. Er öffnete ein Schubfach und nahm einen Bogen Papier heraus.

      „Ich nehme keine Schuld auf mich!“ sprach er. „Hoffentlich hast Du keine Ursache, Deine heutige Kurzsichtigkeit zu bereuen.“ Er schrieb mir den Freibrief.

      Bei dem heftigen Wirbel des Frohlockens, der jäh mein inneres Wesen erfasste, wäre meine äußere Ruhe verloren gegangen, wenn sie nicht einen festen Stützpunkt gefunden hätte in dem Angstgedanken, dass der Meister sich in der letzten Minute noch anders besinnen und das bereits geschriebene Papier vernichten könnte. Wenn ich in Stunden der Arbeitsqual, der Ermüdung, der Demütigung an die Zeit gedacht, die mich einst zum Gesellen und somit zum freien Mann machen würde, der sich kein Unrecht, keine Quälerei und keine Ohrfeigen mehr gefallen zu lassen braucht, war sie mir stets so fern liegend erschienen, als wäre es gar nicht möglich, dass ich sie jemals erleben könnte. Und nun auf einmal, ganz unvermutet, war ich an das sehnsüchtig erwartete herrliche Ende gelangt. Ich sollte