Paul Barsch

Von Einem, der auszog.


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      Sie ergriff meine Rechte und presste sie mit beiden Händen. „Du bist besser wie die andern“, sagte sie lieb und gütig. „Dich hab’ ich immer für eine treue Seele gehalten.“

      Ich glaubte, ich wäre ihr glückstrunken und in übermächtiger Rührung zu Füßen gesunken und hätte ihre Knie umklammert, wenn nicht zufällig ihre Mutter zum Besuch gekommen wäre. Die alte Frau stand im Hofe und redete mit dem Wagenbauer. Cäcilie drückte mit noch einmal herzhaft die Hand, bat mich, sie ja nicht zu verlassen, und eilte hinaus.

      Berauscht von Glück und stolz sah ich ihr durch Fenster nach, und als sie verschwunden war, lugte ich verstohlen hinauf zu den Fenstern des Wohnzimmers, in der sehnsüchtigen Erwartung, sie dort noch zu sehen. Ich schmachtete nach ihrem Anblick; mir war, als sei nun zwischen ihr und mir ein unlösbares Bündnis für das ganze Leben geschlossen, als gehörte ich fortan in ihre Nähe, als müsse ich nun bei Tag und bei Nacht ihr getreuer Diener, Ritter und Held sein und jeden erschlagen, der es wagen sollte sie zu verachten. Sie war für mich plötzlich ein edles Wesen geworden, ein verkannter Unschuldsengel, eine anbetungswürdige heilige Erscheinung. Sogleich entwarf ich allerlei wunderreiche, poesievolle Zukunftsbilder. Am längsten verweilte ich bei dem Wunschtraum, der mir erzählte, wie ich die unschuldige und von schlechten Menschen verachtete, von mir jedoch treu geliebte Cäcilie nach einer stillen, fruchtbaren Gegend führte, dort aus Holz und Reisig eine Hütte für uns baute, die süße Dame darin auf Land bettete und allda sie pflegte, bis sie in Frieden eines Knäbleins genas. Ich war ihr Gebieter, ihr Erretter, ihr Arzt, ihr Priester, ihr Ernährer, ihr Beschützer und Verteidiger, ihr Geliebter. Auch ihr Dichter wollt ich sein, und so berühmt sollte sie werden durch mich, wie Laura durch Schiller! Schon schwirrten mir die ersten Werke zu ihrem Ruhme durch den Kopf. Ich wollte sie im Leibe vergleichen mit der tugendhaften Genoveva; das Söhnlein aber, das sie in der verborgenen Waldhütte zur Welt gebracht, sollte nicht Schmerzensreich, sondern Wonnereich heißen; denn wir wollten ein wonniges Familienleben führen und das Knäblein mit Zärtlichkeit betreuen. Auf Cäcilie fand ich die schönen Reime Familie und Lilie, die vortrefflich zu dem Inhalt des Gedichtes passten.

      Ich liebte Cäcilie. Wie eine huldreiche, sanfte Märchenprinzessin war sie aus ihrer Höhe zu mir herabgestiegen, hatte mir die Hand gereicht und weinend gesagt, ich sei eine treue Seele! Das war eine so merkwürdige, so rührend poetische Begebenheit, wie sie sonst nur in Märchen und Geschichten vorkam, und darum bildete ich mir ein, dass ich zu Helden eines beginnenden Liebesromans erkoren sei. In meinem Jubelrausche gewann ich die Überzeugung, dass noch kein irdisches Herz so glühend, so unwandelbar treu geliebt habe, wie das meine.

      Das war eine tiefe, große, keusche Liebe. Doch sie währte nur eine halbe Stunde.

      Als diese gnadenreiche Zeit verronnen war, kam die Königin meines Herzens abermals in die Werkstatt. Freudig trat ich ihr entgegen und erhob die Hand zum Empfange; doch ließ ich schnell die Hand sinken, da meine heiße Freude einen jähen Tod fand. Cäcilie blieb in der offenen Tür stehen und rief kurz und grob: „Hier wird itze geschlossen!“

      Sie war wieder die kalte, herrliche Person, die uns Lehrjungen das Lebe sauer gemacht hatte. Der plötzliche Stimmungsschlag in meiner Seele brachte mich in Zorn und ich fragte gereizt und gekränkt: „Halten Sie mich für einen Spitzbuben?“

      „Sei nicht so frech Lausigel!“ schrie sie. „Wenn die andern fort sein, brauchen wir Dich erst recht nicht!“

      „Ich bin hier in der Lehre, und ich habe noch nicht ausgelernt!“ entgegnete ich keck. „Vorhin erst haben Sie mich gebeten, dass ich hier bleiben soll!“

      „Ich verreise itze!“ sagte sie schroff. „In zehn Minuten wird alles abgeschlossen, und wenn Du noch drin bist, lass ich Dich rausschmeißen!“

      Sie schlug die Tür heftig zu und ging nach ihrer Wohnung. In rasender Wut riss ich die Tür auf und schrie Cäcilie ein gemeines Schimpfwort nach. Die Wagenbauer wunderten sich über meine Kühnheit und lachten. Zu ihnen gewendet, erklärte ich laut und noch immer von Wut geschüttet, dass Cäcilie das ordinärste Frauenzimmer und die schlechteste Person sei. Ich sprang auf den Boden, packte geschwind meine kleine Habe zusammen, mit Ausnahme der Betten, die meiner Mutter gehörten, und verließ mit Bündel und Stock das Werkstattgebäude. Im Hofe schoss Cäciliens Mutter auf mich los, schlug mich mit der Faust auf den Kopf und in den Nacken, so dass mir die Mütze in den Schnee fiel, und schalt mich unter gröblichen Schimpfreden wegen der Beleidigung ihrer Tochter. Als ich zur Abwehr den Stock erhob, spie sie mich an und entfloh.

      Nach wenigen Minuten lag das Stadttor hinter mir, und ich wanderte dem fernen Tale meiner Heimat zu… Meine große Liebe war erloschen. Für Cäcilie blieb mir nur Verachtung. Dennoch übermannte mich die Scham, wenn ich mir die bösen Auftritte vergegenwärtigte, die sich beim Abschied ereignet hatten. Ich hätte das schändliche Wort nicht sprechen sollen. Eine Stimme in mir belehrte mich immerzu, dass nur gemeine Menschen sich solcher gemeinen Worte bedienen. Als ich mir dann noch den bitteren Vorwurf machte, dass ich Cäcilie in Gegenwart ihrer Mutter auf das ärgste in der Ehre gekränkt hatte, schlug ich mich in Reue und Selbstverachtung an die Stirn.

      Spät abends trat ich in das Stübchen meiner Mutter. Sie kniete am Bett und betete den Rosenkranz. Erschrocken stand sie auf.

      „Junge, wu kimmst Du den har?“

      „Aus der Stadt.“

      „Du bist doch nich ernt ’m Meister ausgerückt?“

      „Nee, Mutter! Der Meister ist uns ausgerückt.“

      Meine Mutter.

      Ich besaß keine Heimat mehr. Von Stunde zu Stunde kam mir dieses wehe, trostlose Gefühl deutlicher zum Bewusstsein. Die Mutter war gut zu mir und sorgte für mich mit opferfroher Liebe. Sie ehrte mich, wie einen lieben Gast, und buk mir zu Ehren Tiegelkuchen. Doch ich war eben nur noch Gast in ihrem Stübel; ich gehörte nicht mehr zu ihr. Mit weichen, schonenden Worten gab sie mir das zu verstehen.

      Der Vater war seit mehreren Jahren tot. Die Mutter hatte unser Häuschen verkauft und sich freie Wohnung im Stübel ausbedungen. Der Kaufvertrag enthielt die harte Bestimmung, dass ich nur bis zum sechzehnten Jahre berechtigt sei, bei der Mutter zu wohnen. Wolle sie mit mir zusammenleben, so müsse sie in eine andere Wohnung ziehen. Der Hauswirt, ein schrullenhafter Mensch, fasste die Bestimmung so auf, dass ich ohne seine Erlaubnis nicht einmal bei der Mutter übernachten dürfte. Nur auf vieles Bitten hin gestattete er ihr zögernd, mich einige Tage lang zu beherbergen. Die Mutter grämte sich, weil sie in diese Stelle des Vertrages eingewilligt hatte; sie meinte, Mutter und Sohn gehörten von Natur aus zusammen. Doch während ihre Tränen noch flossen, widersprach sie ihrer eigenen Rede. Sie sagte, wenn die jungen Schwalben flügge seien, müssten sie das Nest verlassen und sich selbst ihr Futter suchen. So sei es überall in der Natur, und ich müsse daher, da ich nun siebzehn Jahre zählte, auf Selbstständigkeit bedacht sein.

      Bei solchen Reden beschlich mich eine große Bangigkeit. Ich kam mir vor, als sei ich überflüssig in der Welt, und ich fühlte nicht die Kraft, mir einen sicheren Platz unter der Menschheit zu erringen.

      Das Stübel war ein kleiner Anbau aus Lehm. Es mochte wohl schon hundert Jahr alt sein, da es dem Einfallen nahe war. Von allen drei Seiten war es mit Baumpfählen gestützt, und sowohl im Winter, als auch im Sommer waren die Außenwände mit Laub und dürren Kartoffelkraut bekleidet, weil sonst durch die vielen Löcher und Brüche Regen, Schnee und Wind eingedrungen wären. Der Raum, den zwei Betten, ein Tisch, ein alter rissiger, rauchgeschwärzter Kachelofen, ein Glasschrank, eine Kommode und zwei Stühle übrig ließen, war so eng, dass zwei Personen kaum zur Not sich darin bewegen konnten. Trotzdem war das Stübel hübsch und traulich. Alle die Gegenstände riefen Erinnerungen an meine Kindheit in mir wach; ich betrachtete sie gern, und oft erfasste mich ein Erstaunen, weil ich Eigenheiten an ihnen wahrnahm, die mir früher entgangen waren. Am liebsten sah ich den Glasschrank. Hinter blank geputzten Scheiben standen in drei Fächern viele feine bemalte Kaffeetassen und Andenken an berühmte Wallfahrtsorte. Am schönsten schien mir eine Kapelle aus Porzellan, in der ein goldener, verschnörkelter Hochaltar mit einem Muttergottesbilde zu sehen war.