Paul Barsch

Von Einem, der auszog.


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Menschen als Opfer dargebracht werden. Auch Wachsstöcke und farbige Kerzen waren vorhanden, darunter die heilige Totenkerze, die gebrannt hatte, als der Vater und die Geschwister starben… In einem Fache fiel eine reichhaltige Bilderausstellung auf. Dort waren alle die Heiligen, die dem Herzen der Mutter besonders nahe standen, in bunten Bildern versammelt. Auch unheilige Bilder befanden sich in dieser Versammlung. Da war zum Beispiel ein Schornsteinfeger, der eine Müllerin küsste. Dann ein betrunkener Mann, der aus dem Gasthause kam und dem ein Affe im Nacken saß. Verschiedenartige Einladungskarten erinnerten an Tanzkränzchen und Wurstabendbrote längst vergangener Jahre. An den Wänden hingen Wallfahrtsmadonnen, Heiligenbilder, Papst Pius und die eingerahmten Patenbriefe.

      Die Mutter war arm. Für das Haus hatte sie nur wenige hundert Taler bekommen, und der größte Teil dieses Geldes war bei der Tilgung der Schulden zerflossen. Sie bestritt ihren Lebensunterhalt auf verschieden Weise. Gewöhnlich arbeitete sie als Tagelöhnerin bei den Bauern. Sie verstand auch, die Nadel gut zu führen. Nicht nur Mägde, auch Bauersfrauen ließen Schürzen, Röcke und Jacken von ihr anfertigen. Von Vater, der Tischler gewesen, hatte sie verschiedene Künste erlernt, die sie ebenfalls zu ihrem Nutzen verwertete. Zuweilen polierte sie bei Gutsherrschaften alte Möbel frisch auf und leimte herab gefallene Zierstücke fest. Sie flocht Stuhlsitze und strich Hof- und Gertenzäume, Tore, Türen, Fenster und Geräte mit Ölfarben an. Das ganze Jahr hindurch war sie immerzu beschäftigt, und wenn sie in ihren Lohnforderungen nicht gar zu bescheiden gewesen wäre, hätte sie ein gutes Auskommen haben können. Geld bekam sie selten; gewöhnlich nur Ersatz für ihre baren Auslagen. Als Lohn für ihre Mühe erhielt sie Brot Speck, Fleisch, Kartoffeln und Erbsen. An Lebensmitteln war sie manchmal so reich, dass sie die Armen des Dorfes beschenken konnte. Solches Wohl tun war ihre beste Freude. Sie bildete sich dabei ein, dass sie im Überfluss lebe. Obwohl sie zu manchen Zeiten viele Tage lang kein Geld besaß und in arger Bedrängnis schwebte, klagte sie nie über Armut. Sie war ganz anders, als andere Frauen. Auch die reichsten Bäuerinnen jammerten gern über schlechte Zeiten und machten dabei Gesichter, als wühlte der Hunger bereits in ihren Leibern. Meine Mutter rief dann lachend: bei ihr sei keine Not; sie habe mehr Schuldner, als der Großbauer. Gegen das Armsein und Entbehren müssen hegte sie einen tiefinnerlichen Widerwillen. Viele Leute, die von ihr beschenkt wurden, besaßen Acker, Vieh und Haus und wohl auch mehr Geld als die Mutter; dennoch wurden sie von ihr als arme Leute bedauert. Oft erklärte sie, dass sie sich schon längst ein Sofa beim Sattler bestellt hätte, wenn nur das Stübel nicht zu klein dazu wäre.

      Ungemein stolz war sie auf die Achtung, die sie genoss. Herkommen und Sitte brachte es mit sich, dass zwischen reichen und armen Dorfbewohnern eine strenge Scheidung bestand. So würde ein Bauer seinen Wert preisgegeben und das Ansehen des ganzen Standes geschädigt haben, wenn er sich im Wirtshause mit einem Häusler oder gar einem Inwohner an einem Tisch gesetzt hätte. Bauern, die mehr als fünfzig Morgen Acker besaßen, genossen das Recht, in der Nebenstube des Kretschams zu sitzen, wo der Herr Schullehrer und der Herr Kaplan saßen. Die Kleinbauern ließen sich in der großen Stube nieder, in der die fremden Fuhrleute verkehrten; sie hielten aber darauf, dass sie mit geringen Leuten, die als Inwohner oder Knechte im Dorfe lebten, nicht in Berührung kamen. Die Hofarbeiter durften sich überhaupt nicht niedersetzen. Verging sich einer gegen diese Sitte, so galt er als frecher Mensch. – Auch die Frauen bildeten unter sich gesellschaftliche Gruppen. Bei ihnen traten die Standesunterschiede am deutlichsten in der Kirche und während des Heimganges aus der Kirche zutage. Die reichen Frauen saßen in den vordersten Bänken, und nach beendetem Gottesdienste gingen sie miteinander; Frauen aus den ärmeren Ständen durften sich nicht zu ihnen gesellen.

      Meine Mutter machte eine glückliche Ausnahme. Mit den drei reichsten Bauersfrauen des Ortes war sie herzlich befreundet, und herzlich waren auch ihre Beziehungen zu vielen anderen Frauen. Auch unter den Hofarbeitern, die zu der niedersten Menschensorte gerechnet wurden, befand sich eine Frau, mit der sie einen festen Seelenbund geschlossen hatte. Als Ratgeberin in schweren Herzensfragen genoss meine Mutter vieles Ansehen, auch als liebevolle Trösterin im Kummer. Da sie kein Geheimnis verriet, das ihr anvertraut worden, kamen viele Menschen, die sich von Gewissensschuld bedrückt fühlten, zuerst zur Mutter, bevor sie zur Beichte gingen. Sie wurde zu Hilfe gerufen, wenn Eheleute in schlimmen Zwist geraten waren; ungehorsame Söhne und Töchter musste die zur Besserung ermahnen; verlassene Bräute kamen zu ihr, wenn sie des Trostes bedurften. Aus eigenem Antriebe mischt sie sich nie in fremde Angelegenheiten; erst wenn sie als Richterin oder Helferin oder Trösterin angerufen wurde, folgte sie dem Rufe, und es lag dann etwas Feierliches, Priesterliches in ihrem Wesen. Als weise und gelehrt galt sie, obgleich sie nur wenige Bücher gelesen hatte und selten eine Zeitung in die Hände bekam. Zu den Talenten, deren sie sich gern rühmte, gehörte ihre gute Handschrift, und sie behauptete mit Stolz, fehlerfrei schreiben zu können.

      In meinem Heimatdorfe wurde viel gelesen, aber nur in Heiligenlegenden, Räubergeschichten und vielen kleinen Heften, in denen berichtet war von den Schicksalen arme Seelen, die im Jenseits keine Ruhe fanden und des Nachts auf die Erde zurückkehren mussten. In Wäldern und Sümpfen, an Kreuzwegen und Grenzgräben, auf Kirchenhöfen, in Scheunen und Gärten und Kellern irrten sie in schauriger Mitternacht oder an heißen Nachmittagen, wenn die Sonne brannte und kein Lüftchen sich regte, suchend umher, bis sie endlich durch ein gewisses Gebet erlöst wurden. Das gewisse Gebet war in der Regel am Schusse des Heftes abgedruckt. Einmal kam durch einen jungen Mann, der die Schriftsetzerei erlernt hatte, ein hoch gelehrtes Buch in das Dorf. Ein gelehrter Professor, der zugleich Arzt war, hatte das Buch geschrieben. Es handelte vom Wohnsitze der Seele im menschlichen Körper. Die Seele wohnt nicht in der Brust; sie wohnt im Kopfe, ganz dicht unter der Schädeldecke, in einem Gehäuse, das nicht größer ist, als ein Hirsekörnchen. Sie hat die Farbe der Luft und ist daher unsichtbar. Beim Tode des Menschen entflieht sie durch den Mund, nachher findet sie den Weg durch die feinsten Ritzen oder durch das Schlüsselloch. Ich bekam das Buch in die Hände, las es, verstand aber sehr wenig davon, da es eine Menge von Worten enthielt, die mir fremd waren. Die Mutter aber las das Buch mit Verständnis und sprach dann oft mit anderen Frauen darüber. Ich hörte zu und erstaunte dabei über die Klugheit meiner Mutter. Sie sagte, dass die nun genauen Bescheid wisse über die Seele, und dass die Leute gewöhnlich eine gänzlich falsche Vorstellung davon hätten. Dringend empfahl sie, beim Sterben eines Menschen ein Fenster oder die Tür zu öffnen, damit die Seele auf schnellem Wege zu Gott gelangen könne, und nicht nötig habe, nach einer Ritze oder einem Schlüsselloch zu suchen… Bei Kinderkrankheiten oder Krankheiten der Haustiere wurde meine Mutter gleichfalls zu Rate gezogen. Sie heilte nicht nur mit Kräutern und anderen gegenständlichen Mitteln, sie heilte auch durch geheime Bannsprüche und wirkungsvolle Gebete, durch das Auflegen der Hände und sonderbare Gebärden. Sie „besprach“ den Kindern das „Fröschel“ – eine Halskrankheit, die ich nicht näher kennen gelernt habe – und befreite die Pferde durch ein Sympathienmittel von den Würmern. Während meiner Lehrlingszeit las ich einmal, dass Sympathiemittel in das Bereich des schwärzesten Aberglaubens gehörten, und dass sehr viel Dummheit dazu nötig sei, an ihre Wirkung zu glauben. Da ich alles, was in der Zeitung und in Bücher stand, für unbedingt zuverlässig und wahr hielt, kam ich zu der bitteren Erkenntnis, dass meine Mutter dumm und abergläubisch sei. Mit schwerem Herzen nahm ich mir vor, sie vom Irrtum zu erretten. Als sie eines Sonntags zum Besuch bei mir weilte, begann ich zaghaft von den Sympathienmitteln zu sprechen. Sie sah mich fragend an, und der gütige Ausdruck ihres Gesichtes schwand. Ich erschrak vor ihrem forschenden Blick und hätte gern geschwiegen; doch sie verlangte zu wissen, was ich sagen wollte. Umständlich und verlegen erzählte ich ihr, was ich gelesen hatte, und als sie merkte, wohin ich mit meiner Weisheit zielte, unterbrach sie mich hart:

      „Sei stille! Du gleebst, Du bist klug, und Du weest nich, wie tumm Du bist! Der Glaube tutt Wunder! Doas merk Der fersch ganze Leben!“

      Ich habe nie wieder gewagt, sie zu bekehren.

      So war meine Mutter.

      Über meine Heimkehr freute sie sich nicht. Sie ließ sich von mir über das Verschwinden des Meisters berichten und fragte, was ich nun beginnen werde.

      „Mir einen neuen Meester suchen“, erwiderte ich.

      Sie schwieg nachdenklich, als könne sie an die Geschichte vom Verschwinden das Meisters nicht recht glauben; doch äußerte sie kein Wort des Zweifels und war und blieb sanft. Am