Paul Barsch

Von Einem, der auszog.


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diesem Dienst ab. Also rasch Feuer angelegt! Dann hinaus in den Hof, um Bahn zu schaufeln bis zu Tür des Vorderhauses und zum Hintertor! Zuletzt hinauf auf das Dach! Denn der Meister verlangte, dass das Dach stets frei von Schnee sei. Jeden Morgen stieg er hinauf, und wenn er es nicht sauber fand, verordnete er dem Kalfaktor unbarmherzig eine Überstunde für den Abend. Er scheute sich auch nicht, ihm eine bestimmte Arbeit aufzutragen und zu befahlen: „Wenn diese Arbeit fertig ist, darfst du schlafen gehen; ehe nicht!“ So hatte ich einmal des Daches wegen eine ganze Nacht arbeiten müssen.

      Als ich auf den Boden stieg, begegneten mir Johann und Franz. Sie fragten wo ich während der Nacht gewesen sei, und ich gestand ihnen, dass ich immerzu gelesen habe. „Da mach nur schnell!“ rief Johann. „Wenn der Alte durch Fenster sieht, dass du jetzt erst Schnee schaufelst, kannst du die nächste Nacht schuften!“ Ich arbeitete mich in Schweiß und war gerade fertig geworden, als Cäcilie am Fenster erschien und ihre Polizeiblicke nach der Werkstatt und dem Dache sandte. Der lange Lorenz fand einen glühenden Ofen – und alles war gut.

      Meine Müdigkeit verschwand, sobald ich an Schillers Werke dachte. Fast fühlte ich mich kräftiger und frischer als sonst des Morgens – trotz der durchwachten Nacht. Lustig flogen die Späne aus dem Hobel, und eine Schillersche Strophe nach der andern ging mir durch den Sinn. Wonnig und glückverheißend strahlte das Licht des Februarmorgens durch die bestaubten Werkstattfenster. Ein neues Leben fieberte in mir…

      Der junge Wagenbauer erhielt das Buch pünktlich zurück. Ach, wie gern hätte ich auch die andern Bände gelesen – Wallenstein, Maria Stuart und Wilhelm Tell, von denen ich aus der Lebensbeschreibung des Dichters Kunde erhalten! Doch der Wagenbauer war unerbittlich; er sagte, seine Schwester habe die Bücher dem Bräutigam zurückgegeben.

      Im Laufe des ganzen Tages und der nächstfolgenden Tage beschäftigte ich mich in Gedanken fast unausgesetzt während der Arbeit mit den Gedichten und den Räuber. Das Lied von der Glocke konnte ich schon zum großen Teil auswendig hersagen; auch einige Strophen aus dem Liede an die Freude und aus der Leichenphantasie. Das Punschlied und das verlassene Mädchen saßen mir fest im Gedächtnis. Schon am ersten Tage versuchte ich mich selbst um Dichten, und es dauerte nicht lange, so war ein Gedicht „An die Pfaffen“ fix und fertig. Das Gedicht kam mir so großartig vor, die Reime klappten so vorzüglich und die Silben waren so genau an den Finger abgezählt, dass ich in Ehrfurcht für mich selbst erglühte.

      Der Meister war Mietleser einer Zeitung, und manchmal geschah es, dass ich eine ältere Nummer erhaschen konnte. In diesen Blättern stand viel zu lesen vom Kulturkampf. In einem Artikel hieß es, dass der gehörnte Siegfried Otto Bismarck das deutsche Land säubern wolle von Pfaffen und Römlingen. Nicht dem frommen Glauben und nicht der katholischen Kirche gelte der Krieg, den er begonnen, sondern der Afterkirche und dem schwarzen Pfaffengeschmeiß, das überall den Samen der Zwietracht streue, den Frieden des Hauses störe und das Volk in Dummheit erhalten wolle. Zwar vermochte ich nicht zu ergründen, was die Afterkirche für ein Ding sei; aber ich zweifelte nicht, dass sie den Hass aller Guten und Gerechten verdiene, und mithin hasste ich sie aus voller Seele. Auch vom schwarzen Pfaffengeschmeiß hegte ich eine recht unbestimmte Vorstellung, vermutete jedoch, dass gewisse Klostermönche gemeint seien. Ich war fromm und gläubig, sogar außergewöhnlich fromm; aber da das Pfaffengeschmeiß Zwietracht säte, den Frieden des Hauses störte und das Volk in Dummheit erhalten wollte, freute ich mich herzlich, dass der gehörnte Siegfried Otto von Bismarck das Land befreien werde. Ich bildete mir ein, dass er mit seinen Soldaten von Kloster zu Kloster und von Ort zu Ort ziehe und die Pfaffen vertreibe, die wahren Priester jedoch unbehelligt lasse – was auch ausdrücklich in der Zeitung gesagt war. In meinem ersten Gedichte ermunterte ich den gehörnten Siegfried, die Pfaffen nicht zu vertreiben, sondern totzuschlagen, auf dass sie von Erdenrund verschwänden und in der Hölle Schlund kämen. Eigentlich war dieser Vorschlag nicht ernst gemeint; ich empfahl die schreckliche Mörderei nur aus dem Grunde, weil mein Gedicht recht herzhaft klingen sollte. Je öfter ich meine Verse heimlich hersagte, desto mächtiger ward der Glaube in mir, dass ich ein zweiter Schiller sei. Ich konnte mich in der Pracht meiner Reime: Bismarck – sei stark – Pfaffen – zusammenraffen – Erdenrund – Höllenschlund – Siegfried du – immerzu - - und meine Selbstbewunderung war nicht um vieles geringer, als die Bewunderung, die ich für Schiller hegte.

      In der Meinung, dass Schillers Werke auf alle Gemüter eine so urgewaltig bezwingende Wirkung ausüben müssten, wie auf das meine, trug ich nach Feierabend meinen beiden Gefährten das Lied von der Glocke und das Lied an die Freude vor, soweit ich die beiden Gedichte im Gedächtnis behalten hatte. Mein eigenes Gedicht schloss ich an. Sie hörten zwar willig zu, blieben aber kalt und unterbrachten mich zuweilen mit Bemerkungen, die mir recht dumm erschienen. Ich glühte ganz in Begeisterung. In ungestümem Lodern suchte die heiligen Flammen die Herzen der Freunde zu erfassen; doch die Herzen der Freunde waren nicht empfänglich für solches Feuer. Einen großen Trost in dieser argen Enttäuschung gewährte mir das Lob, das Johann meinem eigenen Gedichte spendete. Er sagte, es gefalle ihm besser, als die Gedichte von Schiller; es läge doch wenigstens ein hübscher Sinn darin. Ich verteidigte Schiller mit brennendem Eifer; dabei aber fühlte ich mich sehr geschmeichelt durch die mir gespendete Anerkennung, und aus Dankbarkeit erzählte ich die Lebensgeschichte des berühmten Dichters. Dass es Schiller, der Sohn eines armen Regimentarztes, nur durch Gedichte und Theaterstücke, sonst durch gar nichts, zum berühmten Manne, sogar zum Professor, zum Hofrat und zum „Herr von“ gebracht hatte, kam den beiden Freunden sonderbar und erstaunlich vor. Jeder von uns dreien empfand schon längst die Sehnsucht, einmal ein großes Tier zu werden, und wir hatten bereits manchmal die Frage besprochen, auf welche Weise wir zu dem gewünschten Ziele gelangen könnten, um ein Leben in Müßiggang, Schwelgerei und Reichtum führen zu können. Bei der Betrachtung des Schillerschen Lebenslaufes kam die alte Frage wieder zur Sprache, und das vorhandene Beispiel lockt zu Nachahmung. Franz fragte, ob das Dichten schwer sei, und da ich diese Frage nach bester Überzeugung eindringlich verneinen und dabei auf mein Gedicht „An die Pfaffen“ hinweisen konnte, kamen wir alle drei zu der Ansicht, dass es ratsam sei, zu dichten. Wir wussten zwar nicht, wie viele Gedichte jemand gemacht haben müsse, um Professor oder gar adelig zu werden; doch sagten wir uns, das würde sich mit der Zeit schon finden. Ich war viel weniger genusssüchtig, als meine Freunde; mir galt der bloße Ruhm als das erstrebenswerteste Ziel. Aber da es mir lieblich und erhaben vorkam, vereint mit gleich gesinnten und gleich strebenden Freunden um die Ruhmeskrone zu werben, suchte ich schlauerweise die beiden Genossen dadurch zu Dichten anzufeuern, dass ich immer wieder auf den Professortitel und den Adel hinwies. Nach kurzer Überlegung entschlossen sich Franz und Johann, zunächst Professoren zu werden. Die begannen also zu dichten.

      So kam es, dass wir Dichter wurden.

      Der Ausmarsch

      Wir hatten Glück. Wenige Tage, nachdem Schillers Werke für uns zum großen Ereignis geworden, verschwand der Meister.

      Langsam vollendeten wir unsere Arbeiten. Als wir fertig waren und die Gesellen ihre Tätigkeit eingestellt hatten, konnten wir dichten von morgens bis abends. Mein Vertauschtes Kind nahm an Umfang und Schönheit zu. Ich schuf es nach dem Vorbilde, das mir die Räuber geliefert hatten. Das Beste daran schienen mir die schändlichen Selbstgespräche zu sein, die ein Ritter hielt, der aus teuflischer Bosheit ein Grafenkind geraubt und dafür das Kind eines Scharfrichters in die Wiege gelegt hatte. Für wohl gelungen hielt ich auch die Reden der Gräfin und der Amme an der Wiege des Kindes. Sie wunderten sich über die Veränderung, die sie an dem Kleinen Geschöpf wahrzunehmen glaubten. Die Gräfin hörte zuweilen in ihrem liebenden Mutterherzen eine grauenvolle Stimme, die ihr sagte, dass sie ein fremdes Kind liebkose. Vergeblich forschte sie nach dem Muttermal an der linken Brust, das sie bald nach der Geburt gesehen hatte. Die Amme, die mit dem schuftigen Ritter in Bunde stand, suchte ihr einzureden, dass das mal am siebenten Tage nach der Geburt langsam verschwunden sei. Zuletzt sollten Gerechtigkeit und fromme Unschuld siegen; auf welche Weise – das war mir noch zweifelhaft… Das Stück war für das Stadttheater bestimmt. Wenn ich mir im Geiste das Erstaunen des Theaterdirektors vorstellte, in das ihn mein Vertauschtes Kind versetzen sollte, geriet ich in wilde Freude und unbändigen Stolz. Ich sah ihn begeistert meine Blätter lesen und hörte ihn verwundert fragen, wie es möglich sei, dass in einer kleinen