Frank. Ich werde dich nie vergessen“, flüsterte sie, mit einem letzten Blick auf Franks Grab.
Frank, der vor drei Monaten noch lachend neben ihr gesessen, zusammen mit ihr gemeinsame Pläne geschmiedet hatte.
Frank, der zur falschen Zeit am falschen Platz war. Frank, der in die Schusslinie zwischen Täter und Polizei geraten war, am Tag des Banküberfalls in der kleinen Filiale der Golden Four Bank. Frank, der dabei von der Kugel des Bankräubers tödlich getroffen worden war.
Frank, Lauras Verlobter, ohne den sie sich ein Leben gar nicht hatte vorstellen können. Frank, den sie seit ihren Kindertagen gekannt, mit dem sie bereits im Sandkasten gespielt hatte, gemeinsam zur Schule gegangen war, und bis vor Kurzem auch gemeinsam studiert gehabt hatte.
Anwälte hatten sie werden, gemeinsam eine Anwaltskanzlei eröffnen wollen. Frank, dessen Ziel es gewesen war, ein neuzeitlicher Robin Hood zu sein. Dessen erstrebtes Ziel es war, Unschuldige solange zu verteidigen, bis ihre Unschuld auch erwiesen war.
Laura wischte die Tränen ab. Sie durfte sich nicht in gestorbene Träume fallen lassen, sie musste ihr Leben neu in den Griff bekommen. An der Uni hatte sie sich eine Auszeit von einem Jahr genommen, zum Leidwesen von Professor Andergast, der in Laura eine angehende Staranwältin, mit glänzender Karriere sah.
Laura fegte den Schnee von ihrem Jeep Chrysler und fuhr nach Hause.
Kaum dass sie die Tür öffnete, hörte sie auch schon ihre Mutter rufen: „Laura, Liebes, bist du das?“
Noch bevor Laura antworten konnte, kam freudig bellend Vivaldi, ihr elf Monate alter Husky, angesprungen. Vivaldi, den Frank ihr eines Tages mitgebracht hatte. Vivaldi, mit dem sie so viele gemeinsame Ausflüge gemacht hatten, und dem es am besten am Strand von New Hampshire gefiel.
„Laura, du solltest nicht immer zum Friedhof gehen. Das bringt Frank auch nicht mehr zurück.“ Irma Mac Allister sah ihre Tochter besorgt an.
„Ist schon gut, Mom. Ich komme darüber hinweg. Irgendwie … Eines Tages.“ Laura sah ihre Mutter mit ihren großen braunen Augen an. „Ich fahre gleich.“
„Hast du dir das auch ganz genau überlegt? Laura, du bist erst fünfundzwanzig, du hast dein ganzes Leben noch vor dir. Und die Uni, warum …“
„Mom, ich habe mein Studium nicht geschmissen. Ich habe mir lediglich ein Jahr Auszeit genommen. Ich muss zur Ruhe kommen. Mein Leben neu sortieren. Alle meine bisherigen Pläne, sie waren alle zusammen mit Frank geplant.“ Sie wischte die neuaufkommenden Tränen weg. „Nun bin ich alleine. Jetzt muss ich alles neu überdenken, neu ordnen.“
„Was gibt es da zu bedenken, Laura? Du wolltest immer studieren, Anwältin werden. Das war dein großer Traum. Hast du das völlig vergessen?“
„Nein, Mom, das habe ich nicht. Und dennoch brauche ich jetzt Zeit, einfach nur für mich.“ Sie strich Vivaldi übers Fell. „Wärst du bitte so gut und würdest in meiner Wohnung nach dem Rechten sehen? Und die Pflanzen gießen.“
„Sicher, aber … Laura, überleg‘ es dir doch noch einmal. Du weißt, in diesem Haus ist immer ein Zimmer für dich frei.“
„Ja, ich weiß. Danke, Mom.“ Sie ging in die Küche, schenkte sich einen Kaffee ein und setzte sich an den Tisch. Vivaldi folgte ihr, um gleich danach wieder davon zu trotten.
„Vivaldi nehme ich mit, um den brauchst du dich nicht zu kümmern.“
„Du nimmst ihn mit? Weißt du überhaupt schon, wohin du willst? Und ob dort Hunde erlaubt sind? Laura, du weißt, nicht jeder erlaubt die Haltung eines Haustiers. Und Vivaldi ist auch nicht gerade als klein und zierlich zu bezeichnen.“
„Mom, er ist ein Husky. Huskies sind keine Rasse, die dazu geboren sind, klein und zierlich zu bleiben.“ Laura stand auf, pfiff Vivaldi zu sich, anschließend verabschiedete sie sich von ihrer Mutter.
„Fährst du noch in deine Wohnung?“
„Nein, ich habe meine Koffer bereits gepackt. Alles schon im Wagen verstaut.“ Sie umarmte ihre Mutter. „Mach‘ dir keine Sorgen um mich. Ich weiß schon, was ich tue. Außerdem bin ich nicht allein. Ich habe Vivaldi bei mir.“
„Laura, es ist bald Weihnachten …“
Laura schüttelte den Kopf. Leise, sagte sie: „Nein, Mom, dieses Weihnachten werde ich alleine verbringen.“
„Ruf an, bitte, Laura, versprich mir, dass du anrufst.“
„Ja, wenn ich mich danach fühle. Aber vorerst rechne nicht damit. Ich muss einfach zu mir selbst wiederfinden, und dabei muss ich alleine sein. Versteh’ das doch bitte, Mom.“
„Ich versuch' ’s. Versprochen.“
Laura lächelte ihrer Mutter noch einmal zu, dann verließ sie das elterliche Heim, in dem sie so viele Jahre ihres Lebens verbracht hatte, bis sie sich, zusammen mit Frank, eine große Drei-Zimmer-Wohnung genommen hatte. Eine Wohnung, in der sie an jeder Ecke Franks Nähe zu spüren glaubte. Eine Wohnung, in die sie zurzeit nicht zurück wollte.
Sie öffnete die Hecklade und Vivaldi sprang hinein, gleich danach fuhr sie los, mit unbekanntem Ziel. Sie wollte sich einfach überraschen lassen, wohin ihr Weg sie führen, zu welch‘ neuen Erkenntnissen sie kommen würde.
Irma Mac Allister sah ihr nach, bis sie mit ihrem zitronengelben Jeep an der Straßenecke rechts abbog, und sie ihre Tochter nicht mehr sehen konnte.
„Gott, bitte, pass‘ auf mein Mädchen auf. Mach, dass ihr nichts passiert.“ Sie war nicht damit einverstanden, dass Laura tat, was sie tat. Doch sie wusste auch, dass es für Laura der einzige Weg war, mit Franks Tod klarzukommen, ihn zu überwinden.
2 Das einsame Haus
Laura pausierte drei Tage in Salem. In einer spärlichen Dorfgaststätte mietete sie sich für diese drei Tage ein Zimmer. Vivaldi war kein weiteres Problem, da der Besitzer der Gaststätte nebenbei noch Hundezüchter war, und es ihn von daher nicht störte, dass sie einen Husky mit auf ihr Zimmer nahm.
„Er darf nur die anderen Gäste nicht belästigen, Mam“, erklärte er ihr, doch damit war für ihn das Thema Hund auch bereits erledigt.
Gemeinsam mit Vivaldi durchstreifte sie eine alte Filmstadt, die schon lange nicht mehr fürs Filmen genutzt wurde.
„Wenn ich Sie wäre, würde ich es mir gut überlegen, ob ich die alte Filmstadt besuche. Es gibt Leute, die behaupten, dass es in ihr spuken soll“, hatte sie Roger Watt, der Besitzer der Gaststätte, in der sie wohnte, gewarnt, bevor sie sich zu der alten Stadt aufgemacht hatte.
„Ich werde mich vorsehen“, hatte Laura geantwortet, und es war ihr sogar gelungen, ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern.
Die Filmstadt lag einsam und verlassen da.
Ein Teil der Stadt sah aus, als wären hier die Western mit John Wayne zustande gekommen, wieder andere erinnerten an Krimikulissen.
Eine der Straßen sah öde und tot aus. Die meisten Häuser waren in sich zusammengefallen. Nur ein Haus stand noch, ganz alleine und einsam am Ende der Straße.
Laura nahm Vivaldi an die Leine und ging auf das Haus zu. Je näher sie kam, desto mehr hatte sie das Gefühl, als würde sie beobachtet. Sie drehte sich um, doch niemand war da. Niemand hinter noch vor ihr. Sie schüttelte den Kopf. „Alles nur Einbildung“, sagte sie sich, und ging zielstrebig auf das Haus zu.
Der Vorgarten war verwildert, ein Baum durch einen Blitzschlag zerstört worden, so dass sich seine toten Äste gekrümmt zu Boden neigten.
Laura stieg die Stufen zur Veranda des Hauses hoch. Bei jedem ihrer Schritte knarrte die Holztreppe, als wollte sie jeden Moment unter ihren Füßen zusammenbrechen.
Die Tür war offen und schlug klappernd gegen den Türrahmen. Als Laura das