Vivaldi einige Schritte vors Haus zu tun.
Der Schneesturm war unterdessen noch heftiger geworden, so dass Laura immer wieder die Augen schließen musste, wollte sie nicht, dass ihr die dicken Schneeflocken in die Augen stoben.
Den Blick aufs Haus gerichtet, strahlte es einladende Wärme und Gemütlichkeit aus, in dieser bitterkalten Dezembernacht.
Laura nahm sich vor, unabhängig davon, ob der Schneesturm noch länger anhalten würde, einige Tage, bis Weihnachten, das Haus anzumieten, und hier Heiligabend zu verbringen. Sie würde gleich morgen die Straße zurücklaufen, und sehen, dass sie in einem der Geschäfte weihnachtliche Dekoration kaufte, um die Tage ihres Hier seins so angenehm als möglich zu machen. Auch wenn sie über Franks Tod hinwegkommen musste, so liebte Laura Weihnachten, und wollte sich den Geist der Weihnacht erhalten, auch wenn der Verlust um Frank, ihr das diesjährige Weihnachten sehr schmerzlich sein lassen würde.
Laura ging mit Vivaldi zurück ins Haus. Sie schloss die Tür hinter sich, legte den Riegel vor, und lief mit Vivaldi nach oben.
Gemächlich packte sie ihren Koffer aus. Danach holte sie das Buch, das sie aus der Filmstadt mitgenommen hatte, aus der Tasche und legte es auf den Nachttisch. Anschließend ging sie ins Bad und wusch sich mit kaltem Wasser, da die Heizung noch nicht lange genug in Betrieb war, um das Wasser erhitzt zu haben.
Unterdessen müde geworden, legte sie sich schlafen. Als sie die Augen schloss, sah sie Franks Gesicht vor sich. Lachend, vor Freude strahlend. Es war der Tag, als er ihr Vivaldi mitgebracht hatte. Laura weinte. Sie drehte sich auf den Bauch, vergrub ihr Gesicht im Kissen, das einen feinen Geruch von Jasmin verströmte, und weinte sich in den Schlaf.
So bemerkte sie nicht, dass sich das Buch öffnete, die Seiten umblätterten, und sich ein großer schwarzer Tintenfleck auf einer der Seiten bildete.
4 Der Fleck
Nachts um drei glühte die Heizung auf Hochtouren.
An der Tür bewegte sich der vorgelegte Riegel und öffnete sich lautlos.
In Lauras Zimmer hob Vivaldi den Kopf, sah hoch zu dem Buch und spitzte die Ohren.
Die Buchstaben des Buches pulsierten, die aufgeschlagenen Buchseiten lagen wie in einen Flammennebel gehüllt, da, während sich der schwarze Fleck blutrot verfärbte.
Der Keller war erfüllt von einem Raunen, das an ängstlich wimmernde Stimmen bei stürmischer See, erinnerte. Schatten hoben sich vom rußgeschwärzten Kellerboden ab und zogen zur Treppe hin. Langsam zogen sich die Stufen hoch und schlängelten sich unter dem winzigen Spalt der Kellertür hindurch.
Vivaldi jaulte, lief zur Zimmertür und blieb mit gefletschten Zähnen, knurrend davor stehen.
Von all dem, bemerkte Laura nichts. Sie schlief tief und fest, wie schon lange nicht mehr seit Franks Tod.
Flüsternde Stimmen entflohen den Buchseiten, das Zimmer war in brennendes Orange gehüllt. Doch Laura schlief. Tief und fest.
Von der Eingangstür bewegte sich ein Schatten nach oben, hin zu Lauras Zimmer. Ohne die Tür zu öffnen, betrat er den Raum. Blieb vor Lauras Bett stehen, während Vivaldi winselnd aufjaulte.
Laura fuhr hoch. Vivaldis Jaulen hatte sie geweckt. Orientierungslos schaute sie sich um.
Die Buchseiten lagen wieder so da, wie Laura selbst, das Buch hingelegt hatte, so dass sie den Fleck, der sich unterdessen wieder schwarz umgefärbt hatte, nicht bemerkte.
Das Klopfen der Heizung drang in ihre Ohren. Ein Geräusch, das sie frösteln ließ.
„Still, Vivaldi! Das ist nichts weiter, nur die alte Heizung. Wahrscheinlich gehören die Ventile einmal richtig entlüftet, damit dieses grauenvolle Geräusch aufhört. Doch werden wir das auf gar keinen Fall mitten in der Nacht machen. Vielleicht kann ich ja auch morgen irgendwo einen Klempner auftreiben, der sich das alte Ding einmal ansieht, und mit etwas Glück, auch noch reparieren kann.“ Sie beugte sich zu dem Hund hinunter und redete beruhigend auf ihr ein. Anschließend legte sie sich wieder hin, schloss die Augen und schlief auch nach wenigen Minuten wieder ein.
Die Gestalt vor ihrem Bett hatte Laura nicht bemerkt. Auch nicht, dass sie die Hand auf das Buch legte, als Laura wieder in Schlaf gefallen war. Die Buchstaben zitterten rötlich auf, und erneut verfärbte sich der Fleck in glühendes Rot.
Zeitgleich stöhnten die Schatten schmerzverzehrt auf; und und hetzten zurück, hinein in den Schutz des Kellers: Auch jene Schatten, die schon beinahe Lauras Zimmer erreicht hatten, huschten eilig in den Keller zurück, und zerflossen erneut auf und mit dem rußgeschwärzten Kellerboden.
5 Spuren der Nacht
Als Erstes fiel ihr Blick auf den Wecker. Es war kurz nach sieben. Sie streckte sich. Ihre Füße lugten unter der Bettdecke hervor. „Puh, ist das kalt! Vivaldi, hast du nicht aufgepasst? Kann es sein, dass die Heizung heute Nacht ausgefallen ist?“ Sie beugte sich zu Vivaldi hinunter, der vor ihrem Bett lag und mit seinen unschuldigen Hundeaugen zu ihr hochschaute; dabei strich sie ihm übers Fell.
Nachdem sie aufgestanden war, ging zum Fenster und schob es hoch. Bittere Kälte, klare, eiskalte Luft drang herein.
„Frische Luft muss sein, Vivaldi. Komm, wir gehen in den Keller und sehen nach der Heizung.“ Sie öffnete die Tür und ging nach unten. Auf der Mitte der Treppe blieb sie verwundert stehen. Sie besah die schmutzigen Flecken, die auf einigen der unteren Stiegen zu sehen waren. Eigenartig, wunderte sich Laura, das ist mir gestern Abend gar nicht aufgefallen. „Werden wir später wohl doch noch putzen müssen.“ Sich nichts weiter dabei denkend, setzte sie ihren Weg zum Keller fort.
Sie zog die Kellertür auf und tastete mit den Fingern nach dem Lichtschalter. Vorsichtig stieg sie hinunter und sah nach dem Heizkessel. „Komisch. Das muss der Sturm gewesen sein, der den Heizkessel ausgeweht hat.“ Mit geschickten Fingern schaltete sie den alten Kessel wieder an. Sofort gluckerte und dröhnte es. „Gut so. Jetzt werden wir hoffentlich bald wieder warm haben.“ Zufrieden, das Problem derart schnell gelöst zu haben, ging wieder nach oben.
Die Aussicht, sich wieder mit kaltem Wasser waschen zu müssen, erschien ihr zwar nicht allzu verlockend, dennoch blieb ihr letztendlich nichts anderes übrig, als sich in ihr Los zu fügen. Zu warten, bis der Kessel den großen Wassertank erhitzt haben würde, dazu verspürte sie nicht die geringste Lust.
Als sie wieder an den Spuren der Nacht vorbeikam, blieb sie erneut stehen und strich mit den Fingern darüber. Sie sah auf den Schmutz, zerrieb ihn zwischen den Fingern. Kopfschüttelnd, lief sie weiter. „Ruß, auf der Treppe, wie der dahinkommt?“, fragte sie sich.
Als sie mit der Morgentoilette fertig war, ging sie vor die Tür, und war über die Schneemassen, die sich in der Nacht angesammelt hatten, mehr als sprachlos. „Tja, da wird uns nachher nichts anderes übrig bleiben, als ins Dorf zu laufen.“
Nach dem Frühstück verbrachte sie mit Vivaldi eine Viertelstunde draußen, in der eisigen Kälte.
Vivaldi genoss den Schnee. Mit der Schnauze wühlte er darin herum.
Auch Laura tat die frische, klare Morgenluft gut, auch wenn es bitterkalt war, und ihre Ohren von der Kälte schon wehtaten.
Dass sich die Gardine ihres Zimmers bewegte, merkte sie auch hier nicht. Und hätte sie es gesehen, hätte sie es sicherlich auf einen Luftzug zurückgeführt.
6 Das kleine Dorf
„Das gefällt dir, Vivaldi.“ Lächelnd sah Laura ihrem vorausspringenden Husky zu, wie sich seine langen Beine einen Weg durch die hohen Schneemassen wühlten. Wie gut, dass du ein Husky bist, dachte Laura, somit ist der viele Schnee keine allzu große Mühsal für dich. Laura zog ihren Schal hoch zu ihrem Gesicht. Die Luft war klar, doch bitterkalt.