entlang, während Vivaldi unaufhörlich weiterlief.
Die Straße schaute aus, wie aus einem Weihnachtsmärchen entliehen. Überall lagen Schneeberge, die bis zu den Knien reichten. Von den Dorfbewohnern jedoch fehlte jede Spur. Auf Laura machte es den Eindruck, als hätten sich die Bewohner des Dorfes am gestrigen Abend alle in ihre Häuser geflüchtet, um sich vor dem Schneegestöber in Sicherheit zu bringen.
Nur an ganz wenigen Stellen wiesen Spuren darauf hin, dass bereits vor ihr jemandes Füße, die Schneemassen bezwungen hatten.
Der Schneesturm der vergangenen Nacht hatte nachgelassen und es schneite nur noch wenig.
Nochmals sah Laura sich um. Versuchte, von einigen der Schilder, die ruhig über den Einkaufsläden hingen, die Namen abzulesen. Langsam ging sie weiter in das kleine Dörfchen hinein, von dem sie bisher noch nicht einmal den Namen kannte.
Über einem der Läden stieg dichter Rauch aus dem Kamin. Laura hielt ihre Nase in die Luft und schnupperte dabei wie ein Hund. „Ein Bäcker. Dort muss eine Bäckerei sein“, sagte sie, und nahm sich vor, vor Verlassen des Dorfes, der Bäckerei einen Besuch abzustatten und Brot und Gebäck für die nächsten Tage einzukaufen. Als sie am Geschäft des Bäckers vorbeikam, lud der gefüllte Brötchenkorb, der im Schaufenster ausgestellt war, zum Betreten des Ladens ein. Auch die cremefarbene Marzipantorte sah sehr verlockend aus. Mehr jedoch konnte Laura von dem Laden nicht ausmachen, da der größte Teil der Fensterscheibe, beschlagen war. Laura lief weiter, denn sie war auf der Suche nach einem Geschäft, in welchem sie einige Weihnachtsartikel kaufen konnte, um das Haus, das sie zurzeit bewohnte, ein klein wenig mit weihnachtlicher Atmosphäre zu erfüllen. Weihnachten, wie sehr liebte sie es. Und wie schmerzlich würde es doch dieses Jahr für sie sein. Das erste Weihnachtsfest, seit Jahren, das sie ohne Frank verbringen musste. Wieder sah sie Franks Gesicht vor sich. Erneut füllten sich ihre Augen mit Tränen. Frank. Niemals wieder würde es ein Weihnachten, mit ihm zusammen, geben.
Laura blieb stehen, und suchte in ihrer Manteltasche nach einem Taschentuch. Sie wischte sich die Tränen von den Augen und schnäuzte sich. „Das Leben, Laura Mac Allister, muss weitergehen. Du musst einen Weg für dich finden, damit klarzukommen!“, forderte sie sich selbst auf, und sah auch in diesem Moment wieder Franks Gesicht vor sich, und wie er ihr aufmunternd zunickte.
Entschlossen ging Laura weiter, während sie versuchte, auf andere Gedanken zu kommen, und die erneut aufsteigenden Tränen, zu unterdrücken.
7 Omas Wollstube
Die Türglocke läutete so leise, als wäre sie des Läutens im Laufe der Jahre müde geworden.
Zusammen mit Vivaldi, betrat die junge Frau den kleinen Laden. Wohlige Wärme hüllte sie auch gleich ein. Die Wärme tat ihr gut, nach all der Kälte im Freien. Sie öffnete ihren Mantel und nahm den Schal ab.
Auch wenn der Laden nicht das war, was sie suchte, so hatte sie sich dennoch dazu entschlossen, ihn zu betreten. Möglicherweise konnte der Inhaber des Ladens ihr sagen, wohin sie gehen musste, um einige Artikel Weihnachtsdekoration, zu bekommen. Langsam ging sie weiter in den Laden hinein. „Hallo? Ist da jemand?“, rief sie, nachdem niemand auf das Läuten des Glöckchens reagierte.
„Bin gleich da. Einen kleinen Moment noch“, kam es zurück. „Sehen Sie sich schon einmal um“, forderte eine ältere Frauenstimme, Laura auf.
Laura sah sich um. Rings um sie herum waren Regalfächer mit Wolle befüllt. In einer kleinen Nische standen alte Milchkannen, aus denen Stricknadeln herausragten. Weiter hinten war eine Tür offen. Laura ging darauf zu, und wagte es sich, hineinzusehen. Im Zimmer dahinter saß ein Junge, vielleicht elf Jahre alt, und las.
Eine gebückt gehende alte Frau kam den Flur entlang. Als sie Laura sah, rief sie: „Kommen Sie rein, wir beißen nicht. In unserem Dorf sehen wir das nicht so engstirnig. Bei uns darf man auch hinter die Geschäftsräume sehen.“
„Guten Tag. Entschuldigung, dass ich hier einfach so eindringe.“
„Kein Grund zur Entschuldigung. Wie ich schon sagte, in unserem Dorf nehmen wir’s nicht ganz so genau. Kommen Sie, folgen Sie mir in die Küche.“ Sie schnupperte. „Riechen Sie das? Meine Plätzchen. Muss sie erst herausholen, sonst verbrennen sie noch. Danach habe ich Zeit, mich um Sie zu kümmern.“ Sie winkte Laura, um dass sie mit ihr kommen, ihr folgen sollte.
Laura nickte und folgte der Frau in die Küche.
„Rufus, wirst du wohl gefälligst Guten Tag sagen, wenn Fremde unseren Laden betreten.“ Die Ladenbesitzerin warf einen strengen Blick zu dem Jungen am Tisch hin. Doch der ließ sich nicht weiter stören. Zu interessant war das, was er am Lesen war. Er konnte seine Augen dem Buch lassen.
An Laura gewandt, brummte die ältere Frau: „Das müssen Sie verstehen. Normalerweise ist er nicht so. Aber er hat lange auf dieses Buch gewartet. Und jetzt, da er es endlich hat, legt er es einfach nicht mehr aus der Hand.“ Liebevoll strich sie dem Jungen durch sein dichtes dunkelbraunes Haar.
„Aber das macht doch nichts“, antwortete Laura, mit einem verständnisvollen Blick auf den Jungen, der nun endlich zu ihr herübersah, ihr kurz zunickte, um sich auch gleich wieder, seinem Buch zu widmen.
„Er ist eben, wie er ist. Einer seiner Vorfahren muss eine Ratte gewesen sein. Wie sonst sollte er sich zu solch einem Bücherwurm entwickelt haben.“
„Eine Ratte? Ich verstehe nicht …“ Laura sah die ältere Frau verwundert an. Ob sie senil ist?, überlegte sie, doch als die Frau ihr antwortete, musste sogar Laura lachen, und schämte sich, ihrer Gedanken wegen.
„Nun ja. Rufus, er ist eine Leseratte. Deswegen, das mit den Vorfahren. Ist ein Witz, zwischen ihm und mir. Zudem“, sie zwinkerte dem Jungen zu, „hält er sich sogar eine Ratte als Haustier; von daher liegt der Gedanke doch gar nicht einmal so fern.“
„Was liest du, wenn ich dich das fragen darf?“, erkundigte Laura sich, interessiert. „Ich lese auch gerne, und auch viel, wenn es meine Zeit erlaubt.“
Der Junge hob den Kopf. Strahlend nannte er ihr den Buchtitel.
„Das ist doch von dieser bekannten Kinderbuchautorin. Ist erst vor einer Woche rausgekommen, und natürlich habe ich es Rufus auch sofort kaufen müssen. Soll der erste Band von insgesamt drei sein, glaube ich“, erklärte die alte Frau.
„Ja. Ist spannend. Will und Jacob …“
Laura legte den Finger auf den Mund. „Wenn es derart spannend ist, Rufus, solltest du mir besser nichts verraten. Wer weiß, vielleicht möchte ich dieses Buch irgendwann einmal, selbst lesen.“
Verwundert schaute Rufus auf. „Du? Bist du nicht schon viel zu alt für solche Bücher?“
Laura schüttelte den Kopf. Immerhin, als begeisterte Leserin, sagte ihr der Name der Autorin natürlich etwas. Sie besaß einige ihrer Bücher und hatte auch eine DVD, von einer Trilogie, die verfilmt worden war.
„Wie oft muss ich dir noch sagen, Rufus, dass man Fremde nicht mit Du anspricht!“, ermahnte die ältere Frau den Jungen.
Laura lächelte sie an, gleich darauf zwinkerte sie verschmitzt, Rufus zu. „Aber das macht doch nichts. Ganz so alt bin ich ja nun auch noch nicht. Wie alt bist du, Rufus?“
„Dreiviertelzwölf“, antwortete der Junge, ohne sich beim Lesen, unterbrechen zu lassen.
„Rufus!“ Die ältere Frau hob mahnend ihren Zeigefinger.
„Ist ja schon gut, Oma. Ich bin elf. Aber nicht mehr lange. An Silvester habe ich Geburtstag, da werde ich zwölf.“
„An Silvester? Das ist aber toll. Da werden ja jedes Jahr für dich Raketen abgefeuert.“ Laura setzte sich zu Rufus an den Tisch.
„Das sagt Oma auch immer.“
„Tja, deine Oma weiß, wovon sie spricht.“ Laura tat es gut, endlich wieder