J.L. Stone

Sieben Schwestern - Wolfsbande


Скачать книгу

Nell das Schweigen und stupste Nathalie sachte an. »Dann lasst uns endlich aufbrechen. Du musst uns den Weg zeigen, Nathalie. Schließlich kennst du den am besten und weißt, wo sich die Pforte befindet.«

      Oh, oh!

      Was hatte das nun wieder zu bedeuten?

      Doch ich riss mich am Riemen und hielt den Mund. Dafür war jetzt nun wahrlich nicht der rechte Zeitpunkt. Was sie damals getrieben hatte, ging mich einen feuchten Kehricht an.

      »Dann mal los, Mädels«, fordert Nathalie uns auf.

      »... und Jungs«, fügte sie nach kurzem Zögern hinzu.

      Doch anstatt uns in die Lüfte zu erheben, mussten wir zunächst einmal kriechen. Und das war gar nicht mal so leicht. Anscheinend waren Fledermäuse nicht dafür ausgerüstet, vom Boden aus zu starten. Wie es aussah brauchten sie einen überhöhten Ort, von dem aus sie sich fallen lassen konnten.

      Doch wo sollten wir den finden?

      So viel ich erkennen konnte, gab es im weiten Umkreis vor dem Tor keinen einzigen Baum oder Felsen, an dem wir hätten hinauf klettern können. Doch Nathalie schien ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben, denn sie kroch zielstrebig auf die Pforte zu.

      Es war gar nicht so leicht, sich mit den großen, immer noch ungewohnten Flügeln und den kurzen Beinchen durchs hohe Gras zu kämpfen. Immer wieder musste ich kleine Umwege einlegen. Innerlich verfluchte ich die drei, dass sie nicht eine andere Gestalt gewählt oder wenigstens mit der Verwandlung gewartet hatten, bis wir in der Nähe eines Baumes oder sonst was Hohem gewesen wären.

      Aber nein, daran hatten sie nicht einen Gedanken verschwendet. Und ich musste es jetzt ausbaden.

      Mühsam kroch ich den Schwestern hinterher und kam so dem Tor langsam aber stetig näher. Nach scheinbar endlosen Minuten erreichte ich es endlich.

      Wenn mir vor wenigen Tagen jemand erzählt hätte, dass es solche Pforten gab und man sie zur Passage zwischen zwei Welten nutzen konnte, hätte ich ihn lauthals ausgelacht. Doch mittlerweile hatte ich mich so sehr daran gewöhnt, dass es für mich schon fast normal war, durch das goldene Flimmern zu schreiten.

      Mit einem erleichterten Seufzer folgte ich den drei Frauen durch den flimmernden Torbogen – und fand mich übergangslos auf rauem Asphalt wieder. Hinter mir schloss sich der Durchgang.

      Verwundert schaute ich mich mit Hilfe des Ultraschalls um, so weit es eben möglich war. Ein schmaler Grünstreifen begrenzte den asphaltierten Weg auf beiden Seiten.

      »Wie weit ist es denn noch?« schnaufte Nell.

      Die Anstrengungen waren auch an ihr nicht spurlos vorbei gegangen.

      »Dort ist unser Ziel«, erklärte Nathalie und deutete mit einem Flügel nach rechts.

      Im schwachen Schein einer Straßenlaterne konnte ich den nur halb ausgeleuchteten Stamm, eines in meinen Augen riesigen Baumes erkennen, dessen dichtes Astwerk vom ausgestrahlten Licht seltsam illuminiert wurde. Doch als ich erkannte, dass er noch über drei Meter entfernt war, stöhnte ich gequält auf.

      Hätten sie mit ihrem Ritual denn nicht warten können, bis wir in seiner Nähe gewesen wären?

      Dann bräuchte ich jetzt nicht dicht hinter ihnen mühsam über den welligen Asphalt zu kriechen und mir dabei die Haut aufzuschürfen. Allmählich verging mir die Lust an diesem Abenteuer.

      Abermals wollte ich ihre Gedankenlosigkeit verfluchen, als mehrere Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit an uns vorbei brausten. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sich auf der anderen Seite des Grünstreifens eine Straße befand. Eine blaue Kuppel hätte da bestimmt merkwürdig in der Allee ausgesehen.

      Doch dann viel mein Blick auf Nathalie, wie sie sich verbissen vorwärts kämpfte und keine Müdigkeit oder Zögern erkennen ließ. Sie wollte ihren einmal gefassten Entschluss unbedingt verwirklichen. Nichts und niemand würde sie jetzt noch davon abhalten können. So schimpfte ich zwar weiterhin leise über die würdelose Kriecherei vor mich hin, doch kroch ich tapfer voran.

      »Oh nein!« stöhnte ich auf, als ich den dicken Stamm endlich erreichte und sah, wie sie sich mit ihren Flügeln entschlossen daran in die Höhe zog.

      Doch mir blieb keine andere Wahl, als es ihr gleich zu tun, obwohl mir allein schon von diesem Anblick die Schultern zu schmerzen begannen. Es sah verdammt anstrengend aus.

      Beharrlich zog ich mich an der rauen Rinde nach oben, hakte die kleinen Krallen an den Spitzen meiner Flügel in deren enge Rillen und Spalten, stemmte die Beinchen unter mir in die kleinste Unebenheit, um meine Arme zu entlasten.

      Nach schweißtreibenden Stunden, so erschien es mir wenigstens, erreichte ich endlich in circa zwei Metern Höhe ein dünnes Ästchen, an das ich mich erschöpft hängen konnte. Meine Höhenangst machte mir diesmal keine Schwierigkeiten, da ich ja nicht haltlos hinab stürzen konnte.

      Doch leider war mir keine Ruhepause vergönnt. Denn kaum hatten wir alle einen geeigneten Ast gefunden, da spreizte Nathalie, die etwas über mir hing, ihre ledrigen Flügel und ließ sich todesmutig in die Tiefe fallen. Mit einem schrillen und begeisterten Fiepen segelte sie geschwind in die Dunkelheit davon und war bald aus meinem Radar verschwunden.

      Ohne zu zögern folgten Nell und Neve ihrem Beispiel, während ich mir plötzlich nicht mehr so sicher war, ob es wirklich eine so gute Idee war, mich ihnen anzuschließen. Doch dann erinnerte ich mich daran, dass ich auch als Falke ganz gut zurecht gekommen war, obwohl ich zuvor noch niemals geflogen war.

      So nahm ich einen letzten, tiefen Atemzug, raffte all meinen Mut zusammen – und ließ los.

      Wie ein Stein fiel ich nach unten. Der schwarze Asphalt kam gefährlich schnell näher. Ich war wie gelähmt und vergaß vor lauter Schreck, meine Schwingen auszubreiten. Erst im allerletzten Moment übernahmen meine Instinkte die Kontrolle.

      Mit Mühe und Not gelang es mir den Sturz dicht über dem Boden abzufangen. Nur die Krallen meiner Beinchen und die Spitzen meiner Flügel berührten für einen Sekundenbruchteil den Asphalt. Ansonsten kam ich heil davon.

      Hektisch flatternd versuchte ich an Höhe zu gewinnen. Dabei zog ich immer größere Spiralen um den Baum, wobei ich immer mehr an Sicherheit gewann und schließlich die Spitze der Krone erreichte.

      Sobald ich dies geschafft hatte, sah ich mich rasch um, um herauszufinden, wohin sich die Schwestern gewandt hatten. Leichte Panik stieg in mir auf, als ich im ersten Augenblick keine Spur von ihnen fand. Wütend flatterte ich über dem Baum umher.

      Wie konnten sie nur so gedankenlos sein?

      Hatte ich nicht schon genug durchgemacht?

      Leise vor mich hin wetternd, kreiste ich weiter über dem Baum herum und bemühte mich verzweifelt, eine Spur von ihnen zu entdecken. Doch es wollte mir nicht gelingen. Immer hektischer flatterte ich hin und her, während mein kleines Herz wie wild pochte.

      Hoffentlich hatten sie mich nicht vergessen.

      Das wäre der absolute Gipfel!

      Warum hatten sie überhaupt die Gestalt von Fledermäusen gewählt und nicht die eines Nachtvogels mit einem wesentlich besseren Sehvermögen?

      Aber halt!

      Fledermäuse?!?

      Ultraschall! Natürlich!

      Wie hatte ich das nur wieder vergessen können?

      Diese kleinen nachtaktiven Flattertiere mochten zwar fast blind sein, aber mit ihrem Ultraschallsinn konnten sie sich noch in der tiefsten Finsternis hervorragend zurechtfinden, wie ich ja schon feststellen konnte.

      Mit neuer Zuversicht öffnete ich meine spitze Schnauze, stieß eine Folge der für Menschen fast unhörbaren Schreie aus und war bestrebt, deren Echos mit den relativ großen Ohren aufzufangen. Doch obwohl ich es gehofft hatte, gelang es mir mit diesem ersten Versuch nicht, den Aufenthaltsort der drei Schwestern zu ermitteln. Nicht die kleinste Reflexion kam zu mir zurück.

      So zog ich gezwungenermaßen weiter meine Kreise