Linda Große

Alte Männer - böser Traum


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      Es war erstaunlich, wie genau sie bei den obligatorischen jährlichen Festen seine Villa in Augenschein genommen hatte. Er fragte sich, wie lange sie schon von Heinrichs Absichten wusste. Einmal mehr fühlte er sich wie die Maus in der Falle. Seine ganze Welt schien einzustürzen, ein Gefühl, das ihm bisher völlig unbekannt war. Seine körperlichen Reaktionen darauf machten ihm zu schaffen und verunsicherten ihn in zunehmendem Maße. Gertrud spürte seine Verfassung instinktiv und nutzte die Situation schamlos zu ihrem Vorteil aus.

      „Und die Schweine kommen mir nicht mehr ins Haus, wenn wir verheiratet sind. Die Führung pflegt keinen Umgang mit diesem subalternen Gesindel! Und dieses lächerliche Zeichen der Solidarität mit dem Fußvolk kommt auch weg“, fügte sie noch hinzu und deutete dabei auf seine Glatze.

      „Und du wirst immer brav den Mund halten, wenn Männer sich unterhalten!“, konterte Plastrothmann endlich, den letzten Rest seines verletzten Stolzes zusammenkratzend.

      „Habe ich bei Tisch irgend etwas von Belang gesagt?“, entgegnete Gertrud ungerührt. „Ich kenne meine Aufgabe!“

      Ja, dachte er mit einer Spur von aufkeimender Erleichterung. Das wird die Sache ungemein erleichtern. Damit war sein Widerstand vollständig gebrochen, allerdings wurde ihm das gar nicht bewusst. Er war Heinrichs Geschöpf. Bei seiner Zeugung beginnend bis heute, Erfüllungsgehilfe des großen Plans. Die ganze Zeit, von dem Befehl Heinrichs am vergangenen Freitagabend bis heute, arbeitete es ununterbrochen in seinem Hinterkopf. Ja, er war für ein geeintes Europa, wenn es rechts handelt. Seine Ergebenheit diesem Gedanken gegenüber war ungebrochen. Die Ziele der Partei waren seine Ziele, unverändert. Doch Heinrichs Forderung war ihm wie eine Aufgabe seiner eigenen Identität erschienen.

      Es war erst wenige Stunden her, dass er Antoine zum Bahnhof gebracht hatte. Die naive Lebensfreude des Jungen fehlte ihm schon jetzt. Selbst der Abend mit dem jungen Maler, den er Antoines unbefangener Initiative zu verdanken hatte, war nach seinem anfänglichen Unmut außerordentlich anregend und entspannend geworden.

      „Komm schon, Siggi“, unterbrach Gertrud seinen Gedankengang und hakte sich bei ihm unter, „wir werden uns prima miteinander vertragen, glaub es mir.“

      Er war mittlerweile durchaus geneigt, ihr zu glauben. Was bedeutete dieses notwendige Arrangement denn schon. Nein, Gertrud war keine Gefahr für seine kleinen Freiheiten. Schließlich wollte sie selber auch ihre Eigenständigkeit behalten. Das zumindest hatte sie klar geäußert.

      „Allerdings“, sagte sie und drückte dabei seinen Arm, „geheiratet wird erst, wenn du endlich offiziell in die Partei eingetreten bist!“

      Kapitel 18

      Der Himmel hing wie ein nasser Schafswollpullover über der Stadt. Das trübe Morgenlicht drang mühsam durch die regennassen Blätter der wildwuchernden Büsche vor den Fenstern der Wirtschaftsküche. Für einen kurzen Moment verharrte Plastrothmann und schaute in das diffuse Licht. Seit dem Tod seiner Eltern benutzte er den Raum als Abstellkammer. Die achtlos zusammengestellten Teile bildeten schattige, kantige Objekte, undefinierbar in der dämmrigen Stille.

      Er hob langsam den Arm zum Lichtschalter. Die Beleuchtung, unerwartet hell, blendete ihn für einen kurzen Augenblick. Im Licht verlor das Gerümpel an Volumen und die Einrichtung dominierte jetzt den Raum. Die Küchenmöbel, der emaillierte Ausguss, ein Regal mit leeren, eingestaubten Weckgläsern, daneben die Spüle mit der anschließenden großen Arbeitsfläche. Darunter standen die großen Gerätschaften wie Entsafter und Einweckkessel.

      Das Szenario holte Kindheitserinnerungen in sein Bewusstsein, die er jetzt nicht haben wollte. Entschlossen, seine euphorische Aufbruchsstimmung, die mittlerweile schon drei Wochen unvermindert anhielt, durch nichts beeinträchtigen zu lassen, holte er den Zollstock aus der Hosentasche und begann damit, den Raum zu vermessen. Morgen würde Gertrud mit der Architektin kommen und da wollte er konkrete Vorstellungen parat haben.

      Der Regen hatte aufgehört. Er öffnete die Tür zum Garten um die abgestandene, staubige Luft aus der Küche zu lassen. Ein Blick in den verwilderten Gemüsegarten projizierte das Bild seiner Mutter in seinem so zufriedenen und entspannten Gehirn. Sie hatte den Garten geliebt und dem Gärtner nur die körperlich schweren Arbeiten überlassen. Diese Erinnerung trieb ihn auf die Terrasse und den schmalen gekiesten Weg, der am Gemüsegarten vorbei zur Seitenwand der Villa führte. Die Zweige des unbeschnittenen Buschwerks nässten sein Gesicht und seine Arme. Das Grundstück stieg von hier bis zur Straßenfront um knapp zwei Meter an, so dass sich die Kellerräume an der Vorderfront des Hauses befanden. Die Wirtschaftsküche nahm über die Hälfte der Hinterfront ein und lag ebenerdig zum Garten.

      An einigen Stellen waren die Büsche über dem Weg zusammengewachsen. Plastrothmann schob die Zweige mit den Armen beiseite. Sein Hemd war mittlerweile völlig durchnässt. Endlich erreichte er die schmale hohe Gartenpforte, die direkt neben der Villa auf die Straße führte. Sie war abgeschlossen, doch der Schlüssel steckte nicht wie vermutet im Schloss. Er kramte in seiner Erinnerung herum und plötzlich wusste er wieder, dass der große eiserne Schlüssel an einem Haken in der Küche hing, direkt neben der Tür zum Garten.

      Zufrieden drehte er sich um und legte den Kopf in den Nacken. Ein Blick nach oben bestätigte seine Gewissheit. Der vorgebaute Erker verhinderte den Blick zu den Fenstern der Dachwohnung. Gertrud beanspruchte sie für sich wegen des separaten Eingangs über die ehemalige Dienstbotentreppe. Nun, seine neue Gästewohnung würde ebenso ihren eigenen Zugang haben. Schließlich wollte er nicht auf Antoines Besuche verzichten!

      Seine Hochstimmung verstärkte sich noch und mit schnellen, entschlossenen Schritten kehrte er in die Küche zurück. Nach dem Ausmessen war er äußerst zufrieden. Die Küche war größer als es den Anschein hatte. Zwei Zimmer gab sie problemlos her. Zudem befand sich die Tür zum Garten in der Mitte der Vorderfront, rechts und links davon jeweils ein Fenster. So war auch das kein Problem. Die Zwischenwand konnte links neben der Tür gezogen werden für den kleineren Schlafraum, der größere Teil mit Ausgang zu Terrasse und Garten würde einen schönen Wohnraum ergeben. Für eine Kochnische war ebenfalls genug Platz vorhanden. Blieben noch Dusche und Gästetoilette. Dafür sollte der anschließende Vorratskeller reichen. Er stieß die Tür auf und suchte mit der Hand vergeblich den Lichtschalter im stockdunklen Raum. Der befand sich jedoch außen an der Küchenwand, verdeckt von ein paar Kartons, die er irgendwann abgestellt hatte. Schließlich fand er ihn dort. Im Keller baumelte nur eine Glühbirne von der Decke. Ihr schwaches Licht enthüllte die gefüllten Regale. Seit dem Tod seiner Eltern war Plastrothmann nicht mehr in diesem Keller gewesen. Die eingestaubten, spinnwebverhangenen Regale enthielten noch die ganze Arbeit des letzten Sommers den seine Mutter erlebt hatte. Eingewecktes Obst, Gemüse und die Marmeladengläser, noch mit der altmodischen Einmachhaut verschlossen, die sich den eingetrockneten Marmeladen straff entgegenwölbte. Er ersparte sich das Ausmessen. Der Raum war groß genug für die sanitären Einrichtungen.

      Er musste unbedingt einen Sperrmülltermin ausmachen. Die Jungs würden ihm gerne beim Entrümpeln helfen. Ein paar Kästen Bier, zwei Flaschen Klarer und sie würden ihren Spaß dabei haben. Die Skins mochten Plastrothmann. Er war anders als die Kader, von denen sie verächtlich als asoziale, dumme Trottel betrachtet wurden. „Wo treiben wir die Schweine bei der nächsten Demo durch?“ Der Spruch kam jedes Mal bei ihren Lagebesprechungen.

      Plastrothmann war es gewohnt, überall erfolgreich den Außenseiter zu spielen. Mit den Skins verband ihn allein das, so dachte er. Die versteckten Demütigungen wegen seines unsportlichen, ungelenken Körpers in den Sommerlagern der Wikingjugend verdrängte er seit vielen Jahren.

      Deswegen war er auch bereitwillig auf Gertruds Vorschlag eingegangen, bis zur Hochzeit durch Besuch eines Fitnessstudios abzuspecken. Dreimal die Woche trainierte er jetzt dort. Das gab ihm die Gelegenheit zusätzlich wegen des Umbaus der Villa und den Hochzeitsvorbereitungen, die Essen am Freitagabend bei Heinrich vorerst einzustellen. Heinrich, derzeit äußerst wohlwollend, nahm die Absage voller Gelassenheit hin.

      Der alte Mann wähnt sich am Ziel seiner