Linda Große

Alte Männer - böser Traum


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sich in das knietiefe Wasser und versuchte Clea erneut zu überreden, es doch auch zu versuchen. Aber die wollte nach wie vor nicht. Die Wellen umspülten ihre Füße mit einer ziemlichen Eiseskälte.

      „Ich muss mich erst mal warm laufen!“, sagte sie zu Rüdiger. Er grinste sie an und versuchte sie nass zu spritzen. Clea zog sich ein Stück zurück Richtung Strand und erklärte ihm energisch:„Wenn du das nicht lässt, kannst du dich hier allein amüsieren!“

      „Okay, okay, bin ja schon ganz brav“, erwiderte er lachend, tauchte mit einem Hechtsprung von ihr weg und kraulte Richtung Sotteville davon. Clea folgte ihm am Wassersaum entlang. Er hatte eine erstaunliche Ausdauer beim Schwimmen. Als er endlich aus dem Wasser kam, war der Holzsteg bei Veules nur noch ein dunkler Strich. Sie befanden sich bereits auf der Höhe der fleischfarbenen Felsen mit ihren glatten körperhaften Formen. Clea führte Rüdiger zu dem Riesenkotelett, wie sie es nannte.

      „Da kriegt man glatt Hunger“, meinte er.

      „Brauchst du aber ein extrem starkes Steakmesser für“, neckte Clea ihn.

      „Na, zum Glück gibt es hier auch noch andere, leckere Sachen“, antwortete er mit einem Seitenblick auf sie. Clea überging seine Bemerkung und machte ihn noch auf andere Formen aufmerksam. „Und das interessante daran ist, sie sind nicht vom Wasser abgeschliffen, sondern sie kommen so aus der Wand.“

      Sie deutete mit der Hand auf die Steilküste. An einigen Stellen ragten ähnliche farbige Gesteinsbrocken aus der weißen Kreideküste. Sie liefen weiter zwischen den Felsen herum und Rüdiger gab sich sehr interessiert. Nach etwa zweihundert Metern hörte das Phänomen der organisch wirkenden Steine plötzlich auf und es erschienen die üblichen grauen Brocken. Ein großer Klotz erschien Rüdiger als idealer Platz zum Trocknen und Sonnen. Ehe Clea es so richtig wahrnahm, hatte er schon seine nasse Badehose ausgezogen und auf dem von der Sonne beschienenen Felsen ausgebreitet. Dann ließ er sich mit ausgebreiteten Armen in den warmen Sand fallen und streckte genüsslich alle Viere von sich.

      „Komm, zieh dein Zeug aus. Ein bisschen Sonne wird dir gut tun.“

      Mit einem breiten Grinsen klopfte er mit der flachen Hand auf den Sand neben sich. Clea wusste nicht so recht, wie sie auf seine Einladung reagieren sollte. Seine Ungezwungenheit schien ihr eine Spur zu dick aufgetragen. Andererseits war sie verunsichert durch ihre eigenen Hemmungen. Er schien zu merken, was in ihr vorging.

      „Hör zu, ich hab jeden Tag halbnackte Frauen um mich herum. Du brauchst dich wirklich nicht zu genieren!“

      „Frauen?“

      „Ja, meine Frau und meine beiden Töchter.“

      „Wie alt sind denn deine Töchter?“, wollte Clea nun wissen.

      „13 und 15. Und glaub ja nicht, dass die wegen ihres alten Vaters nur voll bekleidet in unseren Swimmingpool hüpfen!“

      Daraufhin entschloss sich Clea, nicht nur die Bermudas, sondern auch ihr Shirt auszuziehen. Da sie keinen BH trug, legte sie sich jedoch auf den Bauch. Rüdiger ließ eine Art zufriedenes Grunzen hören und Clea registrierte, dass er seine Augen geschlossen hielt. So entspannte sie sich und genoss die wärmenden Strahlen auf ihrem Körper. Auch Rüdiger lag nun vollkommen still und sagte kein Wort. Nach einer Weile schien er sogar eingeschlafen zu sein und Clea drehte sich auf den Rücken.

      Seine Attacke kam völlig unerwartet. Plötzlich hockte er über ihren Oberschenkeln und zerrte an ihrem Slip herum.

      „Lass das!“, zischte Clea und versuchte, sich aufzurichten. Er verhinderte das, indem er ihre Oberarme umklammerte und sie zurück in den Sand drückte.

      „Lass das“, sagte Clea erneut, „oder ich schreie!“

      „Schrei soviel du willst, hier hört dich keiner! Außerdem, was soll das? Du bist doch nur deswegen mitgekommen.“

      „Spinnst du?“, schrie Clea ihn an. „Lass mich endlich los.“

      „Du frigide Ziege, glaubst du, ich bin nur wegen deiner schönen Augen in diesem Kaff geblieben?“

      Er grinste sie an und versuchte mit dem Unterschenkel, ihre aneinander gepressten Beine zu spreizen. Clea wand sich unter seiner Umklammerung, doch gegen seine Kraft konnte sie nichts ausrichten. Sein Knie war nun zwischen ihren Schenkeln und schob sie auseinander. Er ließ siegesgewiss ihren rechten Arm los, dabei richtete er sich etwas auf, um erneut nach ihrem Slip zu greifen.

      Clea war plötzlich von einer Wut erfüllt, wie sie es noch nie erlebt hatte. Sie nutzte diesen Moment, zog blitzschnell ihr rechtes Bein hoch und trat nach ihm. Sie traf ihn in Brusthöhe, er griff nach ihrem Knöchel, ließ dabei ihren anderen Arm auch los und richtete sich gleichzeitig noch mehr auf. Clea zog nun auch ihr linkes Bein an und rammte ihr Knie voll zwischen seine Beine. Er stöhnte auf, krümmte sich vor Schmerz. Clea rutschte von ihm weg, so schnell es ging, sprang auf und rannte zwischen den Felsen hindurch Richtung Strand.

      Veules les Roses schien unendlich weit weg zu sein. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Plötzlich kam die Angst wie eine Welle und ihre Knie wurden weich. Sie stolperte weiter, angestrengt lauschend, ob er wohl hinter ihr herlief. Es brauchte noch eine ganze Weile, bis sie sich traute, nach hinten zu blicken. Die Erleichterung niemanden zu sehen, verlangsamte ihre Schritte noch mehr. Anscheinend war Rüdiger es nicht gewohnt, Frauen hinterher zu laufen.

      Aufatmend schaute sie wieder nach vorn. Die ersten Strandspaziergänger waren als kleine Gestalten zu erkennen. Jetzt erst dachte sie daran, dass sie halb nackt war. Zum Glück hatte sie beim Weglaufen automatisch nach ihren Sachen gegriffen, die sie nun zitternd überstreifte. Nur ihre Sandalen, die lagen immer noch bei dem großen Felsen. Clea bemühte sich, ihre Fassung wiederzuerlangen. Sie wollte nicht, dass irgendwer ihr etwas anmerken würde. Ihr Kopf begann derweil schon, sie schuldig zu sprechen: Der Typ hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sie zu verführen.

      Was für Signale sende ich denn bloß aus? Warum bin ich mitgegangen? Warum habe ich mein Shirt ausgezogen?

      Sie hatte darüber gelesen, dass die Opfer sich immer schuldig fühlen. Nachvollziehen konnte sie das damals nicht. Umso schlimmer, dass ihr Verstand sie jetzt so mühelos verriet. Am liebsten wollte sie sich irgendwo verkriechen vor lauter Scham. Doch genau das war hier nicht möglich. Glücklicherweise war der Holzsteg leer und auch die Bänke auf diesem hinteren Teil der Promenade. Die Schulklassen befanden sich alle auf der anderen Seite der Veulesmündung. Die Handvoll Angler vor ihr war weit genug weg. Und doch nah genug, um sich sicher zu fühlen falls Rüdiger diesen Weg nehmen sollte.

      Mit wem konnte sie darüber reden? Mit wem wollte sie überhaupt darüber reden. Diesmal nicht einmal mit ihrem Vater. Irgendwie hatte sie das dumpfe Gefühl, das ihn diese Sache endgültig überfordern würde. Clea wusste hinterher nicht, wie lange sie dort gesessen hatte. Die ersten Spaziergänger, die an ihrer Bank vorbeiliefen, schienen jedenfalls nichts Außergewöhnliches an ihr zu bemerken.

      Schließlich rappelte sie sich auf. Irgendwann musste sie zurück zu den anderen, zu Simon, Lilo, Monique und Claudine.

      Was ist passiert? fragte sie sich. Was ist denn wirklich passiert? Nichts ist passiert. Du hast einen heißblütigen Verehrer in die Schranken gewiesen. Dir ist nichts geschehen, Clea. Geh nach Hause! Dein Verstand spinnt nur etwas! Zuviel Sonne abbekommen! Das Leben geht weiter. Schöne Ferien! Be a rolling stone, Clea. Be a rolling stone!

      Kapitel 14

      Trotz der kurzen Zeit ihrer Abwesenheit erschien die Stadt ihr fremd. Alles war irgendwie anders. Die Straßen enger, die Häuser kleiner. Und der Geruch. Nie zuvor war ihr aufgefallen, dass die Stadt roch. Und alles schien, trotz des schönen Wetters, mit einer grauen Lasur überzogen. Wenigstens fand sie sofort einen Parkplatz und das gar nicht einmal sehr weit von ihrer Haustür entfernt. Sie stellte ihren Koffer auf den Gehsteig, holte dann ihre Reisetasche vom Rücksitz, klemmte sich die Handtasche unter den Arm und schloss das Auto ab. Auf der Straße war es vollkommen ruhig, keine Menschenseele zu sehen. Ganz Berlin schien an der Havel zu