Linda Große

Alte Männer - böser Traum


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abholzen. Jedenfalls hatte er mit Antoines Appetit mühelos mithalten können.

      Clea räumte die Geschirrspülmaschine leer, verteilte das saubere Porzellan in den Küchenschränken, dann begann sie die schmutzigen Teller und Tassen in die Körbe einzuordnen. Nachdem sie die Maschine eingeschaltet hatte, machte sie sich mit einem leisen Seufzer an dem Chaos auf und um den Herd zu schaffen. Das Durcheinander, total bekleckert mit Lilos dunkler Rouladensoße, die sich wie brauner Schlamm über die kreuz und quer liegenden Küchengeräte zog, erweckte bei Clea eine gewisse Assoziation zu den Schlachtfeldern, von denen Simon vorhin erzählt hatte.

      Nach dem Mittagessen hatte er seine Fotoalben aus der Kriegszeit hervor geholt, um Antoine Paris während des zweiten Weltkrieges zu zeigen. Alben voller kleiner quadratischer Schwarzweißfotos mit weißem Bogenrand. Antoine zeigte sich äußerst interessiert an Simons Kriegserlebnissen und so erzählte Simon eine Anekdote nach der anderen. Zum ersten Mal war er nach Paris gekommen, als er den stellvertretenden Kommandanten, einen jungen Leutnant zu einem Offizierspuff fahren musste, wo dieser für etliche Stunden verschwand. Statt draußen im Wagen zu warten, hatte Simon die Kerzen am Motor ausgebaut und war losgezogen, Paris bei Nacht zu entdecken, Montmartre, Moulin Rouge. Durch die Frontzulage besaß er genug Geld um dort eine Lage zu schmeißen und den Zigeunergeiger für sich fiedeln zu lassen. Auf seiner weiteren Streiftour kam er in eine tolle Hotelbar rein. Dort saßen nur Offiziere. „Die haben mich zwar blöde angeguckt, aber keiner hat mich rausgeschmissen!“

      Weinselig kehrte er spät nachts zum Auto zurück, und baute die Zündkerzen wieder ein. Der Leutnant erschien pünktlich auf die Minute und sie fuhren zurück zur Kommandantur. Simon war natürlich sehr müde und wachte plötzlich auf, als sie mit dem Wagen durch einen Graben hindurch auf ein Feld holperten. Der Leutnant reagierte ziemlich sauer darauf und fuhr den Rest der Strecke selbst.

      Diese Anekdote war auch Clea noch unbekannt gewesen. Sie übersetzte teilweise für Antoine ins Englische, Simon konnte auch einige Brocken Französisch und Englisch. Lilo wollte natürlich auch nichts versäumen, obwohl sie für gewöhnlich keinen Wert auf die Kriegserinnerungen ihres Mannes legte. Also gab’s dann noch eine Wiederholung in Deutsch, was wiederum Antoine veranlasste, seine Deutschkenntnisse zu erweitern. Es war ein wahrhaft amüsantes Sprachgewirr gewesen.

      Clea hatte Simon animiert, ihre Lieblingsgeschichte aus Sizilien zu erzählen. Antoines Reaktion darauf war derart mitreißend ausgefallen, das Clea bei dem Gedanken daran laut auflachen musste. Die Story war wirklich mehr als komisch: Simon hatte zwei Tage gelinden Arrest bekommen wegen Übertreten des Zapfenstreichs. Den verbrachte er in einer kleinen Steinhütte am Weinberg, die er selber von innen verriegeln musste! Der Weinbauer verkostete die beiden Tage mit ihm seinen Wein und so hatte Simon nur gesoffen und geschlafen. Zum Essen kam er dabei nicht. Die Teller mit seinen Essensrationen reihten sich draußen vor der Tür auf. Als die Zeit vorüber war, ging Simon zum Kommandanten um sich über den Arrest zu beschweren, zu dem ihn ein Leutnant („so ein Lackaffe mit langem, wehenden Mantel“) verdonnert hatte.

      „Aber Paps, du hast nicht erzählt, wie es überhaupt dazu gekommen ist“, hatte Clea ihren Vater an dieser Stelle unterbrochen.

      „Pourquoi? Ah oui, Pourquoi!“ , das wollte auch Antoine wissen.

      „Das war wegen dem Baron Arezzo aus Ragusa!“, klärte Lilo ihn stolz auf.

      „Der Baron hatte irgendwie einen Narren gefressen an dem jungen deutschen Soldaten, dessen Vater ‘der rote Burggraf‘ genannt wurde und wegen seiner politischen Überzeugung im KZ saß. Eines Abends nahm er Simon mit ins Offizierskasino. Und da die angekündigte Band verhindert war, wurde der Frust darüber in Strömen von Alkohol ertränkt. Simons gutes Herz gewann dank der Promille die Oberhand und er legte ein mitreißendes Schlagzeugsolo hin. Die anwesenden Piloten spendeten frenetischen Beifall und Simon steigerte die Stimmung noch durch einige Stücke auf dem Klavier, die wohl alle für Jazz vom Feinsten hielten. Keinem fiel auf, dass er nicht nur keine einzige Note kannte, sondern auch nicht Klavier spielen gelernt hatte. Simons Armbanduhr war der ganzen Situation wohl nicht gewachsen, sie blieb um 21:30 einfach stehen. Das da was nicht stimmen konnte, fiel ihm erst gegen 24 Uhr auf. Da hätte er schon seit fast zwei Stunden in seinem Quartier sein müssen. Der Baron brachte ihn zwar selbst dorthin, aber das konnte besagten Leutnant mit wehendem Mantel, der sich ,wer weiß warum, vor der Baracke herumtrieb, nur mäßig besänftigen. So also kam Cleas Vater zu besagtem Arrest“, beendete Lilo ihre Ausführungen, die Simon mit zustimmendem Nicken begleitet hatte.

      An dieser Stelle der Erzählung wollte Antoine dann sehen, wie Simon Klavier spielt. Der machte seine Pantomime ganz toll, plötzlich saß Antoine neben ihm auf dem Sofa und sie ‘spielten‘ vierhändig. Da konnte auch Lilo, hin und her gerissen zwischen Unmut und Stolz über ihren unmöglichen, aber außergewöhnlichen Ehemann nicht anders, sie schunkelte auf ihrem Sessel hin und her, dass die Federn quietschten. Das war die Stelle an der Clea ihren Lachkrampf bekam, der nächste war Antoine. Zuerst imitierte er Cleas Lachen nur, doch dann kicherte er plötzlich wie ein pubertierender Teenager bis er nach Luft schnappen musste. Lilo war zwar etwas irritiert über soviel Lustigkeit, entschloss sich aber schließlich, großzügig darüber hinwegzusehen.

      Als sie sich beruhigt hatten, brachte Simon seine Geschichte zu Ende. Nach seiner Freilassung ging er also zum Kommandanten. Der saß mit den Piloten beim Essen in der Offiziersmesse. Die Ordonanzen wollten Simon nicht vorlassen. Doch die Piloten erkannten ihn, erklärten dem Kommandanten die Situation und der Arrest wurde gelöscht. Ansonsten wäre er aktenkundig geworden. Keine Beförderung in nächster Zeit hätte das für Simon bedeutet.

      Dass ihr Vater als junger Mann derart ehrgeizig war, hatte Clea doch ziemlich überrascht. Oder war es lediglich ein starker Überlebenswille, der ihn damals derart zielstrebig handeln ließ? Ihre Grübelei wurde durch Lilos Rückkehr abgewürgt. Kaspar schlurfte mit hängendem Kopf gemächlich hinter ihr her. Irgendwie vorwurfsvoll, dachte Clea amüsiert. Der Spaziergang war ihm wohl entschieden zu lang gewesen! Der Hund trottete zu seinem leeren Futternapf, blieb reglos davor stehen und wartete.

      „Kaspar hat großen Durst, nicht wahr? Mami gibt dir was zu trinken“, säuselte Lilo mitfühlend. Sie nahm den Napf vom Boden hoch, ging zur Spüle und füllte ihn bis zum Rand mit Wasser. Kaspar zeigte keinerlei Regung bis zu dem Moment, als Lilo seine Wasserration vor ihm abstellte. Prompt aus seiner Erstarrung erwachend lieferte er eine filmreife Show, als wolle er vom Disney-Team entdeckt werden. Clea konnte sich jedes Mal wieder köstlich darüber amüsieren. Der Hund schaufelte mit seiner Zunge das Wasser derart schnell ins Maul, das die Tropfen nur so herumspritzten. Binnen kurzem schwamm der Fußboden um ihn herum. Die Ohren schlackerten im gleichen schnellen Takt wie seine Zunge und ihm Nu war die feuchte Portion im und um den Hund verteilt. Augenblicklich nahm er wieder seine regungslose Anfangsposition ein. Lilo bückte sich nach dem Napf, füllte ihn erneut und Kaspars Show lief ein zweites und ein drittes Mal ab.

      „Du meine Güte“, staunte Clea, „der arme Hund ist ja total dehydriert gewesen.“

      „Ist ziemlich schwül und er ist im Park seiner Freundin hinterher gejagt.“

      „Hast du Lust auf einen Kaffee? Simon holt sein Mittagsschläfchen nach.“

      „Ausnahmsweise, zur Feier des Tages. Eigentlich ist es schon etwas spät dafür“, erwiderte Lilo. „Dieser Antoine ist wirklich ein reizender junger Mann!“

      Kapitel 16

      „Ein Mann muss seine Pflicht erfüllen!“, setzte Heinrich seine Ansprache fort. Plastrothmanns aufkeimender Ärger zeigte sich in einer ungeduldigen Handbewegung, mit der er über seinen frisch geschorenen Schädel fuhr. Heinrich entging das nicht. Er unterbrach seine Standpauke, mit der er Plastrothmann nun schon den ganzen Abend zusetzte, ohne ihm eine Gelegenheit einzuräumen, seinen Standpunkt zu äußern. Missbilligend fixierte er den kahlrasierten Kopf und erklärte unverblümt:

      „Und mit diesem kindischen Trotz muss auch endlich Schluss sein. Du bist jetzt vierzig Jahre alt! Also leg dir endlich einen Haarschnitt zu, wie es sich für einen verantwortungsbewussten Mann geziemt.