Linda Große

Alte Männer - böser Traum


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ist Carmen. Sie ist sehr an Kunst interessiert.“

      Na, dann, dachte Clea, der Abend kann ja lustig werden.

      Auf der Veranda saß ein Ehepaar, das Clea flüchtig kannte. Herr Wittke stand am qualmenden Grill, eine Bierflasche in der Hand. Sie begrüßte ihn zuerst und er war wortkarg wie gewohnt. Selbst als Clea sich auch bei ihm für den wunderbaren Urlaubstipp bedankte, kam nicht mehr als ein undefinierbares Geräusch zwischen seinen Zähnen hervor. Einmal mehr fragte sich Clea, wie ihre Freundin es mit diesem Mann aushielt. Sie trottete ergeben zur Veranda, begrüßte das Paar, dessen Namen sie sofort wieder vergaß und setzte sich. Die beiden outeten sich postwendend als stolze Eltern der kunstinteressierten Bikinischönen.

      „Das Kind ist ja so begabt. Sie will unbedingt Kunst studieren an der Universität der Künste. Marlies meint, der Herr von Falkenstein kann ihr bestimmt sehr nützlich sein, um die Aufnahmeprüfung zu bestehen.“

      Ach, dachte Clea, da würde vielleicht ein Swimmingpool völlig ausreichen. Bei der Oberweite.

      Auch wenn Herr Wittke keinen Sommerabend ausließ, seine Grillkünste zu verfeinern, geriet bei ihm doch jedes Fleischstück zur Schuhsohle. Mit leiser Sehnsucht dachte Clea an Moniques Kochkünste. Pflichtschuldigst nahm sie ein totgegrilltes, fast vollständig dehydriertes Schnitzel entgegen und spülte jeden Bissen mit reichlich Cola hinunter. Zum Glück waren Marlies Salate dafür wie immer frisch aus dem Garten und super lecker. Da alle mit Essen beschäftigt waren, nutzte Carmen die Gelegenheit, Nikolas von ihren Qualitäten als kommender Stern am Kunsthimmel zu überzeugen. Der schien aufmerksam zuzuhören, doch als er bemerkte, dass Clea ihn beobachtete, zwinkerte er ihr zu und zog gleichzeitig unmerklich die Schultern hoch. Kleine, frühreife Blondinen schienen wohl nicht sein Fall zu sein.

      Plötzlich fand Clea ihn richtig sympathisch. Er schien ein sehr unkomplizierter Mensch zu sein. Jedenfalls waren auch Carmens Eltern unübersehbar von ihm eingenommen. Der einzige, bei dem sein Charme keinerlei Wirkung zeigte, war Herr Wittke. Als alle satt waren, verzog er sich mit seiner Bierflasche, die mit seiner linken Hand verwachsen zu sein schien, in die Laube und setzte sich vor den Fernseher. Auch das machte Marlies anscheinend nicht das Geringste aus. Sie widmete sich nun ganz entspannt ihren Gästen.

      „Nun erzähle doch mal ein bisschen über Veules les Roses!“, forderte sie Clea auf.

      Das fiel Clea nicht schwer. Sie kam sogar richtig ins Schwärmen.

      „Kennst du auch Moniques Mann Henry?“, fragte sie Marlies. „Und die beiden Kinder?“

      Marlies verneinte das. Sie und ihr Mann waren nur ein paar Tage dort geblieben.

      „Betty und Jean-Paul hatten bei ihrem Besuch einen Freund dabei, einen jungen Schauspielschüler aus Paris. Antoine, so heißt er, will zur Love Parade nach Berlin kommen. Er war bereits zweimal dabei. Als ich heute nach Hause kam, lag schon eine Postkarte von ihm im Briefkasten. Dabei habe ich ihm nur meine Telefonnummer gegeben. Jedenfalls will er mich besuchen kommen. Ich freu mich schon drauf. Er ist ein witziger Kerl, hält Kinski für den größten Mimen aller Zeiten!“

      „Warst du schon mal bei der Love Parade dabei?“, fragte Carmen jetzt Clea direkt, obwohl sie sie bisher vollkommen ignoriert hatte.

      „Nein“, antwortete Clea ihr überrascht, „noch nie. Und du?“

      „Ja, bin sogar schon auf einem der Wagen mitgefahren. Wenn du willst, können wir uns verabreden und zusammen hingehen. Und du kannst doch auch mitkommen. Ein Künstler muss doch die Love Parade miterlebt haben“, wandte sie sich an Nikolas. Ach, daher weht der Wind, dachte Clea amüsiert. Ein Künstler und ein Schauspielschüler, da nimmt man auch so eine alte, langweilige Tante wie mich in Kauf.

      „Und wie geht es Claudine?“, nahm Marlies ihren Faden wieder auf.

      „Gut, soweit ich das beurteilen kann. Sie und Simon haben Abend für Abend ihre Kriegserlebnisse ausgetauscht. War aber ganz interessant für mich.“

      „Dein Vater war Soldat?“, fragte Nikolas.

      „Ja, er hoffte, dadurch seinen Vater vorm KZ zu bewahren. Hat leider nicht lange funktioniert.“

      „Ich hasse die Nazis!“, sagte Nikolas.

      Plötzlich war es ganz still. Ungemütlich still, wie Clea fand. Doch Nikolas schien mit seinen Gedanken ganz weit weg zu sein. Jedenfalls machte er keinerlei Anstalten, irgendetwas hinzuzufügen. Marlies rettete die Situation, indem sie anfing das Geschirr abzuräumen. Clea warf Nikki einen fragenden Blick zu. Das Geklapper der Teller hatte ihn in die Gegenwart zurückgeholt. Er nickte ihr zu. So half Clea noch beim Abräumen. Danach verabschiedeten sie sich und gingen durch die verlassen wirkende Kolonie zu Cleas Wagen.

      „Kann es sein, dass Marlies Mütterlichkeit manchmal etwas erdrückend wird?“, fragte er unvermittelt.

      „Was hat dich denn heute erdrückt?“, wollte Clea wissen.

      „Sag bloß, du weißt das nicht?“

      „Carmen?“

      „Ohne sie wäre es ein total gemütlicher Abend gewesen!“

      „Das tut mir leid für dich!“

      „Na ja, so schlimm war’s auch wieder nicht.“

      „Wenn Marlies dich fragt, sag es ihr.“

      „Aber das wäre doch sehr unhöflich.“

      „Nein wirklich nicht. Sie ist noch eine Berlinerin vom alten Schrot und Korn, wie man so sagt. Du kommst am besten mit ihr klar, wenn du vollkommen offen und ehrlich zu ihr bist. Alles andere würde sie nicht so gut verkraften.“

      „Okay, aber das wird mir schwer fallen.“

      „Tja, dann musst du vielleicht mal wieder einen Abend mit Carmen in Kauf nehmen!“

      „Also, Diplomatie scheint wirklich keine Stärke von euch Berlinern zu sein!“, stellte Nikolas amüsiert fest. „Es war ein sehr aufschlussreicher Abend!“

      „Ich bin froh, wenn ich endlich im Bett liege. Kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass ich gestern früh noch am Meer war. Jedenfalls ein ziemlich langer und ereignisreicher Tag! Hoffentlich müssen wir nicht so lange nach einem Parkplatz suchen!“

      Leider mussten sie doch. Es war einfach schon zu spät. Die meisten Bewohner der Straße lagen anscheinend schon brav im Bett. Am nächsten Tag begann die neue Arbeitswoche.

      Kapitel 15

      „Was für ein wohlerzogener junger Mann. Und sooo charmant!“, schwärmte Lilo begeistert. „Wie schade, dass er noch eine Verabredung hatte!“

      „Ja, war wirklich ein witziger Nachmittag“, stimmte Clea zu. „Ich werde mich auch so langsam auf die Socken machen. Habe noch einen Berg Bügelwäsche zu erledigen.“

      „Ach nein“, protestierte Lilo. „Du warst über vier Wochen nicht mehr hier. Bleib doch wenigstens noch bis zum Abendbrot.“

      Clea runzelte die Stirn, wollte erst protestieren. Allerdings war Lilo zu ihrer eigenen Überraschung im Recht. Die letzten vier Wochenenden war sie ständig auf Achse gewesen. Und immer mit irgendwelchen Männern: Nikki, Antoine und mit Marlies verrücktem Schwager. Wow, dachte sie, mein neues Leben ist voll im Gange, ohne das es mir aufgefallen ist!

      „Okay, du hast recht. Ich bleib noch ein bisschen. Bügeln kann ich auch morgen, während der Mittagspause. Geh du ruhig mit Kaspar, ich räume derweil die Küche auf.“

      Simon nutzte die Zeit für ein kurzes Nickerchen. Clea räumte den Esstisch ab und trug das Kaffeegeschirr in die Küche. Dort stapelte sich schon das Essgeschirr und der Herd sah aus wie nach einem Granateinschlag. Lilo hatte für Antoine ihre leckeren deutschen Rouladen zubereitet. Und so wie er zugelangt hatte, war er entweder völlig ausgehungert gewesen,