Peter U. Schäfer

Erleuchtet? Im Namen des Volkes...


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Eingang der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit werden Kreisstaatsanwalt Schleich und Hauptmann Hammer durch einen Wachposten in Empfang genommen und nach Feststellung ihrer Personalien und des Anlasses ihres Besuches in das Arbeitszimmer des Dienststellenleiters geführt. Generaloberst Hartmann begrüßt alle und lässt dann Hauptmann Hammer berichten. „Genossen, wie ich das sehe, haben wir ein oder zwei ernsthaft Verdächtige festgenommen und die Untersuchungen des Brandsachverständigen haben die bisherigen Ermittlungsergebnisse der Kriminaltechniker und der Ermittler bestätigt. Es wurden mehrere Brandsätze festgestellt. Ein Brandherd wurde in der Lohnbuchhaltung gefunden, ein weiterer in der Produktionshalle im Mittelgang nahe der Wässerungsbeckens und ein dritter Brandherd befand sich in dem Vorraum zum Arbeitszimmer des Betriebsdirektors im Erdgeschoß der Direktionsvilla. In der Lohnbuchhaltung gibt es aufgrund des Zerstörungsgrades leider keine weiteren Anhaltspunkte für die Begehungsweise der Brandstiftung. In der Produktionshalle wurden am Boden des Mittelganges neben verkohlten Überresten eines Foliensackes verbrannte Rückstände, die von einem Kohlenanzünder und von Kerzenwachs stammen, gefunden. Der Brandsatz in der Direktionsvilla war noch vollständig erhalten, weil die Kerze unmittelbar nach ihrer Entzündung verlosch, “ berichtet der Hauptmann.

      „Genossen, die Vernehmung der Festgenommenen ist vorrangig durchzuführen.“ Mit dieser Anweisung übernimmt der Generaloberst wieder die Gesprächsleitung. „Ich weise auf die zeitliche Nähe des Anschlages zum 7. Oktober hin. Die Genossen der zuständigen Hauptabteilung des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin haben von mir im Rahmen der zu erteilenden Information bei besonderen Vorkommnissen anlässlich des bevorstehenden Jahrestages gefordert, dass durch eine zügige Aufklärung des Anschlages und die schnelle Verhaftung des oder der Täter weitere Anschläge zu verhindern sind und den Werktätigen und der Bevölkerung des Territoriums die Schlagkraft der Sicherheitsorgane demonstriert werden muss.“ Er sieht den Kreisstaatsanwalt an. „Genosse Generaloberst, auch wenn Verdachtsmomente vorliegen, ein direkter Hinweis auf die Täterschaft der beiden Festgenommenen ist den bisherigen Ermittlungsergebnissen noch nicht zu entnehmen. Der entdeckte Diebstahl gibt kein Motiv für die Brandstiftung her, gerade das mögliche Motiv der beiden ist bisher völlig unklar. Auch die von mir angeordnete Durchsuchung der Wohnung der Verdächtigen hat zum Motiv und zu möglichen Mittätern keine weiteren Erkenntnisse geliefert“, äußert Kreisstaatsanwalt Schleich vorsichtig.

      Nach einem „Warten wir das Ergebnis der Vernehmungen der Verdächtigen ab, dann sehen wir sicher weiter“, erhebt sich der Generaloberst und beendet damit die Unterredung. Dann, schon halb im Aufbruch, „Ach übrigens, ich wünsche, dass alle kriminaltechnischen Untersuchungen und die Begutachtungen von Mitarbeitern unseres Ministeriums überprüft werden. Ermittler meiner Dienststelle sind in die Ermittlungen einzubeziehen. Die bestehende Ermittlungskommission bleibt aber eine Sonderkommission bei der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei. Hauptmann Hammer ist als kommissarischer Leiter der Branduntersuchungskommission der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei auch als Leiter dieser Sonderkommission zu bestätigen. Der Kreisstaatsanwalt bleibt weiter die verantwortliche Ermittlungsbehörde, aber ich denke, der Kreisstaatsanwalt sollte die Sonderkommission nicht unmittelbar leiten. Die operative Leitung der Sonderkommission obliegt Hauptmann Hammer. Diese Maßnahme ist mit dem Leiter der zuständigen Hauptabteilung beim Ministerium für Staatssicherheit und dem 1.Stellvertreter des Bezirksstaatsanwaltes abgestimmt. Die entsprechenden Anweisungen werden Ihnen demnächst detailliert zu gehen. Über den jeweiligen Stand der Ermittlungen ist meinem Stabschef, Genossen Oberstleutnant Eifert durch Hauptmann Hammer regelmäßig und auf Anforderung Bericht zu erstatten. Ich bestimme für diese Angelegenheit meinen Stabschef zum Führungsoffizier des Hauptmanns. Seine Anweisungen sind ohne Verzögerung auszuführen.“

      „Beginn der Vernehmung der Beschuldigten Petra Schöne um 19:40 Uhr am Sonntag, den 29.9. in den Räumen des Volkspolizeikreisamtes. Ich beschuldige Sie des gemeinschaftlich begangenen Diebstahles am Volkseigentum. Sie haben am Freitag, den 27.9. gegen 18:30 Uhr gemeinsam mit Ihrem Bekannten Johann Klinger aus den Betriebsräumen des VEB Instrumentenbau Musikinstrumententeile gestohlen. Äußern Sie sich dazu!“, diktiert Hauptmann Hammer die Aufforderung in ein vor ihm auf dem Tisch des Vernehmungsraumes stehendes Mikrofon eines Banddiktiergerätes und beginnt damit zugleich die Vernehmung. Er sitzt Petra Schöne gegenüber und führt das Wort. Leutnant Ehrlich sitzt neben dem Hauptmann. Im Hintergrund befand sich eine Schreibmaschine, an der Frau Fröhlich als Protokollantin saß.

      „Muss ich die Frage beantworten?“, fragt Petra den Hauptmann. Barsch erwiderte der Hauptmann, dass er die Fragen hier stellen würde und dass sie durch eine geständige Einlassung ihre Lage wesentlich verbessern könnte.

      „Das ist keine Antwort. Ich möchte wissen, weshalb ich seit heute Morgen hier fest gehalten werde. Ich möchte auch wissen, was Sie mit Johann gemacht haben.“ Petra blitzt den Hauptmann an. Ihre Hände waren in Handschellen gefesselt, sie saß auf einem frei im Raum stehenden, am Boden angeschraubten Stuhl. „Machen Sie nur so weiter, Sie werden dann schon sehen, was Sie davon haben. Im Übrigen, Johann Klinger hat bereits ein Geständnis abgelegt. Der Staatsanwalt erwägt je nach Ausgang Ihrer Vernehmung, gegen Sie einen Haftbefehl zu beantragen. Johann Klinger wurde bereits entlassen, nachdem er den Diebstahl eingestanden hat. Ob Sie ebenfalls entlassen werden, hängt von Ihrer heutigen Einlassung ab.“

      Petra horcht auf. Hans war frei, sie konnte ebenfalls gehen, wenn sie den Diebstahl zugab? Was hatte sie schon zu verlieren? Die Instrumententeile hatten sie ohnehin gefunden, Hans hatte das auch schon zugegeben. „Ja, der Vorwurf stimmt.“ Um einen schuldbewussten und reumütigen Eindruck bemüht, senkt Petra den Blick und sieht auf den Fußboden vor dem Stuhl. „Gut, dann wollen wir zuerst ihre Angaben zur Person aufnehmen. Sie wurden am 5.6.1949 in Werder bei Potsdam geboren. Sie haben das Abitur im Jahre 1977 in Potsdam abgelegt und erfolgreich ein Hochschulstudium absolviert. Über welche gesellschaftlichen Aktivitäten insbesondere während Ihres Studiums und in der Zeit danach können Sie berichten?“

      »Ja, das stimmt. Ich war Mitglied der Freien Deutschen Jugend. Durch die Absolventenlenkungskommission der Universität wurde ich hierher vermittelt. Das wollte ich auch, weil Johann Klinger ebenfalls hierher vermittelt wurde. Wir sind seit mehreren Jahren zusammen, ich bin ledig. In meiner Freizeit singe ich als Sängerin in der Jazzkapelle »Blue Singers«, Johann spielt in der Band die Klarinette. Die Instrumententeile brauchten wir zur Komplettierung des Schlagzeuges, sonst wären unsere Konzerte in der kommenden Woche gefährdet gewesen. Im Handel sind solche Teile nicht zu haben, es gibt sie einfach nicht.“ Petra hebt den Blick. Der Hauptmann wirkt unbeteiligt. Selbstbewusst fährt sie fort, sie habe die Teile im Betrieb kaufen wollen. Aber der Produktionsleiter hat jeden Verkauf an Betriebsangehörige abgelehnt. Wenn wir an alle Mitarbeiter Teile verkaufen würden, die bei uns anfragen, dann haben wir nichts mehr auszuliefern, er müsse an den Exportplan in das nichtsozialistische Ausland denken, denn von diesen Deviseneinnahmen hingen auch die Prämien der Mitarbeiter des Betriebes ab, so lautete seine Antwort.

      „Welche Rolle spielt eigentlich der Klinger bei der Entscheidung zur Tat?“, wollte der Hauptmann wissen. „Wir waren uns einig. Wir trafen uns gegen 18:45 Uhr in der Eisdiele am Bahnhof. Ich wusste, dass der Pförtner zwischen 18:30 Uhr und 19:30 Uhr seinen Rundgang durch die Gebäude macht. Diese Zeit wollten wir ausnutzen, um ungesehen wieder zu verschwinden.“

      „Wie ist Ihre Beziehung zu Johann Klinger?“

      „Das wissen Sie doch bereits. Wir sind seit mehreren Jahren zusammen und bewohnen eine gemeinsame Wohnung. In der letzten Zeit hat Johann mehrfach den Wunsch geäußert, er wolle zurück ins Eichsfeld. Er fühle sich hier nicht wohl und seine Arbeit sei langweilig. Er hat auch gefragt, ob ich mitkommen würde. Ich zögere noch, denn ich bin hier zufrieden und ohne mich würde er wohl nicht gehen. Entschieden ist das noch nicht, aber unsere Beziehung wird an diesem Problem nicht scheitern.“

      „Schildern Sie den Tagesablauf am 27.9.“

      „Warum?“

      „Noch einmal, die Fragen stelle ich“, knurrte der Hauptmann.

      „Es gibt da auch kein Geheimnis. Ich war im Außenlager des Betriebes und habe bei der Inventur mitgemacht. Gegen 16:00 Uhr bin ich mit dem Leiter der Materialwirtschaft nach Hause gefahren. Er hat mich