Peter U. Schäfer

Erleuchtet? Im Namen des Volkes...


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gesehen. Im Hintergrund saß eine Frau vor einer Schreibmaschine.

      „Wir sind beauftragt, Sie zu vernehmen. Die Vernehmung wird zusätzlich mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet.“ Nach einer Zustimmung fragte der Hauptmann nicht. Er schaltete das Aufnahmegerät einfach ein und diktierte: „Vernehmung des Beschuldigten Johann Klinger, Montag, den 30.9. um 12:15 Uhr. Der Staatsanwalt des Kreises beschuldigt Sie, gemeinsam mit Petra Schöne am Freitag den 27.9. gegen 19:00 Uhr aus den Betriebsräumen des VEB Instrumentenbau Musikinstrumententeile gestohlen zu haben. Äußern Sie sich dazu.“

      Nach dieser Aufforderung des Hauptmanns übernimmt Leutnant Ehrlich „Wir stellen zuerst Ihre Angaben zur Person fest.“ Mit diesen Bemerkungen eröffnet Leutnant Ehrlich das Verhör. Er sieht von seinen Unterlagen zu Johann Klinger auf und sucht den Blickkontakt zu ihm. „Ich möchte Sie zunächst belehren, dass Sie…“ Hauptmann Hammer fällt dem Leutnant ins Wort. „Die Belehrungen können wir zu einem späteren Zeitpunkt nachholen. Fahren Sie zunächst mit dem Verhör fort.“

      „Nach meinen Informationen wurden Sie am 8.3.1948 geboren. Ihre Eltern sind verstorben. Sie wuchsen in einem Waisenhaus der Karitas auf. Nach dem Abitur haben Sie einen Hochschulabschluss als Diplomvolkswirt erreicht und sind seit dem 1.9.vorigen Jahres bei der Kreisdirektion der Staatlichen Versicherung als Ökonom beschäftigt. Ist das so richtig? “ Johann Klinger bestätigt das. „Erläutern Sie Ihre Beziehung zu Frau Petra Schöne.“

      »Ich bin mit Petra seit mehreren Jahren zusammen. Nachdem ich in die Stelle bei der Kreisdirektion der Staatlichen Versicherung durch die Berufslenkungskommission der Universität eingewiesen wurde, war ich froh, dass man auch Petra hierher einwies. Ich möchte mich gern verändern, meine jetzige Tätigkeit gefällt mir nicht besonders. Hier habe ich nur wenige Freunde, meine Mitarbeit in der katholischen Gemeinde wird in der Kreisdirektion nicht gern gesehen, deshalb würde ich gern ins Eichsfeld zurück und dort arbeiten. Ich habe bereits Erkundigungen eingezogen, es gibt dort einen vormals halbstaatlichen Betrieb, der mich einstellen würde. Die dreijährige Bindungsfrist nach der Absolventenlenkungsverordnung steht dem allerdings gegenwärtig entgegen. Die Versicherung hat aber meine Freigabe in Aussicht gestellt. Petra hat noch Bedenken, dies braucht eben seine Zeit.“

      Hauptmann Hammer greift erneut in das Verhör ein. „Nehmen Sie zu der Beschuldigung Stellung.“

      „Der Vorwurf stimmt. Wir haben versucht, die Teile im Handel zu kaufen, vergeblich. Petra hat versucht, die Teile im Betrieb zu kaufen, das wurde abgelehnt. Der Export ins westliche Ausland geht selbst den Wünschen und Bedürfnissen der Mitarbeiter des herstellenden Betriebes vor. Die Instrumententeile werden für das Schlagzeug in unserer Band benötigt, sonst können wir nicht auftreten. Wir wollten doch die bereits fest vereinbarten Konzerte nicht absagen. Es sind Konzerte heute und am 6.10. in einer nahe gelegenen Kleinstadt, am 4.10. und am 5.10. in der Kreisstadt vereinbart. Der Veranstalter hat schon viele Karten verkauft. Zum Open Air Konzert am 05.10. werden mehrere hundert Zuhörer erwartet. Auch am 6.10. in der Stephanskirche ist mit vielen Zuhörern zu rechnen. Ich weiß, das kann das Ganze nicht ungeschehen machen, aber das ist meine Erklärung.“

      „Es kam am 27.9. in den frühen Abendstunden zu einem Brand in der Instrumentenfabrik. Wir gehen nach den bisherigen Erkenntnissen von vorsätzlicher Brandstiftung aus.“ Hauptmann Hammer hebt die Stimme: „Was haben Sie damit zu tun?“

      „Nichts.“

      „Der Brand wurde mit Brandsätzen aus Kohlenanzünder und Haushaltskerzen gelegt. In Ihrer gemeinsamen Wohnung wurden Kohlenanzünder dieser Art und gleichartige Haushaltskerzen gefunden. Sie waren kurze Zeit vor Brandausbruch heimlich und unerlaubt im Hauptgebäude des Betriebes. Sie besaßen die Mittel und die Gelegenheit zur Brandstiftung und Sie haben ein Motiv“, hält der Hauptmann seinem Verdächtigen vor. „Wir haben damit nichts zu tun. Solche Kohlenanzünder erhalten Sie genau wie die Kerzen in jedem einschlägigen Geschäft. In unserer Altbauwohnung müssen wir mit Kohlenanzündern Feuer anzünden. Um Kohlen aus dem Keller zu holen, müssen wir mit den Kerzen leuchten, weil eine elektrische Beleuchtung in diesen Nebenräumen des Hauses nicht vorhanden ist.“

      Die Vernehmung zog sich hin. Hauptmann Hammer war ein erfahrener Vernehmer. Er versuchte mit unterschwelligen Drohungen und Versprechungen, Johann zu weiteren Erklärungen zu veranlassen. Johann Klinger bestritt den Vorwurf. Nach sieben Stunden, also gegen 19:15 Uhr waren alle Teilnehmer erschöpft: Zum wiederholten Male wechselte der Leutnant das Band, schaltete das Gerät aber jetzt auf eine Handbewegung des Hauptmanns aus. Die Vernehmung wurde nicht einmal in diesem Zeitraum unterbrochen. Johann erhielt lediglich eine Tasse Kaffee zu trinken. Er verlangte zu essen, denn er hatte seit Sonnabend gegen 10:00 Uhr keine Nahrung mehr erhalten. „Sie erhalten zu essen, sobald die Vernehmung zu Ende ist“, wurde ihm durch den Hauptmann beschieden. Hauptmann Hammer war mit dem bisherigen Ergebnis der Vernehmung nicht zufrieden. Sein Gefühl und seine Erfahrung sagten ihm jedoch, dass er dicht an der Lösung sein musste. Die Verhaftung des Täters und sein Geständnis, das wäre ein schneller Erfolg, auch für seine persönliche Karriere, – ich werde ihn knacken. Die Einzelheiten können später geklärt werden – und an Johann Klinger gewandt: „Die Vernehmung wird für 30 Minuten unterbrochen und dann fortgesetzt, also gegen 19:45 Uhr.“

      „Hören Sie endlich auf, ich möchte etwas essen, ich habe Hunger. Sie halten mich hier mehr als 48 Stunden fest, ist das eigentlich erlaubt?“, protestiert Johann. „Die Vernehmung dauert so lange, bis Sie die Wahrheit gesagt haben. Wir werden nachher noch einmal von vorn beginnen. Leutnant Ehrlich wird die Vernehmung fortsetzen.“ Hauptmann Hammer, Leutnant Ehrlich und die Protokollantin verlassen den Vernehmungsraum. Johann Klinger verbleibt in dem Raum, ein auf Weisung des Hauptmanns eintretender uniformierter Polizist bewacht ihn.

      Der Leutnant geht in die Kantine, Hauptmann Hammer in den ihm überlassenen Arbeitsraum. Dort sortiert er seine Unterlagen, nimmt einen Teil der Aufzeichnungen in die Hand und begibt sich in die Telefonzentrale des Amtes. Hier verlangt er eine direkte Leitung zur Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit. Hauptmann Hammer wird in einen Nebenraum geführt und auf einen weißen Telefonapparat verwiesen.

      „Hier Hauptmann Hammer, geben Sie mir bitte den Genossen Oberstleutnant Eifert.“

      Nachdem die Verbindung hergestellt ist, berichtet der Hauptmann über den bisherigen Verlauf der Vernehmung des Johann Klinger und über seine Vermutung, der Klinger werde bald ein Geständnis ablegen. „Fahren Sie mit der Vernehmung des Beschuldigten Klinger fort“, wies ihn der Oberstleutnant an. „Ich werde den Genossen Generaloberst informieren, melden Sie sich morgen gegen 8:45 Uhr wieder, dann werden Sie weitere Instruktionen erhalten.“ Hauptmann Hammer begab sich nun ebenfalls in die Kantine des Volkspolizeikreisamtes. Er nahm einen Imbiss ein und geht dann in Begleitung von Leutnant Ehrlich erneut in sein Arbeitszimmer. Dort besprachen beide den bisherigen Verlauf und das vorläufige Ergebnis der Vernehmung. Leutnant Ehrlich äußerte Zweifel an der Täterschaft von Johann Klinger. Die vorliegenden Indizien seien nicht eindeutig, Kohlenanzünder und Haushaltskerzen gebe es in jedem Geschäft und Kohlenfeuerung hätten fast alle Haushalte, außer den Wohnungen in den Neubauten. Wir sollten erst die Gutachten und die Ergebnisse der Untersuchungen der Kriminaltechniker abwarten, meinte der Leutnant. „Sie haben nicht meine Erfahrungen, ich bin mir sicher, dass der Klinger der Täter ist. Er war vor dem Brand in dem Betrieb, er hatte die Möglichkeit zur Brandstiftung, er besaß auch die Mittel. Seine Reaktionen während der Vernehmung machen mich sicher. Er schwitzt, hat Angst, handelt passiv. Er wirkt verunsichert und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er umfällt. Wir müssen die Situation jetzt nutzen.“

      Gegen 20:10 Uhr erschienen Hauptmann Hammer und Leutnant Ehrlich wieder in dem Vernehmungsraum. Johann saß noch immer auf dem Stuhl, die Hände vor dem Körper gefesselt. Er konnte dem Verhör kaum noch folgen, so müde war er. Seine Stimme zitterte, es fiel ihm schwer, seine Aussprache zu kontrollieren und sich korrekt zu artikulieren. Hauptmann Hammer sah den Leutnant vieldeutig an, aber dieser schüttelte den Kopf. „ Gut, ich übernehme wieder “, und zu der Protokollantin gewandt, „ Sie können jetzt auch eine Pause machen.“ Nachdem die Protokollantin den Raum verlassen hatte, wandte sich der Hauptmann an Johann Klinger. „Ihre Haltung macht keinen Sinn. Sie sollten Ihre Situation durch die Schilderung des richtigen Geschehens erleichtern.