Charline Dreyer

Mirabili


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an und folge Sid durch die Tür. Im Kamin brennt ein Feuer und es ist angenehm warm.

      „Legt ihn hier hin.“ Sid macht eine Handbewegung und Jared schwebt auf einen Holztisch, der mitten im Raum steht.

      „Entschuldigung, ich will nicht unhöflich sein, aber habt Ihr kein Bett?“, frage ich schüchtern. Der Mann sieht mich aus kleinen, trüben Augen an und auf seinem narbigen Gesicht spielen Licht und Schatten, die die Flammen im Kamin werfen.

      „Seid Ihr die Genoveva?“ Belustigt zieht er einen Mundwinkel hoch und geht nicht auf meine Frage ein.

      „Mein Name ist Geneviève.“

      „Geneviève und weiter?“

      Fragend lege ich den Kopf schräg. „Einfach Geneviève.“

      „Na, das ist aber ein Ding.“ Er scheint mich nicht sonderlich ernst zu nehmen, was mich einerseits kränkt und andererseits aufregt. Doch ich reiße mich zusammen, denn er ist im Moment der einzige, der uns helfen kann.

      „Ihr habt sicher Hunger. Suppe steht in der Küche. Schmeckt ein bisschen fad, aber besser als nichts.“

      „Ich danke Euch, aber was ist mit Jared?“

      Der kleine Mann grinst. „Der wird schon wieder. Wartet nur ab. Morgen ist er wieder wie neu.“

      Ich schaue den Krieger an, der mit geschlossenen Augen daliegt und gleichmäßig atmet. Seine Kleidung ist mit Blut getränkt und sein Haar nass und strähnig. „Ich möchte ihn waschen. Wäre das möglich?“

      „Bist du etwa sein Dienstmädchen?“

      „Nein“, antworte ich mit einem Schnauben. „Aber seht ihn Euch an.“

      „Das tue ich.“

      „So kann die Wunde nicht heilen. Ich muss sie waschen.“

      „Tut, was Ihr nicht lassen könnt. Aber ich sage Euch, Wesen wie er heilen von ganz alleine.“ Er lacht grunzend und fügt hinzu: „Wie dem auch sei, Wasser könnt Ihr Euch am Kamin aufheizen und Schwämme findet Ihr ...“, er zögert und zeigt auf eine kleine Tür am Ende des Raumes, „in der Abstellkammer. Genauso wie Kissen und Decken. Ich gehe zu Bett. Wenn Ihr morgen früh aufbrecht richtet Jared von mir aus, dass wir nun wieder quitt sind.“

      Ich möchte fragen, wieso er ihm das morgen nicht selbst sagen kann, will aber nicht dreist wirken und sage stattdessen nur: „Ich danke Euch, Sid. Es war mir eine Freude, Euch kennen zu lernen.“ Nun ja, das vielleicht nicht. Aber Höflichkeit muss sein.

      „Die Freude liegt ganz meinerseits, Genoveva“, ein verstohlenes Lächeln huscht über seine Lippen und als er sich zum Gehen abwendet meine ich ihn noch etwas vor sich hin murmeln zu hören wie: „Eine ganz besondere Freude.“

      ***

      Das Wasser wird schnell warm und ich muss aufpassen, dass es nicht zu kochen anfängt. Ich stelle den dampfenden Kessel neben dem Tisch ab, auf dem er liegt und stütze beide Hände in die Hüften. „Jared?“, frage ich zaghaft. Er gibt ein leises „Hm“, von sich, rührt sich aber nicht. „Ich muss dich waschen, du bist voller Blut. Ich ...“, zitternd atme ich aus, „ich werde dich jetzt deiner Kleidung erleichtern.“

      Seine Mundwinkel zucken. „Was gibt es da zu grinsen?“, zische ich und beginne unsanfter als eigentlich beabsichtigt ihm die Lederweste aufzuknoten.

      „Ah, nicht so stürmisch“, knurrt er, öffnet die Augen und ich spüre, wie mein Gesicht heiß wird. Es war mir angenehmer, als er mich noch nicht dabei beobachtet hat, wie ich ihn ausziehe … „Du hättest sterben können. Was hast du dir dabei gedacht?“, sage ich schnell um meine Verlegenheit zu überspielen.

      „Das fragst du mich?“, antwortet er entgeistert. Seine Weste ist ausgezogen und die dünne Jacke ebenfalls. Beide sind seitlich durchlöchert von den Klauen dieser furchtbaren Kreaturen und verkrustet mit Blut. Ich lege sie zur Seite und drücke Jared vorsichtig zurück in Liegeposition, da er Anstalten macht sich aufzusetzen. Sein Oberkörper ist nun vollkommen nackt und ich komme nicht darum herum diese glatte, helle Haut über den harten Muskeln zu bewundern. Ein Streifen dunkler Haare beginnt abseits seines Bauchnabels und verschwindet unter seinem Hosenbund. Blinzelnd versuche ich, nicht zu starren.

      „Es tut weniger weh, wenn ich nicht auf der Wunde liege“, protestiert er und setzt sich nun doch auf.

      „Gut, aber halt still.“ Ich tauche den zerfransten Schwamm ins heiße Wasser und beginne, seinen Rücken von dem inzwischen getrockneten Blut zu befreien. Die fünf kleinen Einstiche sind zu meiner Überraschung schon verschorft, doch er zuckt trotzdem zusammen, als ich sie vorsichtig mit dem Schwamm abtupfe. „Tut mir leid, tut mir leid.“

      „Ist schon in Ordnung … Ich werde es überleben“, presst er aus zusammen gebissenen Zähnen hervor.

      „Jared“, setze ich an.

      „Was denn?“

      „Was waren das für Dinger?“ Ich säubere den Schwamm im Eimer, wringe ihn aus und beginne, seine Brust von den letzten Spuren des Kampfes zu reinigen. Der Moment ist auf eine merkwürdige Weise intim und gerade, weil ich ihm nun direkt gegenüber stehe, unsere Gesichter nur von wenigen Zentimetern getrennt sind, fühle ich mich auf eine gewisse Weise mit ihm verbunden. Wir haben heute zusammen gekämpft und wir haben gesiegt.

      Ich spüre, wie er mich beim Waschen aufmerksam beobachtet, als er sagt: „Sie haben keinen Namen. Sie sind unbenannte, gottlose Wesen. Sie leben tief in den Bergen und jagen alles, was eine Seele besitzt. Ich vermute, sie sind durch deine ausgeprägte, menschliche Aura auf uns aufmerksam geworden.“

      Ich schweige, tauche den Schwamm ein weiteres mal ins frische Wasser und tupfe die Stelle unter seinen Rippen ab, wo sich ein letzter Blutfleck befindet.

      „Manche nennen sie Sinnestöter, andere sagen Kreaturen ohne Gesicht - Gesichtslose.“

      „Sie sahen furchtbar gruselig aus.“ Mich schaudert es bei dem Gedanken an ihr Erscheinungsbild.

      „Geneviève“, setzt er an und greift nach meinem Handgelenk, sodass ich innehalte und aufhöre, seine Haut mit dem Schwamm zu bearbeiten. „Sieh mich an“, fordert er. Ich tue, was er sagt. „Was du heute gesehen hast, sollte niemand in seinem ganzen Leben sehen.“

      „Es geht mir gut.“

      „Wenn du sie nicht mit deinen Messern umgebracht hättest ...“

      „Es ist gut, Jared.“

      „Nein, nichts ist gut. Ich versage. Ständig. Ich habe versprochen dich zu beschützen und dieses Versprechen hätte ich heute schon gebrochen, wenn du nicht so unglaublich mutig gewesen wärst.“

      Ich lasse den Arm mit dem Schwamm sinken und schaue ihm tief in die Augen. Ich bin ihm so nahe wie noch nie und sein Atem riecht holzig, angenehm herb, fast wie sein Umhang geduftet hat. „Ich kann kämpfen. Auch wenn ich nicht danach aussehe. Das war keine große Sache. Außerdem war der eine schon tot und dem anderen hast du den rechten Arm abgeschlagen. Ich hatte praktisch nur noch den, der dich angegriffen hat im Hinterhalt zu töten, es war ...“

      „Spiel das nicht herunter. Du hast heute Großartiges geleistet. Es war dumm. Aber auch großartig und es tut mir aufrichtig leid, dass ich deine Fähigkeiten dermaßen unterschätzt habe.“ Er nimmt eine meiner Haarsträhnen und streicht sie mir hinters Ohr. Die Geste ist … angenehm. Vertraut. Es kommt mir nicht so vor, als würde ich diesen Mann erst ein paar Stunden kennen. Obwohl … Tue ich das denn überhaupt?

      „Ich muss dich etwas fragen.“ Ich lasse den Schwamm in den Eimer fallen und lege beide Hände auf seinen Knien ab. Er spannt sich leicht unter der Berührung an, doch sein Blick bleibt standhaft auf mich gerichtet. „Alles, was du willst.“

      „Du … du hast mich schon länger observiert, oder?“

      Er seufzt tief. „Ja.“

      „Wie lange?“

      Jared schließt