Charline Dreyer

Mirabili


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auf, wir reiten weiter.“ Ich tue, was er sagt und frage kein weiteres Mal nach meinem fragwürdigen Verhalten, welches ich anscheinend während der Abwesenheit meines Bewusstseins an den Tag gelegt habe.

      J A R E D

      Ein dürrer Krieger mit blassgrüner Haut und Augen, in denen buchstäblich das Feuer brennt, steht in den zerschlagenen Trümmern der Holztür. Er scheint von innen zu glühen, sein magisches Blut pulsiert laut und heiß in den geschwollenen Venen an seinem Hals. Er ist im vollen Jagdmodus, nur darauf ausgerichtet zu töten. Der Blick aus den reptilienartigen Augen gleitet ruckartig durch den Raum, doch ich bin vollkommen in Schatten gehüllt, das bewusstlose Mädchen eng an meine Brust gepresst. Er könnte sie nicht einmal atmen hören, wenn er direkt vor uns stünde. Wabernde Dunkelheit umgibt uns und schirmt uns vor dem unheimlichen Wesen ab.

      Ich kenne seinen Namen nicht. Doch die Brosche am Stoff über der Stelle seines Herzens, beweist seine Herkunft aus dem Herzogtum. Keine Überraschung. Das bestätigt nur meine Befürchtungen. Die Herzogin wird rasend vor Wut sein. Nie hat sie meine Treue und Loyalität angezweifelt. Nicht im übelsten Traum würde sie damit rechnen, dass ich sie verrate. Davon gehe ich jedenfalls aus.

      Ob ich Reue empfinde?

      Ich schaue auf den zierlichen, schlafenden Körper in meinen Armen herab. So leicht und so weich. Ihr Haar hängt in langen Wellen herunter und die Tränen, die sie vor wenigen Sekunden vergossen hat, sind noch nicht getrocknet und glitzern auf ihrer porzellanweißen Haut.

      Nein. Ich empfinde keine Reue. Nicht im geringsten. Nie könnte ich einem Geschöpf, welches so unschuldig und lieblich ist auch nur das kleinste antun.

      „Du bist ein grandioser Kämpfer, ein gnadenloser Mörder und ein Krieger der Schatten und der Finsternis. Du bist stark und du bist mächtig. Du bist würdig, an erster Stelle meiner Garde zu stehen und mich mit deinem Leben zu beschützen“, hatte Jade vor vielen Jahren gesagt, als ich ihr meine Treue schwor. „Du bist dämonisch, ein Wesen der Nacht und der Unterwelt.“ Sie hatte mich berührt, ihre kalte Hand auf meine Wange gelegt und mich mit ihrem jadegrünen Blick gefesselt. „Dennoch, du hast ein weiches Herz. Ein Herz voller Flammen und Leidenschaft. Heiße Poesie, strahlendes Leben. Wenn ich in deine Seele blicke, sehe ich ein Wesen voller Hingabe zur Liebe und zur Lust.“ Sie hatte ihren nackten Körper an mich geschmiegt und wir hatten uns geliebt. Nein, falsch. Ich hatte sie geliebt. „Wenn diese Schwäche deines närrischen Herzens dich jemals dazu verleiten wird, mich zu hintergehen, mich zu betrügen, Jared … Dann werde ich dir dieses mit meiner eigenen Hand aus dem Leibe reißen und du wirst spüren, worin meine Leidenschaft liegt.“

      Kalte Worte von einer noch kälteren Person. Das Leben ist schon seit Jahrhunderten aus ihr gewichen und doch lebt sie weiter. Eine Hülle, eine Gestalt. Böse und voller Hass. So schön sie auch augenscheinlich ist, so hässlich ist ihre Seele.

      „Krieger, ich kann dich riechen“, knurrt das warmblütige Etwas, deren Anwesenheit ich schon beinahe vergessen hatte. Es hat keine Nase, sondern Kiemen an den Seiten seines Halses. Eine Halbnixe? Etwas seinesgleichen habe ich noch nie zuvor gesehen.

      Ich ziehe jede Magie aus der Umgebung, die ich finden kann und teleportiere mich und das Mädchen mit letzter Kraft so weit weg, wie es mir noch möglich ist. Ein dunkler Ort, am Fuß eines Hügels. Der Boden ist moosbedeckt und trocken, also bette ich Geneviève in eine kleine Kuhle und decke sie mit meinem Mantel zu. Die Nacht ist beinahe vorüber und bald schon wird die Erde, zusammen mit dem Feuerball aufgehen und auch der hellste aller Monde wird hinter dem Horizont verschwinden.

      Nur Geneviève wird bleiben. An meiner Seite. Endlich.

      ***

      Das Quellwasser ist frisch und kalt, genau wie die Morgenluft und ich fülle zwei Flaschen für mich und das Mädchen ab, als ein hoher Schrei mich zusammenzucken lässt.

      „Was bildet Ihr Euch ein?“, kreischt sie und kommt wie eine Furie auf mich zu gerannt.

      „Ihr seid wach, wie ich sehe“, entgegne ich trocken und will ihr das Wasser reichen, doch sie verschränkt ihre Arme vor der Brust und presst beleidigt die rosa Lippen aufeinander. Jetzt, in der Helligkeit des Morgenlichtes, wird mir bewusst, dass ihr Nachthemd beinahe durchsichtig ist und ich zwinge mich, ihr ausschließlich ins Gesicht zu sehen.

      „Wo bin ich?“, zischt sie.

      „Ihr seid in Sicherheit.“

      „Ach, tatsächlich?“ Sie schüttelt den Kopf und das mit Moos verklebte Haar fällt ihr in die Stirn. „Und wie kam es dazu? Ja, richtig! Ihr habt mich mit Eurer Magie bewusstlos gehext! Weil ich ja nicht in der Lage gewesen wäre, mich selbst zu verteidigen und weil wir ja keine Abmachung hatten!“

      „Geneviève ...“, setze ich an, doch das Mädchen unterbricht mich.

      „Keine Magie mehr, Jared! Das war das einzige, was Ihr mir versprechen musstet.“

      Ich kann nicht anders, mir entfährt ein amüsiertes Lachen. „Das einzige? Neben dem Pferd, das ihr unbedingt wolltet und einer Reihe von Benimmregeln, die ich Euch gegenüber wahren muss.“

      „Warum traut Ihr mir nichts zu?“

      „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“

      „Nicht?“

      Ich verdrehe die Augen. „Das ist schon die zweite Diskussion in kürzester Zeit. Euretwegen werden sie uns einen Speer von hinten ins Herz rammen, während wir fröhlich vor uns hin streiten und wir werden es nicht einmal mitbekommen.“

      „Und was ist das?“, sie geht gar nicht auf mich ein, sondern zeigt auf das Maultier, welches neben meinem Rappen an einem Baum festgebunden bei unserem Lager steht.

      „Das ...“, sage ich grinsend, „das ist Greg.“

      „Nicht wirklich, oder?“

      „Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich vertraue Euch nicht. Wieso sollte ich euch ein schnelles Pferd überlassen, auf dem Ihr fliehen könntet?“ Ich packe die Flaschen in meine Satteltasche und löse die Zügel beider Tiere vom Baum.

      Fassungslos fällt ihr die Kinnlade herunter. „Damit ich nicht fliehen kann? Im Ernst? Ihr haltet es als erster Krieger der Herzogin für nötig einen Gaul zu verhexen, damit das gewöhnliche Menschenmädchen, welches Ihr entführt, auch ja nicht fliehen kann? Darüber macht Ihr Euch also Sorgen?“

      „Ich entführe Euch nicht ...“, ich zögere. „Moment, macht Ihr Euch etwa über mich lustig?“

      „Nein!“, erwidert sie gedehnt. „Schwer von Begriff seid Ihr aber schon ein bisschen ...“

      „Sehr freundlich. Ach so, und Greg ist nicht verhext, er ist von Natur aus so gebaut.“

      „Oooh, na dann. Tut mir leid, Greg, ich wollte deine Gefühle nicht verletzen.“ Sie tätschelt dem Maultier den Hals und es grunzt zufrieden.

      „Wenigstens bei ihm zeigt Ihr Mitgefühl“, murmele ich und ignoriere ihren unangebrachten Tonfall.

      „Bitte?“ Sie zieht eine Augenbraue hoch.

      „Nichts. Steigt auf, wir brechen auf.“ Sie tut tatsächlich, was ich sage. Doch kaum ist sie aufgesessen kommen die nächsten bohrenden Fragen. Ich wünschte langsam, ich hätte sie einfach umgebracht, sie macht mich unglaublich wütend! Stopp. Nein. Wie kann ich nur so abtrünnige Gedanken haben?

      „Was war das für ein Ding, das in mein Haus eingebrochen ist? Also, ich meine nicht Euch. Sondern das, das später dazu kam.“

      „Komisch seid Ihr auch noch ...“, grummele ich. Wie kann eine so engelsgleiche Gestalt so dermaßen sarkastisch sein? „Ich habe etwas wie ihn noch nie gesehen, aber er kam ganz sicher im Auftrag der Herzogin.“

      „Sah er unheimlich aus?“, sie starrt mich von der Seite an, als wir den Hügel hinauf reiten, Richtung Gebirge.

      „In der Tat.“

      „Unheimlicher, als Ihr?“