Charline Dreyer

Mirabili


Скачать книгу

die Herzogin gesprochen hat? Aber könnte ein so harmlos aussehendes Menschenmädchen denn je jemandem wie mir überhaupt ansatzweise gefährlich werden?

      „Stehen bleiben, oder diese Messer treffen erst Euer Herz und dann Eure Kehle! Und glaubt mir, ich bin mehr als nur fähig dazu!“, wirft sie mir ihre Worte entgegen, wie kalte Blizzards. Das beantwortet zumindest schon einmal einen Teil meiner Fragen. Doch dann sehe ich ihre kleinen Hände, fest um die Griffe zweier Messer geschlungen, wie sie sie aus dem Schatten in der Ecke ins Mondlicht streckt. Mir entfährt sofort ein Lachen, so dünne Arme können gar nicht gefährlich sein. Sie hätte nicht einmal die Kraft, eines dieser Messer zu werfen. Wie will sie dann mit zweien gleichzeitig hantieren? - Das ist der Moment! Ich sollte sie an diesen kleinen, zarten Armen packen. Schneller, als sie realisieren kann. So fest zudrücken, dass sie diese Spielzeugmesser fallen lässt und dann sollte ich dem ganzen Spiel ein Ende setzen. Dann wäre ich frei von diesen lächerlichen Fantasien und der Besessenheit von ihr. Diesem ständigen Drang bei ihr zu - … Verdammt! - sei ihr Geruch, der mich erreicht. So lieblich und süß, überrollt mich und hüllt mich ein, schneidet mir den Gedankengang ab. Mein Kopf ist wie leergefegt.

      „Mir wurde schon gesagt, Ihr würdet mir drohen ...“, entfährt es mir. Wieso spreche ich? Wieso greife ich nicht an? Meine Beine sind zäh, wie versunken im Morast des großen Waldes.

      „Was wollt Ihr in meinem Haus?“ Es ist merkwürdig, ihre Stimme aus der Dunkelheit zu hören. Ihre Stimme, hübscher als die der Feen. Ich will sie sehen … Nur um besser abwägen zu können, wie ich sie packen kann, natürlich!

      „Ich bin im Auftrag der Herzogin gekommen, Geneviève.“ Ich spreche schneller, als ich denken kann. Was um alles in der Welt gebe ich hier von mir? Ich sollte mir mein eigenes Schwert in den Leib rammen.

      „Warum flüstert Ihr?“, fragt sie und ihre Stimme zittert leicht. Wenn man sie nicht kennen würde, würde man ihr die Nervosität nicht anmerken. Doch da ich sie wahrscheinlich öfter habe reden hören als jeder andere Mirabilis, höre ich das kleine Zittern ganz deutlich.

      Ich flüstere, um Euch nicht zu verschrecken, will ich sagen. Damit niemand hören kann, wie ich Euch töte, müsste ich sagen und: „Ihr wohnt hier allein, nicht wahr?“, sage ich stattdessen, was vollkommen überflüssig ist, da ich die Antwort natürlich bereits kenne.

      Ohne auf diese Frage einzugehen tritt sie nun endlich aus dem Dunkel ins Mondlicht und mir stockt der Atem, wie so oft bei ihrem Anblick. Ihre klaren Augen mustern mich von oben bis unten und sie hält die Messer gezückt, was mich immer mehr amüsiert. So ein kleiner Mensch kann gar nicht gefährlich sein. Meine Glieder werden schwächer und ich schaffe es kaum noch, aufrecht zu stehen. Ob sie doch eine Hexe ist? Ist das Magie? Ein Fluch? Was tut sie mir an!

      „Wie nennt Ihr Euch?“, fragt sie, nun schon etwas mutiger und mit erhobenem Haupt.

      „Jared. Mein Name ist Jared. Ich bin erster Krieger der Herzogin.“ Und ich werde dir deine zarte Kehle aufschneiden, schneller noch als du überhaupt in Erwägung ziehen könntest, deine Messer nach mir zu werfen. Was ich allmählich tun sollte, da ich es nun endgültig geschafft habe, jegliche Anonymität zunichte zu machen.

      „Was Ihr nicht sagt.“ Ihre Lippen zucken und sie legt den Kopf schräg, wodurch ihr unendlich langes Haar ihr auf der rechten Seite beinahe bis zur Hüfte reicht. Ein silberner Wasserfall, der ihre Kurven umgibt, an ihnen entlangfließt und ihnen schmeichelt.

      „Was starrt Ihr mich so an?“, zischt sie und tritt wieder einen Schritt zurück. Verunsichert ziehe ich die Augenbrauen zusammen. Was soll ich sagen? Ich bin kein Mann großer Worte, dafür umso größerer Taten. Ich bin ein Mann, der sich von Schattenwesen, Riesen, wilden Tieren, Trollen und monströsen Gestalten nicht im Ansatz verunsichern lässt. Doch da stehe ich nun. Vor einem kleinen Mädchen mit großen Augen, deren Farbe sich kaum deuten lässt und ich fürchte mich. Oh, und wie ich mich fürchte! Aber nicht vor ihr, nein. Ich fürchte mich vor mir selbst und davor, wie sie mein Unterbewusstsein berührt.

       Verdammt sollt Ihr sein, Jade.

      Ich schließe die Augen und greife mit meiner finstersten Magie nach ihrem reinen Herzen. Sie lässt die Messer fallen und mit dünner Stimme entfährt ihr: „Was tut Ihr da?“ Ohne an meinen eigenen Schmerz zu denken, den ihr verzerrter Gesichtsausdruck bei mir hervorruft, lasse ich meine düstersten Energien in ihren warmen Körper fließen und spüre, wie ihr Herzschlag immer langsamer wird. Ich brauche sie nicht einmal berühren. Es geht ganz schnell. Noch ein paar Sekunden und sie ist tot. Ein paar Sekunden. Es geht schnell. Schnell …

      „Du … Du bist ...“, krächzt sie. Ich halte ein, es geht nicht anders, ich versuche sie zu verstehen. „Der … Schatten.“

      Zu spät. Es ist zu spät. Die Magie verblasst schon wieder. Ich habe mich ablenken lassen. Meine einzige Möglichkeit ist verstrichen. Ich bin eingebrochen, unter ihr. Ich habe versagt. „Was bin ich?“, hauche ich und falle neben ihr auf die Knie. Will sie halten, sie wärmen. Diese furchtbare schwarze Magie, die ich ihr angetan habe zurücknehmen. Will ihr nie wieder etwas antun. Will sie beschützen, vor mir selbst.

      „Du bist mein Schatten.“

      Und da wird es mir klar. Sie weiß genau, wer ich bin und wie lange ich sie schon beobachte.

      G E N E V I È V E

      Ich werde tief in der Nacht von einem Geräusch geweckt. Es hört sich an, als wäre eine Böe durch das Windspiel gerauscht, welches aus kleinen Scherben und Muscheln besteht und am Hauseingang hängt. Doch ich weiß genau, dass es vollkommen windstill ist. Ich fahre hoch und greife unter mein Kissen nach meinen Messern, halte die Luft an und tauche in den Schatten ein, den mein hoher Kleiderschrank im Mondlicht wirft.

      Schwere Schritte auf dem Korridor lassen mich erzittern. Da treibt sich jemand in meinem Haus herum, ganz offensichtlich! Und das nicht einmal darum bemüht, leise zu sein. Eine hohe Gestalt betritt das Schlafzimmer und schaut sich suchend um. Ich erkenne schemenhaft, dass es sich um einen Mann handeln muss. Auch das noch.

      „Stehen bleiben, oder diese Messer treffen erst Euer Herz und dann Eure Kehle! Und glaubt mir, ich bin mehr als nur fähig dazu!“, donnere ich aus meinem dunklen Versteck und halte die Klingen abwehrend vor mir ausgestreckt. Ich nehme ein leises, verächtliches Lachen wahr, was meine Gewaltbereitschaft nur noch mehr provoziert.

      „Mir wurde schon gesagt, Ihr würdet mir drohen ...“ Seine Stimme klingt heiser und tief, ein bisschen angsteinflößend.

      „Was wollt Ihr in meinem Haus?“, zische ich und wage es nicht, ins Licht zu treten.

      „Ich bin im Auftrag der Herzogin gekommen, Geneviève.“ Das wird ja immer besser. „Warum flüstert Ihr?“, ich denke, ich klinge klar und gefasst, doch mein Herz rast.

      „Ihr wohnt hier allein, nicht wahr?“, da er jetzt laut spricht, komme ich in den Genuss des schmeichelnden Klangs seiner ungewöhnlichen Stimme. Das ist wohl genau das, was ein Fremder nicht wissen sollte, wenn er nachts bei dir einbricht. Langsam trete ich nun doch hervor und mustere den Mann in meinem Zimmer von oben bis unten. Lederne Weste, dunkle Hosen. Das Gewand eines Kriegers, ein Gürtel mit Waffen und besonders auffällig ist das lange Schwert an seiner Hüfte. Das Wappen des Herzogtums in Form einer Brosche ziert den Kragen seiner Weste. Zarte Flügel und ein gebogener Säbel, der sich schützend über sie legt. Was für eine Ironie, wenn man bedenkt, dass die Herzogin selbst sich für den Schutz der Feenwesen einzusetzen hat und diese aber seit Jahren als ihre Diener versklavt. Das Haar des Mannes ist dunkel und reicht ihm vermutlich bis zur Schulter, weshalb es hinten im Nacken zusammen gebunden ist. Seine Augen sind einschüchternd blau, im Mondlicht wie flüssiger Türkis und er trägt den Ansatz eines Bartes, was seinen markanten Kiefer noch härter aussehen lässt. „Wie nennt Ihr Euch?“, frage ich bestimmt und nehme weiterhin eine abwehrende Haltung ein, meine Messer gezückt.

      „Jared. Mein Name ist Jared. Ich bin erster Krieger der Herzogin.“

      Ich wusste es. „Was Ihr nicht sagt.“ Weiterhin skeptisch mustere ich diesen einschüchternden Mann. Dann ist ihm nicht zu trauen.