Charline Dreyer

Mirabili


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sein!“, wiederhole ich seine Wortwahl und schaue ihn an. Seine große, schlanke Gestalt wirft unheimliche Schatten. Doch sein Gesichtsausdruck ist so weich, so mitfühlend. „Muss es nicht wenigstens einen geben, der der Wahrheit ins grässliche Antlitz blickt?“

      „Menschen und ihre Emotionalität“, murmelt er, streicht mir das Haar aus dem Gesicht, was seine Worte abmildert. „Es wird zu keinem Krieg kommen. Es wird alles bleiben, wie es ist“, verspricht er.

      „Wird es nicht. Selbst wenn die Herzogin es nicht wagt … Selbst wenn. Du gehst fort und ich … Ich habe niemanden mehr.“ Menschen ist es nicht erlaubt, der Königin zu dienen. Selbst wenn ich das Zeug dazu hätte – was ich definitiv habe – würde es unmöglich bleiben. Gerade junge Frauen werden nicht wirklich ernst genommen, wenn sie dir ihr Messer an die Kehle halten. In Wills Adern jedoch fließt das magische Blut seiner Urahnen. Eines Tages wird er Magier sein und seine Fähigkeiten am Bogen werden sich optimieren und ihn zu einem gefährlichen Krieger machen. Oder vielleicht ist es ihm auch bestimmt, zum Wesen der Nacht zu werden. Dann wird er mit den Schatten verschmelzen, schnell wie der Wind sein und stark wie ein drei mannshoher Bär. Oder er wird des Fliegens mächtig und zusammen mit einem Pegasus den Himmel über Mirabili beherrschen … Ihm sind keine Grenzen gesetzt. Im Gegensatz zu mir.

      „Das wird sich nicht vermeiden lassen … Die Hexen haben bereits entschieden“, antwortet er und blickt ins leuchtende Dickicht. Auch über mein Schicksal haben sie ebenfalls bereits gerichtet. Mir ist es erlaubt, die Messer als Waffen zur Verteidigung meiner selbst oder eines magischen, höheren Wesens einzusetzen. Eigentlich eine Ehre, denn die meisten Mädchen dürfen nicht mit Waffen hantieren, erst recht nicht, wenn sie menschlicher Abstammung sind. Die meisten Frauen werden Hebamme, oder Bäckerin, oder Floristin. Manchmal auch Hüterin von Fabelwesen. Früher wollte ich immer Einhörner reiten können.

      „Vermutlich werden wir uns trotzdem irgendwann wiedersehen. Mich würde es nicht wundern, wenn du es doch irgendwann bis ins Schloss schaffen solltest“, flüstert er mit einem Lächeln.

      „Das ist lächerlich.“

      „Also lehnst du es gänzlich ab, über die Herzogin zu wachen?“ Resigniert versucht er, meinen Blick zu halten.

      „Wie von vornherein geplant.“

      „Was wirst du sonst tun?“ Verzweifelt packt er mich an den Oberarmen und ich bin schließlich gezwungen, den Blick seiner abgrundtiefen, besorgten Augen zu erwidern. „Das wird die Zukunft zeigen. Jetzt lass uns endlich jagen gehen, Will.“ Ich schüttele seine Hände ab und lasse mich vom Grün des Waldes verschlingen.

      Drei Jahre später

      J A R E D

      Der silbernste aller Monde. Ich denke an diesen, den hellsten, den kühlsten, wenn ich sie sehe. Ich denke an die tiefschwarze Nacht, die sie umgibt wie ein edler Umhang. Die im kompletten Kontrast zu ihrem hellen Schein steht. Ihre Augen, klar, tief. Sie scheinen zu strahlen, wann immer man ihren Blick auffängt. Ihr Haar, so hell und lang. Die Art, wie sie es trägt. Glatt, seidig. Ihre Haut, wie Porzellan. Weich, wie weiße Rosen und mit demselbigen Duft.

      Der silbernste Mond scheint kühl und einsam in der dunklen Nacht, weit abseits seiner anderen Geschwisterplaneten. Wie sie, sie ist kühl und einsam in der Dunkelheit des Alltags. Die zähe Trägheit des Alltags. Das Grauen der täglichen Lasten und Sorgen. Das Elend ihrer Menschlichkeit.

      Ich will sie ansprechen. Ich will ihre Stimme hören. Ich will sie zum lächeln bringen. Doch ich tue es nicht. Ich tue es nicht, aus Angst, meine eigenen Erwartungen könnten sich nicht erfüllen. Aus Angst, ich würde einen Schein zerstören, den ich mir selbst aufgebaut habe. Den ich mir selbst herbei fantasiert habe.

      Sie ist meine Konstante, der tägliche Lichtblick. Meine Dosis an Glück.

      „Die blauen kosten Euch etwas mehr, Lisbeth“, sagt sie sanft und reicht einer alten Dame einen Strauß mit wunderschönen Blumen in der Farbe von Saphiren.

      „Aber Kindchen, es ist der Hochzeitstag meiner Enkelin. Macht mir ein faires Angebot und ich werde Euch beim nächsten Einkauf zwei Hühner dazu schenken.“ Das alte Mütterchen mit den glasigen Augen und dem herzlichen Lächeln diskutiert nun schon beinahe den ganzen Vormittag mit ihr um einen Preis für die Blumen. Sie, mit ihrem Strahlen, ihrer Präsenz einer Göttin, umgeben von Blumen und Kräutern jeder Art, verkauft jeden Vormittag ihre Ware auf dem Markt der Magierinnen. Wie auch immer sie es geschafft hat, sie hat sich einen Namen gemacht zwischen all den Hexen und Zauberinnen. Sie, ein gewöhnliches Mädchen menschlicher Abstammung, zwischen all den magischen Gestalten, die normalerweise allem Ungewöhnlichen den Rücken kehren und bekannt sind, für ihre Intoleranz.

      „Um Himmelswillen, wie oft muss ich Euch noch sagen, dass Ihr hier nichts verloren habt“, krächzt eine alte Hexe hinter mir und verschleiert mir mit einem Zauber die Sicht zu dem Menschenmädchen. Etwas erschrocken wende ich mich ihr zu und senke respektvoll den Blick. „Ich bin im Auftrag der Herzogin hier. Vergebt mir, falls ich Euch gestört habe bei … Euren Geschäften.“ Es ist die Älteste. Ihr Haar reicht bis zum Boden, sie geht geduckt und ihre Augen sind nichts weiter als zwei schwarze, kleine Punkte in einem Gesicht voller tiefer Falten. Man sagt, sie sei älter als der Planet Mirabili selbst. Wie auch immer das möglich sein soll.

      „Die Aufträge der Herzogin interessieren mich nicht, hört auf hier herumzulungern wie ein streunender Köter. Oder muss ich Euch tatsächlich erst in einen verwandeln?“

      Ich spanne mich unter dem Leder meiner Kleidung an, werfe einen raschen Blick in die Richtung des Mädchens, doch sie scheint viel zu sehr mit der Standhaftigkeit des Mütterchens beschäftigt zu sein, als ihre Aufmerksamkeit in meine Richtung zu lenken. „Es tut mir aufrichtig leid, ich werde Euch nicht mehr das Gefühl geben, irgendjemanden zu belästigen.“ Mit diesen Worten werde ich eins mit dem Treiben auf dem Markt, versinke in der Menge und gebe mich meinen Gedanken hin.

      Ich hege keinen Groll gegen meine Herzogin. Ich führe ihre Aufträge aus. Ich tue nichts weiter, als ihren Aufforderungen zu folgen.

      Immer wieder rede ich mir das ein. Immer und immer wieder.

      Es ist meine Pflicht, das Mädchen zu observieren. Ich tue das als erster Krieger der Herzogin. Ich tue das für die Allgemeinheit. Ich tue es nicht aus eigenem Willen. Doch. Ich tue es aus dem Willen, meiner Herzogin zu dienen. Das ist es. Und nur das. Nichts weiter.

      Ich gebe ein leises Knurren von mir, als ich an ihre Worte denke ...

      „Wir müssen dafür sorgen, dass sie isoliert bleibt. Allein lebt. Und, bei allen Monden – achte darauf, dass sie in ihrem Leben nicht den Hof der Königin auch nur von der Nähe sieht.“

      Auch wenn Gesagtes der Herzogin nie hinterfragt werden darf, tat ich es dennoch: „Was wird passieren, sollte es trotzdem geschehen? Was, wenn ich es nicht schaffen sollte ...“

      Ihr Blick war schneidend geworden, so scharf wie mein eigenes Schwert. Zerschmetternd. Unheilvoll. „Du wirst es nicht dazu kommen lassen, Jared. Diese Sache wird sonst zur Gefahr – und zwar für den gesamten Planeten!“ Worte, die keinen Widerspruch zulassen. Worte, denen man nicht ausweichen kann. Wie Giftsporen, die sich langsam in die Haut fressen.

      Ich hatte es damals dabei belassen. Nicht nachgefragt, wieso ich das Mädchen nicht gleich umbringen soll. Und heute bin ich dankbar dafür, auch wenn ich es niemals laut aussprechen würde. Etwas in mir hat sich verändert. Etwas in mir fühlt Schmerz und Abscheu vor mir selbst. Da ist diese … Angst. Angst, diesem zarten Mädchen auch nur eines ihrer seidigen Haare zu krümmen. Angst, sie könnte mich mit ihren ungewöhnlich großen Augen ansehen, während ich mein Schwert gegen sie erhebe. Angst, sie schreien zu hören. Ihr Schmerzen zuzufügen. Sie tatsächlich … zu töten.

      Ich versuche mir seit Monaten das Gegenteil einzureden. Ich versuche seit Monaten, diesen Gefühlen auszuweichen, sie abzustellen,