Charline Dreyer

Mirabili


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nein. Ehrlich gesagt nicht“, erwidere ich schließlich. Ich habe tatsächlich nie darüber nachgedacht. Es ist für mich ganz offensichtlich, dass jede erdenkliche Eigenschaft mit der Abstammung zusammenhängt. „Doch darüber können wir uns jetzt nicht streiten, wir müssen aufbrechen.“

      „Wir?“

      „Ich werde Euch mitnehmen, sagte ich doch bereits.“

      „Und was, wenn ich nicht will? Ich kann gut alleine auf mich aufpassen.“

      „Ja? Mit den zwei Spielzeugmessern dort?“, ich deute auf die kleinen Klingen.

      „Wollt Ihr mich etwa infrage stellen?“ Ihre Miene verdüstert sich und schon wieder springt ihre Stimmung um.

      „Geneviève“, stöhne ich.

      „Ich komme mit, aber dann müsst Ihr mir alles erzählen, was Ihr wisst.“

      „Gut.“

      „W- was?“, stammelt sie verblüfft. Damit hat sie nicht gerechnet. Aber da ich nach diesem schwerwiegenden Fehler heute Nacht ohnehin wegen Hochverrats zum Tode verurteilt werde, macht es auch keinen Unterschied mehr, wenn ich all die dreckigen Geheimnisse der Herzogin ausplaudere.

      „Ich werde Euch alles erzählen, was Ihr wissen wollt.“

      „Und Ihr werdet nicht mehr versuchen, mich zu töten?“

      „Nein.“

      „Und keine Magie mehr. Wie ich das hasse ...“

      „Keine Magie mehr gegen Euch“, versichere ich nachdrücklich. Ungeduldig schaue ich aus dem Fenster in die tiefe Nacht. Die Herzogin wird bereits wissen, was ich getan habe. „Und ich möchte ein eigenes Pferd“, wirft sie ein, doch ich höre kaum zu. Jade weiß immer, wo ich mich aufhalte und vor allem mit wem. Wir müssen als erstes ihre Spitzel los werden … Ein Funken Panik steigt in mir auf. War es das Leben der Kleinen wert? War es das wert, mein Dasein als erster Krieger der Herzogin Jade aufzugeben und für immer auf der Flucht zu leben? Mit einem Zittern wird mir bewusst, was ich bei den Monden nochmal für einen Fehler begangen habe. „Und ich will, dass Ihr freundlich zu mir seid. Ich bin kein Vieh oder keine Gefangene, ich will wie ein Mensch behandelt werden. Obwohl, das sollte ich vielleicht nicht sagen, denn Ihr behandelt Menschen ja offensichtlich wie Vieh ...“

      „Es reicht!“, entfährt es mir. „Das wird kein Spaziergang!“ Mit einem Schritt baue ich mich vor ihr auf, mit geballten Fäusten und zitternden Muskeln. „Ihr seid nicht in der Position, Forderungen zu stellen. Wenn Ihr mich nicht begleitet, seid Ihr tot!“

      „Nun, Ihr aber auch, nicht wahr?“, giftet sie zurück und macht sich so groß, wie es eben möglich ist. „Euch werden sie wohl als erstes umbringen, habe ich recht? Ein Krieger der zu feige zum Töten ist, das ist eine Schande.“

      Die Wut wird heiß, kalt, dann wieder heiß. „Könnt Ihr mir nicht einfach danken?“, seufze ich schließlich und versuche, tief durch zu atmen.

      „Wofür denn? Ich wäre lieber tot, als auf der Flucht“, jedes ihrer Worte trifft mich direkt ins Herz.

      „Das kann nicht Euer Ernst sein.“ Ich schüttele den Kopf. „Lieber tot, als am Hofe der Herzogin. Lieber tot, als auf der Flucht. Gebt Ihr immer so schnell auf?“

      Sie sieht zu Boden und ihre Schultern sacken nach vorn. Schon wieder ein Umschwung ihrer Emotionen.

      „Ich werde Euch beschützen Geneviève, das verspreche ich. Ihr seid bei mir sicher.“

      „Sagt mir nur eins“, setzt sie an, „wieso habt Ihr mich verschont. Wieso nehmt Ihr all das auf Euch?“

      Etwas in mir wird weich, bei dem Klang, den ihre Stimme nun angenommen hat. Sanft, vorsichtig. Lieblich, wieder zu ihrer Gestalt passend und nicht mehr schnippisch und trotzig. „Ich kann Euch darauf keine Antwort geben.“

      „Findet Ihr nicht, Ihr seid mir eine schuldig?“

      „Doch“, murmle ich, „hebt Euch die Frage für später auf, wir sollten nun wirklich fort von hier.“

      Sie schaut mich von unten durch ihre langen Wimpern hinweg an, direkt in die Augen und mir fällt es schwer den Ausdruck in ihnen zu deuten. „Ich vertraue Euch nicht, aber ich habe keine andere Wahl.“

      „Glaubt mir, ich vertraue mir selbst nicht mehr ...“

      Sie lächelt müde. „Gute Voraussetzungen für jemanden, der mir eben noch Sicherheit versprochen hat.“

      „Es gibt auch Dinge, die für mich sprechen“, erwidere ich und mein rechter Mundwinkel zuckt wie von selbst nach oben. Etwas in ihren Augen verändert sich und sie hält für einen kurzen Moment die Luft an. „Und die wären?“ Herausfordernd stütz sie die Hände in die Hüften.

      „Nun ja, ich kann kämpfen. Ich bin der erste Krieger der Herzogin.“

      „Wart“, verbessert sie und zeigt mit ihrem Finger auf mich, „Ihr wart es.“ Ich will ihre ausgestreckte Hand nehmen und …

      Schluss jetzt.

      Ich habe das ungute Gefühl, dass sich draußen jemand herumtreibt. Sofort spanne ich mich an und höre angestrengt nach einem verräterischen Geräusch. „Wir müssen umgehend hier weg“, zische ich und wende mich der Tür zu, der ich bis eben noch den Rücken zugewandt hatte. Ich schließe die Augen und versuche mein Gehör zu sensibilisieren. Genevièves Atem ist das erste, was ich höre. Dann ihr Herzschlag, das Blut in ihren Adern. Mein Herzschlag, mein Blut … Eine Maus unter den Dielen - „Was ist?“, sie flüstert zwar, doch ihre Stimme wirkt so laut, dass meine Ohren klingeln. Mit einer ruckartigen Geste bringe ich sie zum Schweigen. „Wir sind nicht länger allein“, raune ich. - Also, die Maus unter den Dielen. Irgendwo tropft etwas. Wasser. Vor der Tür. Vermutlich in die Regentonne. Weiter weg das Rascheln von Gefieder, eine Eule. Das Surren von Insekten – Glühwürmchen?

      Und dann – ein weiterer Herzschlag, langsam. Der, eines Menschen. Oder jemand meinesgleichen. Etwa fünf Riesenlängen weit weg.

      Ich öffne die Augen. „Hat das Haus einen weiteren Eingang?“, ich spreche so leise ich kann.

      Sie runzelt die Stirn. „Nein.“

      Verdammt. „Hör mir jetzt genau zu, Kleines. Du hast keine Zeit irgendetwas von hier mit zu nehmen. Du wirst nie wieder an diesen Ort zurück kehren. Alles, was Teil deines alten Lebens war wirst du hinter dir lassen und wenn du mit mir kommst, wirst du mir vertrauen müssen. Du wirst mir keine Vorwürfe machen wenn ich Entscheidungen treffe, die dir nicht gefallen und du wirst nichts von dem Anzweifeln oder infrage stellen, was ich tue.“ Sie kneift die Augen zusammen und versucht meine Worte zu verarbeiten. Dann beginnt sie langsam mit dem Kopf zu schütteln und ihr entfährt ein leiser Schluchzer. „Schht“, mache ich und lege einen Finger auf ihre Lippen, sie zuckt zusammen und eine Träne blitzt an ihrem Augeninnenwinkel auf. „Dafür werde ich dich mit meinem Leben beschützen Geneviève.“

      „Wieso ...“

      „Lass mich dein Krieger sein.“ Ich nehme ihre Hand und in dem Moment als die Haustür mit einem Scheppern in Kleinholz geschlagen wird, hülle ich uns beide in dunkle Schatten und fange ihren schlanken Körper auf, als meine Magie sie in einen tiefen Schlaf versetzt.

      G E N E V I È V E

      Da ist ein Korridor, endlos lang. An den Seiten sind Schränke aus Metall in kühlem Blau und das Licht von oben blendet meine Sicht. Akustisch nehme ich nichts weiter als ein Gewirr aus Stimmen wahr. Laut und durchdringend. Dann ein Quietschen, das sich zwischen das Gemurmel mischt. Immer wieder abgehackt, kurz, dann wieder abklingend.

      Ich blinzele verwirrt. Das ist ein Traum, oder? Wo bin ich?

      Ich versuche mich krampfhaft an etwas zu erinnern. - Der Krieger, der mich töten wollte und mir dann seine Treue geschworen hat. Dunkelheit. Ich erinnere mich an die Kälte und an ein lautes Krachen. An den Geschmack von Salz. Tränen. Meine Tränen.

      -Ich schaue mich um.