Charline Dreyer

Mirabili


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Krieger, Jared, blickt mich unentwegt an und steht steif wie eine Salzsäule vor mir. Beinahe wie ein Geist, bewegt sich nicht und seine Augen fesseln mich im Mondlicht dieses kleinen Zimmers und ich fühle mich erdrückt, spüre einen Druck auf der Brust. Ein Verlangen danach, dieser Situation zu entkommen. Ihm zu entkommen. Ich möchte wegrennen, möchte fliehen.

      „Was starrt Ihr mich so an?“ Meine Stimme ist scharf und voller Misstrauen. Der Krieger scheint verwirrt, verzieht das Gesicht, was ihn irgendwie menschlicher aussehen lässt. Ist er nicht! Er ist nicht menschlich, er ist in erster Linie gefährlich! Doch dieser Moment der Unsicherheit reicht aus, dass meine Hände wie von selbst nach unten sacken und die Messer scheppernd auf den Holzdielen landen. „Was tut Ihr da?“, keuche ich und sinke zu Boden. Eine unendliche Kälte legt sich um mein Herz, drückt zu und nimmt mir die Luft. Der Krieger tritt näher, beugt sich über mich wie ein unheilvoller Schatten. Schatten … Schatten! Bilder der letzten Jahre schießen mir wie kleine Rückblicke durch den Sinn. Bilder von dem Schatten auf dem Markt, beim Jagen im Wald, in meinen Träumen, beim Schwimmen am Steinbruch … „Du … Du bist ...“, ich ringe nach Luft, versuche die Worte auszusprechen, doch es kommen nur Fetzen heraus und die Kälte fängt schon zu brennen an, beißt sich in jede meiner Zellen und lässt nicht los. „Der … Schatten.“

      „Was?“, stöhnt er und fällt neben mir auf die Knie. Die Kälte wird schwächer, noch immer einnehmend aber ich bekomme wieder Luft. Ich sehe ihn an, direkt in diese unergründlichen Augen und flüstere: „Du bist mein Schatten.“

      „Geneviève ...“ Wie er meinen Namen sagt, das jagt mir eine Gänsehaut über den gesamten Körper.

      „Woher kennt Ihr ...“

      „Es tut mir so leid.“ Er streckt seine Hand nach mir aus doch ich schrecke zurück, presse mich halb auf dem Boden liegend gegen die Wand. Ein völlig fremder Mann, in meinem Haus scheint erst Konversation führen zu wollen, um mich danach umzubringen? Sich dann entschuldigend vor mir auf die Knie fallen zu lassen, das ist so gar nicht die Art, die ich einem stolzen Krieger zugetraut hätte. Erst recht nicht im Auftrag der Herzogin.

      „Das ist ein Trick, nicht wahr?“, wachsam drücke ich mich in eine aufrechte Position, mein Blick huscht zu den Messern rechtes neben mir auf dem Boden.

      „Bitte? Was?“ Seine Verwirrung nutze ich aus. Blitzschnell greife ich nach meinen Waffen, packe ihn von hinten und halte ihm eine Klinge an die Kehle. Seine Haut ist kalt wie Stein und glatter, als ich gedacht hätte. „Das“, knurre ich dicht an seinem Ohr.

      Er zieht scharf die Luft ein und spannt sich an. „Tut das nicht“, warnt er.

      „Ich tue, was immer ich will“, erwidere ich trotzig. „Was wollt Ihr wirklich hier? Seid Ihr ein Auftragsmörder?“

      „Nehmt das Messer weg.“ Er klingt ganz ruhig. Unheimlich ruhig. Die Stimmungen in diesem Raum scheinen in jeder Sekunde umzuschwenken, genauso wie die Position desjenigen, der die Oberhand gewinnt. Jetzt drücke ich die Klinge noch fester an seinen Hals, doch das scheint ihn herzlich wenig zu interessieren. Mit einer Bewegung die schneller ist als ein Luftzug, haben wir zu meinem Erschrecken die Plätze getauscht. Doch hält er mir keine Klinge an die Kehle sondern seine Hand auf meinen Mund und drückt mich, jetzt stehend, gegen seine harte Brust. „Genau das bin ich, Geneviève – und ich bin hier, um dich umzubringen.“

      Dämonen und Engel

      J A R E D

      Tausende von Szenarien spielen sich in meinem Bewusstsein ab. Tausende Szenarien, wie ich sie ermorde. Und keine erscheint mir auch nur im Ansatz als machbar. Ihr warmer Körper an meiner Brust und ihre weichen Lippen an meiner Handfläche, dann das Geräusch ihres Herzens. Ein schnelles, lautes Pochen. Das rauschen ihres Bluts und der Geruch nach … ihr. Immer dieser Geruch.

      „Hmm!“, stöhnt sie an meiner Hand, windet sich unter meinem Griff. Ihr Haar kitzelt mein Kinn und ich verspüre den Drang meine Lippen auf ihren Scheitel zu pressen und ihren Geruch noch tiefer einzuatmen. Noch mehr von ihr aufzunehmen. Ihre Aura ist einfach unglaublich. Ihre Präsenz mächtig. Kaum zu vergleichen mit der der Herzogin. Die Herzogin hat eine prachtvolle Aura, das war es auch, was ich einst anziehend an ihr gefunden habe. Doch verglichen mit der des Mädchens ist sie nichts … In dem Moment keimt eine Vermutung in mir auf, was der wahre Grund für die Angst der Herzogin vor Geneviève sein könnte, doch bevor ich die Idee auf mich wirken lassen kann, hat sie mir in die Hand gebissen und sich aus meinem Griff befreit.

      „Wirklich geschickt“, murmle ich und sehe gelassen zu, wie sie zur Tür hastet. In dem Bruchteil einer Sekunde stehe ich neben ihr und packe ihr Kinn mit einer Hand. Sie schlägt um sich, krallt sich an meinem Arm fest und sieht mir stur in die Augen, wie ein kleines Kind. Nun, mehr ist sie auch nicht. Ein Kind.

      „Lasst mich los!“, faucht sie mit purer Abscheu.

      Sie will mich hassen? Gut, dann spiele ich mit. „Wisst Ihr denn nicht, dass man einem Wesen der Nacht nur schwer entkommen kann?“, raune ich und lasse etwas Magie in ihren Körper fließen, was sie zum schaudern bringt.

      „Wisst Ihr denn nicht, dass Ihr scheinbar nicht ernst zu nehmen seid, wenn Ihr schon nicht den Mumm habt, mich gleich zu töten?!“

      Ich verziehe meine Lippen zu einem bitteren Lächeln. „Ja, Ihr scheint wahrlich mutiger zu sein als ich, Geneviève“, erwidere ich sarkastisch.

      „Spart Euch Eure Kommentare und lasst mich zufrieden. Ihr wollt mich nicht umbringen, sonst hättet Ihr es längst getan.“ Sie entspannt sich in meinem Griff und lässt meinen Arm los.

      „Ich werde Euch nicht töten. Ich nehme Euch mit.“ Mir bleibt nichts anderes übrig. Jetzt, wo ich es versäumt habe sie auszuschalten, weiß sie von meiner Existenz und von dem Interesse der Herzogin an ihr und das ist nicht gut.

      „Ach, und wohin? Wenn Ihr mich zur Herzogin bringen wollt, tötet mich lieber!“ Das kommt so ernst und so kalt, dass ich fast zusammenzucke.

      „Meint Ihr das wirklich so?“

      „Sehe ich etwa aus, als wäre mir nach Späßen zumute?“ Sie schnaubt verächtlich, wieder wie ein kleines trotziges Kind. Da ist sie, die Enttäuschung. Geneviève ist keine Göttin. Sie ist kein Engel. Sie ist tatsächlich bloß ein Kind.

      Ich schlucke hart. „Das ist wirklich alles andere, aber kein Spaß. Der gesamte Hof der Herzogin wird auf der Suche nach Euch sein, wenn sie bemerkt dass ich versagt habe.“ Und mich wird sie gleich mit hinrichten lassen. Ich habe versagt, sie unbemerkt zu observieren und ich habe versagt, sie auf eigene Faust auszuschalten. Ob die Herzogin mir gedankt hätte, hätte ich das Mädchen tatsächlich getötet, oder ob sie mich nur noch mehr dafür bestraft hätte spielt jetzt auch keine Rolle mehr.

      „Ich verstehe nicht … Was habe ich getan? Nur weil ich ihr nicht dienen wollte? Ich bin verwirrt.“ Nun wirkt sie nichts weiter als verletzlich und klein. Ihr schlankes Gesicht in meiner großen Hand. Warme weiche Haut an kalter, glatter. Vorsichtig lasse ich sie los und sie macht keine Anstalten auf einen weiteren Fluchtversuch, sondern fängt an zu blinzeln und flach zu atmen. Das tut sie immer, wenn sie sich aufregt.

      „Niemand weiß genau, was Ihr an Euch habt. Aber eins ist klar, die Herzogin ist voller Furcht vor Euch“, erkläre ich.

      „Vor mir?“, sie lacht laut auf, nur um danach noch einmal nervös zu blinzeln. „Warum sollte sie sich vor mir fürchten? Ich tue doch niemandem etwas. Ich bin doch bloß ...“

      „Ein gewöhnlicher Mensch“, vollende ich den Satz.

      Erzürnt schnappt sie nach Luft. „Das ist nicht das, was ich sagen wollte!“

      „Nicht?“ Ich bin wirklich verwundert.

      „Schon einmal daran gedacht, dass Mut und Stärke nicht