Charline Dreyer

Mirabili


Скачать книгу

und da ist nur dieser eine Gedanke: Ich observiere sie nicht, um den Planeten vor ihr zu beschützen. Ich beschütze sie vor dem Planeten. Ich beschütze sie vor der Herzogin. Ich beschütze sie, damit es mir besser geht und beobachte sie nicht mehr, um der Herzogin willen.

      Ich observiere sie, weil ich keinen Tag mehr überstehen kann, ohne ihr Gesicht zu sehen und diese bittere Wahrheit bringt mich fast um. Diese Erkenntnis bringt mich ins Grab, dessen bin ich mir bewusst, weshalb ich eine unheilvolle Entscheidung treffen muss.

      G E N E V I È V E

      „Er ist wieder da, der dunkle Schatten. Ich sehe ihn ganz deutlich, im Schein der Sonne“, zische ich Turquoise zu. Die kleine Halbelfe blinzelt gegen das helle Licht, während sie an einem Bund Rosen zupft. „Ich kann nichts sehen, Geneviève.“

      „Dort ist ein Schatten, obwohl nichts Schatten werfen dürfte.“ Ich zeige unauffällig auf den schwarzen Punkt in der Menge.

      „Das ist unheimlich. Hör auf, so zu reden.“

      „Eine Kälte, die mich bis hier hin erreicht ...“

      „Vièvi! Mit deinem düsteren Geschwafel vertreibst du uns die Kundschaft.“ Turquoise ist die erste, die einst den vermeidlichen Verrat der Herzogin vorausgesehen hat. Sie ist halb Mensch, halb Elfe und besitzt die Fähigkeit, die Zukunft voraus zu ahnen. Aus dem Grund wird, beziehungsweise wurde, sie als Orakel bezeichnet. Das, ihr türkisfarbenes Haar und die spitzen Ohren sind der einzige Verweis darauf, dass ihre Mutter eine Elfe ist. Ihr Herz und ihr Mitgefühl jedoch sind rein menschlich, genauso wie ihre Impulsivität und ihre Stimmungsschwankungen.

      Ein Jahr ist es jetzt her, seitdem Will gegangen ist, um der Königin zu dienen. Drei Jahre, in denen der Frieden gewahrt wurde und selbst ich meine Skepsis der ungewöhnlichen Ruhe gegenüber beinahe verloren habe, seitdem Turquoise den Krieg prophezeit hatte. Das ist auch der Grund, weshalb Turquoise an ihren Fähigkeiten zweifelt und sich schon lange nicht mehr auf ihre Magie einlässt. Seitdem versucht sie jeglichem Ungewöhnlichen keine Beachtung mehr zu schenken. „Vielleicht bin ich doch mehr Mensch als Elfe“, seufzt sie oft vor sich hin und der Klang bitterer Enttäuschung schwingt jedes Mal in ihrem Tonfall mit. „Und das ist eher gut als schlecht“, versuche ich sie dann zu ermutigen.

      Jedenfalls bin ich meinen Prinzipien treu geblieben und habe tatsächlich auf den Dienst der Herzogin verzichtet. Auf dem Markt der Hexen verkaufe ich Blumenkränze, Sträuße und manchmal sogar Heilkräuter, zusammen mit Turquoise. Ich bin keine Magierin und nicht in der Lage dazu, die Wirkung der Kräuter zu intensivieren. Trotzdem mache ich akzeptablere Preise als die Hexen und meine Gesellschaft ist auch um einiges angenehmer … Es war nicht einfach, hier verkaufen zu dürfen. Die Hexen sind die älteste aller Gattungen von magischen Wesen auf Mirabili. Sie folgen strengen Traditionen und sind eher dazu gezwungen uns Menschen auf ihrem Planeten zu akzeptieren, als uns wirklich zu tolerieren. Doch die Älteste scheint einen Narren an mir gefressen zu haben, wie Turquoise immer so schön sagt. Einst sah sie, wie ich die Wächter des Baumes ganz ohne Magie zu überlisten weiß, um im Wald jagen gehen zu können. Hexen ist es, genauso wie uns Menschen, nicht mehr erlaubt den Wald zu betreten. Die Herzogin verabschiedete dieses Gesetz aus Angst, wir könnten die Wälder einnehmen und uns so gegen sie auflehnen. Die magischen Wälder waren das ursprüngliche Heim der Hexen, ihre Zufluchtsstätte und gleichzeitig der Ort von stärkster Magie, da sie ihre Macht aus den Bäumen ziehen. Um diese Macht einzuschränken verbot die Herzogin allen Hexen den Zutritt zum Wald. Den Menschen verbietet sie allgemein so gut wie alles, ohne jeglichen Grund. Aber man vermutet, sie traue uns „ungehobelten Bestien“ die Zerstörung des Waldes zu und würde uns deshalb den Zugang verbieten. Angeblich um den Wald zu schützen.

      Jedenfalls stehen die Hexen seither mit der Herzogin auf dem Kriegsfuß und die Älteste war beeindruckt von meinem Mut, den Wald dennoch zu betreten. Ich bringe ihr Kräuter und Wurzeln von dort mit, die nirgendwo anders auf Mirabili zu finden sind und darf im Gegenzug dazu auf ihrem Markt meine Waren verkaufen.

      „Du schwebst wohl in Gedanken an deinen Schatten?“, zieht die Halbelfe mich auf.

      „Und du wünschtest dir wohl, die Kunst des Schwebens zu beherrschen“, kontere ich trocken. „Die blauen kosten Euch etwas mehr Lisbeth“, gehe ich dann auf das alte Mütterchen ein, das schon den ganzen Vormittag versucht, die Gestecke zu einem viel zu niedrigen Preis zu ergattern.

      „Du bist heute wieder ausgesprochen witzig“, zischt Turquoise mir zu, lächelt aber belustigt und verdreht die Augen.

      „Aber Kindchen, es ist der Hochzeitstag meiner Enkelin. Macht mir ein faires Angebot und ich werde Euch beim nächsten Einkauf zwei Hühner dazu schenken.“ Sie sieht mich aus liebevollen Augen an.

      „Das Angebot habe ich schon vor einer Stunde ablehnen müssen“, erwidere ich bedauernd. „Wenn ich könnte, würde ich sie Euch schenken. Aber leider sind die Zeiten schlecht.“

      „Wann waren sie denn jemals gut“, murmelt Turquoise hinter mir. Wo sie recht hat, hat sie recht.

      J A R E D

      Diesmal sehe ich den Mond am Himmel und denke an sie ... Bilder von ihr und saphirblauen Rosen tauchen vor meinem inneren Auge auf. Wie sie lächelt. Wie sie die Augen verdreht, als die dünne Elfe mit dem Namen Turquoise ihr etwas zuflüstert. Doch dazu leider auch Bilder von ihr aus meiner schlimmsten und düstersten Vorstellung, wie ihr lebloser zarter Körper blutverschmiert vor mir liegt … Mein Schwert, das ihr im Rücken steckt. Ich atme zitternd aus und spanne mich an. Nicht daran denken. Nicht daran denken!

      Die Nacht ist schneller eingebrochen, als mir lieb ist, doch ich habe eine Entscheidung gefällt. Eine Entscheidung, die ich längst hätte fällen müssen, beim Namen meiner Herzogin. Mit großen Schritten rausche ich durch das hohe Gras über die Lichtung, auf der ihr kleines Haus steht.

      Langsam pirsche ich mich nun an der südlichen Hauswand entlang, darauf bedacht keine Schatten im Mondlicht zu werfen. Ich strenge meine Sinne an und höre das Mädchen leise und gleichmäßig im inneren des Hauses atmen, sauge ihren Geruch nach Rosenblättern, Lavendel und Sommerregen in meine Lungen und schließe die Augen. Sie schläft offensichtlich. Als ich ausatme und die Augen wieder öffne, bin ich eins mit der Dunkelheit. Durch das Schlafzimmerfenster kann ich sie in ihrem Bett liegen sehen. Ihre Lippen sind leicht geöffnet und ihr blondes Haar ergießt sich über das gesamte Kissen. Ich stelle mir rotes Blut vor, im Dunkeln fast schwarz, wie es ihre weißen Bettlaken tränkt. Schon wieder von einem Zittern erschüttert halte ich mich am Fensterrahmen fest. Wie kann es sein, dass mein Bewusstsein derart abstoßend auf den Gedanken des Tötens reagiert? Das ist es doch, was mich ausmacht! Was mich prägt. Was ich bin. Ich bin ein Mörder. Ich bin ein Krieger. Ich bin ein Mann der Schatten und der Dunkelheit, ich fürchte das Töten nicht. Ich genieße es.

      … Ich tue das Richtige. Es ist meine Pflicht, das ist meine Aufgabe. Mein Leben. Ich muss nicht nur, ich will es. Ich tue alles, was die Herzogin verlangt. Ewige Treue, das habe ich geschworen. Auch wenn meine Aufgabe nicht darin besteht, diesen Menschen zur Strecke zu bringen, bleibt mir dennoch keine andere Wahl. Ich werde meine absurden Gefühle zusammen mit diesem erbärmlichen, kleinen Leben ein für alle Mal auslöschen.

      Mein Puls schwillt an, meine Atmung wird flacher, meine Sicht schärfer und meine Instinkte gleichen nun denen eines Raubtiers. Schnell habe ich die Tür erreicht. Angespannt drücke ich dagegen. Sie ist offen. - Mir wird mulmig. Wie leichtsinnig von ihr! Leise Wut ergreift mich. Sie sollte wirklich besser auf ihre Sicherheit acht geben. - Zum Teufel, nein!, besinne ich mich und ehe ich überhaupt diesen schwächlichen Gedanken zu Ende führen kann, zucke ich durch ein eigens von mir verursachtes Geräusch zusammen. Ein Windspiel, direkt über der Tür. Was ist nur los mit mir? All meine Jagdinstinkte sind mit einem Mal wieder eingestellt. Ich runzele die Stirn, bin verwirrt. Das hat sie geweckt. Oder? Sie hat bestimmt einen leichten Schlaf. Ob das Windspiel als Alarmanlage dient? Es erfüllt in jedem Fall seinen Zweck. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Ich benehme mich wie ein purer Anfänger! Lasse mich von einem Windspiel aus der Bahn bringen und mache Lärm, sodass sie vermutlich aufwacht. Wütend beiße ich die Zähne zusammen. Nun, dann eben der schnelle, laute Angriff. Das wird kein Leichtes. Ich kann mich kaum mehr auf meine