Katharina Burkhardt

In meinem Herzen nur du


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war ganz schön abschüssig und unten machte er eine scharfe Kurve. Wenn man die nicht bewältigte, landete man direkt auf einer Straße. Das war fast noch gefährlicher, als in den See zu fallen.

      Greta war sich nicht sicher, ob sie diese Herausforderung bewältigte.

      »Also, dann mal los.« Finn nickte ihr aufmunternd zu. »Du musst freihändig bis ganz runter fahren, dann nenne ich dich nie wieder Hosenschisser. Versprochen.«

      »Du zuerst.« Greta hoffte, Finn werde kneifen und damit sei die Sache erledigt. Doch da hatte sie ihn unterschätzt.

      »Alles klar«, sagte er lässig.

      Und dann sauste er los, Finn Janssen, der Prolet, in einem halsbrecherischen Tempo – und freihändig, als würde er das jeden Tag machen. Dieser Teufelskerl.

      Bewundernd starrte Greta ihm nach und beobachtete genau, wie er am Fuß des Hügels die Griffe des Lenkers wieder umfasste, scharf bremste und sein Rad nach links riss. Triumphierend winkte er zu ihr herauf.

      Eigentlich hatte das doch nicht schwer ausgesehen. Sie würde das genauso hinbekommen, ganz sicher.

      Rasch, bevor der Mut sie erneut verließ, setzte Greta sich auf ihr Fahrrad und fuhr los. Vorsichtig löste sie die Hände vom Lenker, lehnte sich zurück und balancierte das Gleichgewicht aus. Diesem dämlichen Finn würde sie es zeigen, darauf konnte er Gift nehmen!

      Sie wurde rasch schneller und einen Augenblick lang genoss sie den Fahrtwind und das Gefühl von Freiheit, während sie mit fliegenden Zöpfen den Hang hinuntersauste. Doch dann fuhr sie über eine kleine Unebenheit und hatte Mühe, die Spur zu halten. Ein, zwei Meter ging noch alles gut, dann geriet das Vorderrad gefährlich ins Schlingern und hastig griff sie nach dem Lenker. Sie bremste zu stark und da rutschte das Hinterrad weg.

      Greta landete samt Rad in einem Graben, der neben der Schonung entlangführte. Ihre Beine schmerzten und etwas Scharfes riss an ihrer Wange.

      Zitternd versuchte sie, sich zu befreien, aber sie steckte so blöd unter ihrem Fahrrad fest, dass sie es nicht alleine schaffte.

      Verzweifelt schrie sie nach Finn, der auch sofort den Hang heraufrannte.

      »He, was ist los?« Atemlos und im Gesicht rot vor Anstrengung beugte er sich über sie. »Oh, Scheiße, du blutest ja total.«

      Greta fasste sich an die Wange und erschrak, als sie all das Blut an ihren Fingern sah. Nun konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Ihr ganzer Körper schmerzte und der Schreck tat sein Übriges.

      »Wir schaffen das schon«, sagte Finn. Er hob Gretas Fahrrad mit übertriebenem Gestöhne an und so schaffte sie es, ihr Bein darunter hervorzuziehen. Dann reichte er ihr die Hand und zog sie aus dem Graben. Als sie wieder auf beiden Füßen stand, wies er sie fachmännisch an, zu überprüfen, ob sie Arme und Beine bewegen konnte und alle Gelenke ordentlich funktionierten. Ihre Hose war fleckig und ihre Schienbeine waren aufgeschürft. Aber das schlimmste Problem schien tatsächlich die Wunde in ihrem Gesicht zu sein, die offenbar vom Stacheldraht des Zauns herrührte.

      Finn führte sie zu einem Baumstumpf, auf den sie sich setzte, und zog ein zerknautschtes Taschentuch aus seiner Hosentasche. Vorsichtig tupfte er mit dem letzten sauberen Zipfel das Blut von ihrer Wange. Greta schniefte und schluchzte immer noch.

      »Du warst echt mutig«, sagte Finn und er klang auf einmal voller Bewunderung. »Ich habe Monate gebraucht, bis ich mich endlich getraut habe, den Hang von ganz oben freihändig runterzufahren.«

      Greta blinzelte die Tränen fort. »Das heißt, du hast das vorher ewig geübt?«

      Finn grinste frech, wobei eine Zahnlücke in seinem Mund sichtbar wurde.

      »Du Blödmann, das ist ja wohl voll gemein.«

      »Ich weiß.«

      Finn hob den Blick und sah Greta unverwandt an. »Tut mir leid.«

      Mit einem Finger strich er die Tränen unter ihrem Auge weg. »Aber du bist echt das mutigste Mädchen, das ich kenne.«

      Und dann beugte Finn Janssen, der Prolet, sich vor und küsste zart Gretas Wange.

      »Ich glaube, das muss genäht werden.« Gretas Mutter begutachtete die Wunde im Gesicht ihrer Tochter. »Du kannst von Glück reden, dass deinem Auge nichts passiert ist.« Verärgert schüttelte sie den Kopf. »Ich verstehe immer noch nicht, wieso du mit diesem Finn Janssen unterwegs warst. Der Junge hat nur Flausen im Kopf.«

      »Hat Finn das mit Absicht gemacht?« Gretas fünfjährige Schwester Julia starrte mit großen Augen auf das viele Blut.

      »Nein.« Greta wimmerte vor Schmerz. »Ich hab das Gleichgewicht verloren, als wir auf dem Buckelweg hinter der Kirschbaumwiese nebeneinander gefahren sind. Finn hat damit nichts zu tun.«

      Ihr wäre es lieber gewesen, wenn niemand von ihrem Abenteuer mit Finn erfahren hätte. Aber dummerweise waren sie auf dem Heimweg ihrer Nachbarin Frau Behnke begegnet. Gretas Vorderrad hatte eine Acht, darum mussten sie die Fahrräder schieben, was ziemlich lange dauerte. Sicher machte ihre Mutter sich schon Sorgen, weil Greta nicht heimkam. Und dann stoppte Frau Behnke mit ihrem Auto, sah ihr blutverschmiertes Gesicht und brachte sie umgehend nach Hause.

      Ihr Vater sprühte Desinfektionsmittel auf die offene Wunde, was schrecklich brannte. »Finn Janssen ist kein Umgang für dich. Du siehst doch, was dabei herauskommt.«

      Greta biss die Zähne zusammen und verkniff sich die Tränen.

      Ihr Vater öffnete einen Karton mit Gazetupfern. »Wir fahren zu Dr. Springer. Ich glaube auch, dass das genäht werden muss.«

      Es wurden drei Stiche entlang des Jochbeins. Greta ertrug die Betäubungsspritze und das Nähen tapfer und war anschließend direkt ein bisschen stolz auf ihren Verband. Das sah so verwegen aus.

      Zu Hause nahm ihr Vater sie erneut ins Gebet. »Noch mal in aller Deutlichkeit: Ich möchte, dass du dich von Finn Janssen fernhältst. Sein Vater ist ein gewalttätiger Trinker und der Junge schlägt ganz nach dem Alten. Das ist kein Umgang für dich. Wer weiß, was da noch passieren könnte.«

      »Aber Finn geht in meine Klasse. Ich kann ihm gar nicht aus dem Weg gehen.« Greta zog die Nase kraus. Ihr Vater hatte manchmal richtig dämliche Ansichten.

      »Du wirst dich von ihm fernhalten.«

      »Das ist echt eine schwachsinnige Idee.«

      »Achte auf deine Ausdrucksweise!«, ermahnte ihre Mutter sie. Das machte Greta noch wütender. Sie stapfte aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.

      Sie wusste nicht, was mehr schmerzte – ihre Verletzung oder das Verbot ihres Vaters. Sie hatte sich nie etwas aus Finn gemacht, ihn immer doof gefunden. Doch nun musste sie auf einmal ständig daran denken, wie er sie geküsst hatte. Das hatte sich schön angefühlt, so weich und warm.

      Einem Rabauken wie Finn Janssen traute man so was gar nicht zu. Und er hatte sie mutig genannt. Auch das hatte sie nicht erwartet. Ausgerechnet Finn Janssen fand bewundernde Worte für Greta Bubendey. Was für wundersame Dinge doch auf dieser Welt geschahen.

      Sie erzählte Mareike davon, als sie an ihrem Lieblingsplatz saßen, versteckt hinter den Johannisbeerbüschen im Garten von Mareikes Eltern.

      »Hui«, sagte ihre beste Freundin und tauchte mit einem Finger in ihr Tütchen mit Brausepulver ein. »Bist du verliebt in Finn?«

      Greta steckte ebenfalls einen Finger in Brausepulver, Waldmeister, ihre Lieblingssorte. Es prickelte herrlich auf ihrer Zunge und schien in ihrem Magen wild zu schäumen.

      »Nein, bin ich nicht«, wehrte sie hastig ab.

      Ein breites Grinsen erhellte Mareikes sommersprossiges Gesicht, das von dicken, geflochtenen Zöpfen umrahmt wurde. »Ich glaube, du bist doch in ihn verliebt. Und ich dachte immer, du fändest ihn blöd. Oh Greta, das ist so aufregend!«

      »Du darfst das niemandem erzählen«, sagte