Detlef Wolf

Salto Fanale


Скачать книгу

nicht so hübsch wie Linda, natürlich, das wohl nicht. Aber Bellinda war ja auch eine richtige Frau und Tabea noch ein Mädchen. Also, fast noch ein Mädchen. Ihr Spaghettiträgertop war jedenfalls schon ganz gut gefüllt, erinnerte er sich. Trotzdem, mit Linda konnte man das nicht vergleichen. Und sowieso, nicht nur wegen der Oberweite, auch sonst. Schon deshalb nicht, weil er Tabea ja auch kaum kannte. Eigentlich überhaupt nicht, obwohl sie doch ein ganzes Jahr lang mit ihm in eine Klasse gegangen war. Und Linda kannte er nun schon sein ganzes Leben lang. Und zwar so gut, wie man überhaupt nur jemanden kennen kann. In jeder Beziehung.

      Er mußte grinsen bei dem Gedanken daran, was er und Bellinda schon alles miteinander getrieben hatten. Mit Tabea konnte er sich das kaum vorstellen. Die würde sowas bestimmt nicht machen. Wahrscheinlich würde die gar nicht wissen, was man alles machen konnte. Garantiert hatte die überhaupt noch nie jemanden in ihrem Bett gehabt. Jedenfalls hatte er sie noch nie mit einem Jungen zusammen gesehen. Und wenn sie einen Freund hätte, würde er das wahrscheinlich wissen. Denn das wäre ja wohl auch einer von ihrer Schule. Aber da war keiner.

      Und jetzt hatte sie ihn auf einmal getroffen. Ziemlich unerwartet. Und er mußte zugeben, die Begegnung mit ihr hatte ihm gefallen, irgendwie. Wer weiß, wenn Bellinda nicht wäre, vielleicht hätte er sich sogar in Tabea verknallen können. Wenn sie nicht weggezogen wäre, natürlich. Was das für ein Gerede gegeben hätte, in der Klasse. Nicht, daß es ihm was ausgemacht hätte. Es machte ihm ja nie was aus, was die anderen über ihn dachten und redeten. Aber lustig wär’s bestimmt gewesen.

      Er stellte sich vor, wie es gewesen wäre, wenn er und Tabea eines Morgens händchenhaltend auf den Schulhof gekommen wären und mußte lachen bei dem Gedanken daran. Obwohl, so komisch war die Vorstellung vielleicht gar nicht. Sie war intelligent, das wußte er aus der Schule, und sie war amüsant, das hatte er an diesem Morgen festgestellt, genauso wie, daß sie hübsch war.

      Er malte sich aus, wie sie wohl ohne ihr Top aussehen würde. Und ohne die engen Jeans, die sie angehabt hatte. Das Bild einer nackten Tabea gefiel ihm. Und es verdrängte das von Bellinda. Einen Moment lang jedenfalls.

      Aber dann schlug er sich diesen Gedanken aus dem Kopf. Selbst wenn es sich so ergeben hätte, aus ihm und Tabea hätte ja nie was werden können. Sein Vater hätte ihm den Schädel eingeschlagen, wenn er mit so jemandem wie Tabea nach Hause gekommen wäre, da war er mal sicher. Von Adrian Graf von Molzberg wurde erwartet, daß er sich seine Begleitung in Kreisen suchte, die standesgemäß waren. Und dazu gehörte Tabea Lennard auf keinen Fall. Daß sein Vater sich einst über diese Konvention ebenfalls hinweggesetzt hatte, würde als Argument nicht gelten. Allerdings immerhin hatte sein Vater sich damals durchgesetzt, so wie er sich ja immer durchsetzte. Ob das dem Sohn auch gelingen würde, dessen war sich Adrian keineswegs sicher. Wahrscheinlich nicht. Also würde er es auf eine solche Auseinandersetzung gar nicht erst ankommen lassen.

      Seufzend ging er ins Badezimmer hinüber, um sich für den Abend fertigzumachen. Sein Vater war zu Hause, also war das volle Programm angesagt. Er zog sich aus und duschte, und während er danach in frische Wäsche stieg, ging ihm der Vorfall am Morgen im Café wieder durch den Kopf. Hatte er es da noch ziemlich peinlich gefunden, so kam es ihm jetzt ganz amüsant vor.

      Es war abstrus, aber noch einmal ertappte er sich bei dem Gedanken daran, was Tabea wohl drunter tragen würde? Von Linda wußte er das ganz genau. Natürlich wußte er das, schließlich hatte er sie ja oft genug so gesehen. Bei Tabea wäre das wahrscheinlich ganz anders. Sie würde wahrscheinlich längst nicht so elegant aussehen wie Linda. Wahrscheinlich kaufte sie sich ihre Sachen aber auch nicht in einer schicken Wäscheboutique, sondern ganz normal im Kaufhaus. So wie alle anderen Mädchen auch. Jedenfalls konnte er sich das vorstellen.

      Na ja, wie auch immer.

      Energisch vertrieb er den Gedanken an Tabea und beeilte sich, fertig zu werden. Höchste Zeit zum Abendessen zu gehen und sich die Ermahnungen, Belehrungen, Vorwürfe und Tiraden seines Vaters anzuhören. Er verzog angewidert das Gesicht. Wie er sich darauf schon freute!

      ***

      Lukas Lennard nahm die U-Bahn, um nach Hause zu kommen, nachdem er sich von seinen Eltern und seiner Schwester verabschiedet hatte. Keinem von ihnen war es leicht gefallen, und Tabea hatte sogar ein paar Tränchen zerdrückt. Er hatte sie in den Arm genommen und versucht, sie zu trösten.

      „Es ist ja nicht für lange, und Ihr seid ja nicht aus der Welt“, hatte er gesagt und versucht, fröhlicher zu sein, als er es eigentlich war.

      Jetzt, wo sie weg waren und er in dem ratternden Zug durch den Tunnel fuhr, gab er sich seiner trüben Stimmung ungeniert hin. Er kam sich irgendwie verlassen vor. Klar, von jetzt an würde er tun und lassen können, was er wollte, jedenfalls fast, und niemand würde ihm Vorhaltungen machen oder Ermahnungen geben oder Einwände erheben, aber auch daran würde er sich erst gewöhnen müssen, daß er jetzt für alles was er tat oder nicht tat, die alleinige Verantwortung haben würde. Keiner, der ihm mehr den Rücken freihielt und ihm half, wenn er in der Klemme saß.

      Oft genug hatte er gestöhnt, wenn seine Eltern Bedenken vorgetragen hatten, wenn er etwas vorhatte, was ihnen nicht behagte. Und oft genug hatte er sich auch darüber hinweggesetzt, aber immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, daß sie ihn schon raushauen würden, wenn er es verbockte. Das war jetzt vorbei. Wenn etwas schief ging, würde er es selbst ausbaden müssen.

      Auch daß er Tabea endlich los war, fand er gar nicht so übel. Sie konnte einem ganz schön auf die Nerven gehen. Meistens war sie ja ganz nett, und er liebte sie ja auch, irgendwie, aber manchmal, wenn sie sich an ihn hängte wie eine Klette oder sich neugierig dazwischendrängte, wenn er mit seinen Freunden etwas vorhatte, war sie einfach ätzend gewesen. Aber das war wohl so bei kleinen Schwestern.

      Andererseits konnte ihre Anhänglichkeit auch ganz schön sein. Neulich, bei ihrem letzten Besuch im Schwimmbad zum Beispiel, da war sie so lieb gewesen, da hätte er sie fressen können. Und wenn sie zu ihm kam und einen Rat von ihm haben wollte oder sich einfach ausheulen wollte, dann machte ihn das sogar richtig ein wenig stolz. Er, der große Bruder, der sich um seine kleine Schwester kümmerte und sie, die kleine Schwester, die ein bißchen zu ihrem großen Bruder aufblickte. Das war ein gutes Gefühl, das mußte er zugeben.

      „Nächster Halt – Eppendorfer Baum“, tönte es aus den Lautsprechern.

      Hier mußte er aussteigen.

      Gedankenverloren schlenderte er über den Bahnsteig, auf dem sich kaum Menschen aufhielten, obwohl es noch nicht besonders spät am Abend war. Die drei jungen Männer, die auf ihn zukamen, bemerkte er erst, als sie unmittelbar vor ihm standen.

      „Hey, Alter, haste ma ‘ne Fluppe?“ sprach ihn einer der drei an, vermutlich etwas jünger als er, ungepflegt, in zerlumpter Kleidung, aber mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck.

      Lukas wußte gleich, daß das keine Bitte war, nicht einmal eine Aufforderung, sondern daß es sich ganz eindeutig um den Beginn einer Auseinandersetzung handeln würde. Mit Herumschubsen würde es anfangen und enden damit, daß einer verletzt und ohnmächtig am Boden lag. Und dieser eine würde mit Sicherheit er sein. Denn seine Chancen gegen die drei Schlägertypen waren gleich Null.

      Blitzschnell sah er sich auf dem Bahnsteig um. Hilfe war keine zu erwarten, dazu waren zu wenige Menschen unterwegs, und von denen würde sich kaum einer um eine Schlägerei unter Jugendlichen kümmern. Höchstens, daß jemand die Polizei alarmieren würde, aber bis die da wäre, würde er längst blutend am Boden liegen.

      Aus den Augenwinkeln sah er einen einfahrenden Zug in die Gegenrichtung.

      Entschlossen stieß er einen der Drei, der ihm den Weg versperrte, zur Seite und sprintete zu der haltenden Bahn. Er schaffte es gerade so, hineinzuspringen. Die Angreifer schafften es nicht mehr.

      Gerettet! – Wenn auch nur für dieses Mal.

      Er fuhr zurück bis zur U-Bahn Station ,Hallerstraße‘. Dort stieg er aus, unbehelligt diesmal und machte sich zu Fuß auf den Heimweg. Er rannte, denn das Adrenalin kreiste noch immer in seinen Adern und machte es ihm unmöglich, langsam zu gehen. Er beruhigte sich erst wieder, als er die Haustür hinter sich ins