Detlef Wolf

Salto Fanale


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klar. Schließlich sollen sie ja ordentlich sitzen.“

      Etwas von der gewohnten Arroganz kam wieder durch.

      „Und das da, was ist das? Das hast Du aber wohl einfach so gekauft?“

      „Ach, das sind nur Kleinigkeiten“, winkte Adrian ab. „Krawatten und so.“

      „Echt? Zeig doch mal“, sagte Tabea, neugierig geworden.

      Es ging ihr ähnlich wie den meisten Frauen. Beim Kleiderkaufen kannten sie keine Zurückhaltung. Blitzschnell hatte sie daher nach einer der Tüten gegriffen und hineingesehen. Allerdings handelte es sich beim Inhalt nicht um Krawatten, sondern um etwas, das Adrian mit ‚und so‘ beschrieben hatte, eine Reihe von kleinen Päckchen, von denen Tabea eines herausnahm und den Deckel abnahm, ohne auf das Bild darauf geachtet zu haben. Der Inhalt war in Seidenpapier eingeschlagen.

      Als sie das Seidenpapier auseinanderfaltete, hörte die Welt für einen Moment auf, sich zu drehen. Zum Vorschein kam eine Männerunterhose aus feinstem Material. Erschrocken starrte Tabea das Kleidungsstück an, das sie da in der Hand hielt, dann Adrian, dann wieder den Slip.

      Ganz so schnell wie das Auspacken gelang ihr das Einpacken zwar nicht, aber sie bemühte sich. Als die Tüte samt Inhalt wieder neben ihr auf dem Stuhl stand, fuhr die Welt fort, sich weiterzudrehen. Stumm und mit vor Verlegenheit roten Gesichtern saßen sie sich gegenüber. Tabea war die Erste, die ihre Sprache wiederfand.

      „Es tut mir so leid, Adrian, aber das wollte ich nicht“, sagte sie leise und mit belegter Stimme.

      Adrian brauchte noch einen Moment, um sich zu sammeln, aber dann grinste er. „Wenigstens weißt Du jetzt, was ich drunter trage“, meinte er. „Ich hoffe, es hat Dir gefallen.“

      „Keine Ahnung, so richtig hab ich’s ja gar nicht gesehen“, antwortete Tabea.

      Dann mußten sie beide lachen.

      „Wenn Du mich nicht verrätst, kannst Du das ja noch nachholen“, schlug er vor.

      „Wie soll ich Dich denn verraten?“ fragte sie zurück. „Ich seh doch keinen von denen mehr, die wir kennen.“

      „Na, dann bitte“, forderte er sie auf und deutete mit der Hand auf die Einkaufstüte.

      Tabea winkte ab. „Nee, laß mal. So sehr interessieren mich Deine Unterhosen jetzt auch nicht.“

      Der Eiskaffee wurde serviert und irgendwie war der peinliche Vorfall dazu angetan gewesen, ihre Zungen zu lockern. Jedenfalls entspann sich zwischen ihnen eine richtige Unterhaltung, von der keiner von beiden je gedacht hätte, daß sie möglich gewesen wäre.

      Als sie sich schließlich einen weiteren Eiskaffee später voneinander verabschiedeten, fand Tabea den von ihr so genannten ‚Arschloch Grafen‘ keineswegs mehr so furchtbar arrogant und eingebildet, und Adrian sah Tabea auch nicht mehr nur als ‚Eine von denen, die in meine Klasse gehen‘. Das gab ihnen beiden ein ganz angenehmes Gefühl. Wenn auch ein einmaliges, denn wiedersehen würden sie sich wohl nicht.

      ***

      Natürlich kam Lukas vorbei, bevor sie abfuhren.

      Die Wohnung war leer, die Umzugsleute hatten sich schon auf den Weg gemacht. All die Sachen, die sie selbst mitnehmen wollten, hatten sie bereits im Auto verstaut.

      Ready for Take-off.

      Abschiedsstimmung machte sich breit, und wie immer das so war in solchen Situationen, wurde nur über Belanglosigkeiten geredet. Einzig, daß Lukas noch erzählte, wie es ihm in seiner neuen WG erging und gefiel. Das interessierte sie dann doch, und sie sprachen eine ganze Weile darüber.

      „Wollen wir nicht noch irgendwo ‘ne Pizza essen geh’n, bevor Ihr losfahrt?“ schlug er vor.

      Man merkte, daß es ihm doch schwerfiel, seine Familie zu verabschieden. Die zog zwar nicht allzuweit weg, aber er würde doch, von jetzt an, auf sich alleine gestellt sein.

      Seine Mutter merkte wohl, wie er sich fühlte. Und sie nickte. Und auch seinem Vater war das nicht entgangen. Deshalb schlug er ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Wenn Du den Laden aussuchst.“

      Natürlich war da nicht lange was auszusuchen. Sie gingen in das kleine, italienische Restaurant an der Ecke, in das sie immer gingen, wenn sie Lust auf eine Pizza hatten, oder die unvergleichlichen Spaghetti carbonara, die der Koch zubereitete. Der im übrigen gar kein Italiener war, sondern ein Türke. Aber das war seinen Gästen egal. Hauptsache seine Spaghetti waren okay. Und das waren sie.

      Also fanden sie sich keine zehn Minuten an dem Tisch in der hinteren Ecke wieder, an dem sie immer saßen, wenn sie hierher kamen. Es war ein bißchen eng in dieser winzigen Nische, aber das machte ihnen nichts aus. Hatte ihnen noch nie etwas ausgemacht, und schon gar nicht an diesem Abend, an dem Tabea und ihre Eltern Abschied von Hamburg nahmen und Lukas Abschied von seiner Familie.

      Aber sie ließen sich nichts anmerken. Alle vier nicht. Es fiel ihnen ein wenig schwer, aber sie schafften es. Und Tabea gelang es sogar, mit ihrem Bruder eine Unterhaltung anzufangen.

      „Du ahnst ja nicht, wen ich heute Morgen in der Stadt getroffen und sogar einen Kaffee getrunken habe“, sagte sie.

      „Nee, woher soll ich das wissen“, antwortete Lukas. „Also sag schon: Den Regierenden Bürgermeister etwa?“

      Sie boxte ihn auf den Oberarm. „Sei nicht albern, Lukas. Nee, zufälligerweise bin ich ‚Graf Arschloch‘ über den Weg gelaufen, und er hat mich sogar in ein Café abgeschleppt. Stell Dir mal vor.“

      „Das gibt’s ja gar nicht!“ rief ihr Bruder. „Mit dem Typ warst Du Kaffee trinken?“

      Tabea nickte eifrig. „War ich. Und es war gar nicht mal so übel. Anscheinend kann der auch anders, wenn er will. Wir haben uns jedenfalls ‘ne ganze Weile ganz gut unterhalten.“

      Dann erzählte sie ihm den Vorfall mit der Einkaufstüte.

      Lukas lachte schallend. „Das ist ja’n Ding. Dann weißt Du also jetzt, was der ‚Arschloch-Graf‘ so drunter anhat. Alle Achtung. Das weißt Du ja nicht mal von mir.“

      „Weiß ich wohl. Schließlich rennst Du ja oft genug so über’n Flur, wenn Du morgens aus’m Bad kommst.“

      „Na gut, dann weißt Du’s eben. Aber trotzdem …“

      „Was ist denn das eigentlich für einer, Dein ‚Arschloch-Graf‘?“ machte Tabeas Vater der Debatte ein Ende. „Kenn ich den?“

      Tabea zuckte die Achseln. „Vielleicht. ‚Adrian von Molzberg‘ heißt der.

      „Etwa der Sohn vom ‚Bankhaus Molzberg & Co‘?“

      Tabea nickte. „Jener.“

      Der Vater zog die Augenbrauen zusammen. „Also von dem hältst Du Dich mal besser fern. Jedenfalls wenn der Junge genauso ist wie der Alte. Das ist ein ganz übler Vertreter. Skrupellos ist der, der geht über Leichen. Mit dem muß man ganz vorsichtig sein.“

      Tabea winkte ab. „Mach Dir keine Sorgen. Ich seh ihn ja nicht mehr. Ab morgen sind wir in Bochum, und er ist hier. Da wird er wohl keine Gelegenheit mehr haben, mir was Böses zu tun.“

      Damit war die Sache erledigt, und sie wandten sich anderen Themen zu. Allerdings nicht für lange, schließlich hatten Tabea und ihre Eltern noch eine lange Fahrt vor sich. Doch die klappte besser als gedacht. Schon kurz nach Mitternacht erreichten sie das Hotel, in dem sie ihre erste Nacht in Bochum verbringen würden.

      ***

      Adrian war den Rest des Tages über zu Hause geblieben. Nachdem seine Freundin Bellinda sich bereits nach Südfrankreich abgesetzt hatte, gab es niemanden mehr, mit dem er sich treffen konnte. Er hatte in seinem großzügigen Appartment gesessen und Trübsal geblasen.

      Immer wieder ertappte er sich dabei, daß er über die Begegnung mit seiner Klassenkameradin – seiner ehemaligen Klassenkameradin – am Vormittag