Detlef Wolf

Salto Fanale


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Rucksack durch die Gegend, kriecht durch die Urwälder über Stock und Stein, läuft tagelang ungewaschen und unrasiert in denselben Klamotten rum und geht zum Kacken ins Gebüsch. Das möchte ich ja zu gern mal sehen!“

      „Was? Daß ich ins Gebüsch kacke?“ fragte er pikiert.

      „Das auch. Aber auch all das andere. Die Idee ist ja vielleicht sowas von abartig.“

      „Wieso denn?“ verteidigte er sich. „Meinst Du etwa, sowas könnte ich nicht? Hältst Du mich für so’n Weichei?“

      „Ach was, mit Weichei hat das doch nichts zu tun. Du weißt doch selber ganz genau, daß Du gar nicht der Typ für sowas bist. Oder könntest Du Dir vielleicht vorstellen, daß Du in einer Gruppe funktionierst, in der jemand sagt, was alle zu tun oder zu lassen haben? Und derjenige würdest dann nicht Du sein. Das funktioniert doch im Leben nicht. Oder wann hast Du Dir zum letzten Mal von irgendjemandem außer Deinem Vater was vorschreiben lassen? Kannst Du mir das mal sagen?“

      Adrian gab ihr keine Antwort. Also fuhr sie fort:

      „Na siehste. Also, das vergiß mal ganz schnell wieder. Wenn überhaupt, dann such Dir irgendeinen Luxusschuppen mit allem Komfort, wo sie Dir von früh bis abends den Allerwertesten hinterhertragen. Was anderes kommt doch für Dich gar nicht in Frage. Südfrankreich vielleicht. Warum fahren wir nicht einfach zusammen hin?“

      Adrian drehte sich wieder auf den Bauch und schloß die Augen.

      „Ich werd’s mir überlegen“, antwortete er.

      Er war angefressen. Bellindas Reaktion auf seine Idee hatte ihn getroffen. Aber sie hatte ja Recht. Der Kerl für eine Trakkingtour oder irgendetwas in der Art war er wirklich nicht. Das wußte er auch. Er war das verwöhnte und verweichlichte Bankierssöhnchen, das sich nirgendwo ein- und unterordnen konnte und das es gewohnt war, ständig irgendwelche Bedienstete um sich zu haben, die sich um die niederen Belange des täglichen Lebens kümmerten. Eben doch ein Weichei.

      ***

      Es war sicher nicht das nächste, aber es war ihrer Meinung nach das schönste Freibad in Hamburg. Tabea und Lukas fuhren mit der U-Bahn bis zum Borgweg und gingen den Rest zu Fuß bis zum ‚Freibad Stadtparksee‘. Nachdem sie sich umgezogen hatten, suchten sie sich ein freies Plätzchen und breiteten ihre Decke aus. Bevor sie sich allerdings zum Sonnen darauf ausstreckten, liefen sie ins Wasser und tobten eine Weile in dem angenehm kühlen See herum.

      Lukas ersparte sich das Abtrocknen. Die Sonne würde das schon übernehmen. Stattdessen sah er seiner Schwester dabei zu. Überrascht stellte er fest, was für ein hübsches Mädchen sie doch war. Das war ihm bis jetzt gar nicht so richtig0 bewußt gewesen. Kein Wunder, er hatte ja auch sonst keine Gelegenheit, sie so leicht bekleidet zu sehen wie jetzt, im Schwimmbad. Zu Hause achtete Tabea nämlich sorgfältig darauf, immer angemessen bekleidet zu sein, wenn die Möglichkeit bestand, daß ihr jemand auf dem Flur begegnete. Daß sie im Nachthemd ins Badezimmer lief, war schon das Äußerste an Freizügigkeit, das sie sich gestattete. Und jetzt trug sie einen Bikini, der so knapp geschnitten war, daß er gerade mal das Allernötigste bedeckte. Er fragte sich, was sie wohl geritten hatte, daß sie solch ein gewagtes Teil überhaupt gekauft hatte, in dem sie so viel von sich zeigte.

      Sie war so wohlproportioniert, wie man das von einer Sechzehnjährigen erwarten konnte. Groß, schlanker Körper, lange Beine, flacher Bauch, nicht zu große Brüste, freundliches Gesicht mit schön geschwungenen Lippen, einer niedlichen Stupsnase und großen, braunen, fast schwarzen Rehaugen. Dazu passend, lange, schwarze Haare, die ihr bis auf den Rücken fielen, wenn sie sie offen trug, so wie jetzt. Manchmal flocht sie sie aber auch zu Zöpfen, was sie aussehen ließ wie ein kleines Mädchen, und was er ganz besonders an ihr mochte oder sie band sie zu einem Pferdeschawanz, was ihm nicht so sehr an ihr gefiel. Aber das sagte er ihr nicht. Erstens ging es ihn nichts an, und zweitens wollte er sie mit solch einer Bemerkung nicht kränken.

      Tabea bemerkte seinen Blick. „Was guckst Du mich so an?“ fragte sie lachend. „Hab ich Pickel, oder was?“

      „Nee, ganz bestimmt nicht“, lachte er zurück. „Ich frag mich nur, wieso ein Mädchen, das so hübsch ist wie Du, noch immer keinen Freund hat.“

      „Falsche Frage“, gab sie zurück. „Frag Dich lieber mal, wieso ‘n Kerl wie Du, der sich ja auch nicht gerade verstecken muß, noch immer keine Freundin hat.“

      „Tja“, machte er, „sieht wohl so aus, als müßten wir uns beide mit derselben Frage beschäftigen.“

      Sie faltete das Badetuch zusammen, legte es als Kopfkissen auf die Decke und streckte sich dann neben ihrem Bruder aus.

      „Was heißt müssen?“ sagte sie dann „Treibt Dich die Frage so sehr um, daß Du Dich unbedingt damit beschäftigen mußt? Also, mich nicht. Im Moment jedenfalls nicht. Im Moment hab ich keinen, und ich seh auch nirgendwo einen, der’s vielleicht sein könnte.“

      „Und was ist mit diesem Adrian? Ich mein, ich weiß ja nicht, wie der aussieht und so, aber wenn er Dich schon nach Hause chauffieren läßt.“

      Tabea stöhnte. „Fängst Du schon wieder mit dem an? Ich hab Dir doch schonmal gesagt, das heut Mittag war ein reiner Zufall, nicht beabsichtigt und hat überhaupt nichts zu bedeuten. Zugegeben, er sieht echt aus wie der Traum von einem Jungen, aber er ist eben ein Arsch. Und von so einem hält man sich besser fern. Außerdem hat er schon ‘ne Freundin. Auch so ‘ne Luxustusse aus Harvestehude. Ist um einiges älter als er, aber fährt mit ‘nem weißen Porsche-Cabrio durch die Gegend. Und ein paar Dinger hat die, da kann ich mit meinen Mickermöpsen nicht mithalten. Also, selbst wenn ich mich für den interessieren würde, dann der sich bestimmt nicht für mich.“

      Sie drehte sich um und klopfte ihrem Bruder auf den Arm. „Aber trotzdem danke, daß Du gesagt hast, ich wär hübsch. Das stimmt zwar nicht, aber man hört’s trotzdem gern.“

      „Es stimmt wohl“, widersprach er. „Ich sag Dir das, und ich bin Dein Bruder. Vergiß das nicht. Ich brauch Dir keine Komplimente zu machen.“

      „Na gut“, lenkte sie ein. „Aber jetzt mal zu Dir. Warum hast Du eigentlich keine Freundin? Will Dich keine, oder bist Du etwa schwul?“

      Er lachte. „Nee, schwul bin ich nicht, und ob mich keine will, hab ich auch noch nicht rausgekriegt. Bis jetzt ist mir einfach noch keine über den Weg gelaufen, die mich ernsthaft interessiert hätte.“

      „Wohl etwas wählerisch, der Herr?“ fragte sie spitz. „Wie müßte sie denn ausseh’n, Deine Traumfrau?“

      „So wie Du“, entfuhr es ihm spontan und ehe er es verhindern konnte. Als er merkte, was er da gesagt hatte, schlug er verlegen die Hand vor den Mund.

      Tabea lachte laut. „Na, wenn das kein Kompliment ist“, sagte sie. „Vor einer Minute hast Du noch behauptet, Du bräuchtest mir keine Komplimente zu machen, und jetzt sagst Du sowas.“

      „Brauch ich ja auch nicht. Das ist mir jetzt nur so rausgerutscht.“

      Sie griff nach seiner Hand. „Macht ja nix. Mir hat’s jedenfalls gefallen. Selbst wenn’s nicht stimmt.“

      Er drehte den Kopf zur Seite und sah sie an. „Es stimmt aber.“

      Sie rückte näher an ihn heran, bis ihre Arme sich berührten. „Manchmal kannst Du richtig lieb sein, Lukas. Weißt Du das?"

      ***

      Während Tabea und ihr Bruder Lukas so vertraut nebeneinander auf der Liegewiese des Stadtparksees lagen, kam es zwischen Adrian und seiner Freundin Bellinda zu keinen weiteren, intensiven Körperkontakten. Abgesehen von den nahezu unvermeidlichen bei dem gemeinsamen Herumtollen im Wasser oder beim gegenseitigen Einreiben mit der Sonnenschutzcreme. Als der Nachmittag zu Ende ging, packten sie ihre Sachen, zogen sich um und fuhren nach Hause, damit Adrian rechtzeitig zum Abendessen zur Stelle war.

      Tatsächlich war sein Vater bereits eingetroffen, als er heimkam.

      „Beeil Dich mit dem Umziehen, Adrian“, sagte seine Mutter. „Dein Vater