Detlef Wolf

Salto Fanale


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      „Na, ein Arschloch eben.“

      „Tja, die Welt ist voller Mysterien“, meinte Lukas philosophisch. „Das nächste Mysterium ist: Was gibt’s zum Mittagessen?“

      „Was fragst Du mich? Du solltest das doch wissen, schließlich warst Du den ganzen Morgen zu Hause. Ich war ja in der Schule.“

      „Ich hab keine Ahnung“, gab er zu und warf die Hände nach oben.

      „Na, dann laß uns mal nachseh’n. Vielleicht finden wir ja was.“

      Tabea ließ ihre Schultasche auf den Boden fallen und ging in die Küche. Nach einem kurzen Blick in den Kühlschrank nahm sie eine große Tupperdose heraus.

      „Hier ist noch Gulasch. Wir könnten uns Nudeln dazu kochen.“

      „Na, denn mach mal, Schwesterchen“, grinste er. „Du weißt ja, wenn ich Nudeln koche, wird’s immer eine einzige Pampe.“

      „Ja, ja, stell Du Dich nur schön dumm an. Dann machen wenigstens die ander’n die Arbeit, wie?“

      „Tja“, machte er achselzuckend, drehte sich um und ging hinaus.

      ***

      Gulasch mit Nudeln war nicht exakt das, was an diesem Mittag im Haus des Grafen von Molzberg auf dem Speiseplan stand. Vielmehr servierte das Dienstmädchen der Gräfin und dem jungen Grafen ein Tartar von der Lachsforelle and frischen Salaten zur Vorspeise, gefolgt von einem Züricher Kalbsgeschnetzelten als Hauptgericht und einer Vanillemousse mit roter Grütze zum Nachtisch.

      Adrian und seine Mutter saßen sich an dem großen Tisch im Eßzimmer gegenüber und nahmen schweigend ihre Mittagsmahlzeit ein. Was hätten sie sich auch erzählen sollen? Es war ja nichts Erwähnenswertes passiert, seitdem sie sich nach dem Frühstück voneinander verabschiedet hatten. Die Sache mit dem Mathematikarbeitsheft hielt Adrian jedenfalls nicht dafür. Und auch nicht die gemeinsame Heimfahrt mit seiner Klassenkameradin Tabea.

      „Was hast Du heute Nachmittag vor?“ brach seine Mutter schließlich das Schweigen, nachdem das Dienstmädchen ihr den Mokka zum Abschluß des Mittagessens serviert hatte.

      Adrian zuckte die Achseln. „Nichts Besonderes“, antwortete er. „Linda holt mich nachher ab. Wahrscheinlich gehen wir in den Club zum Schwimmen.“

      Lachend schüttelte seine Mutter den Kopf. „Du und Linda, Ihr seid doch wirklich unzertrennlich. Seit Du ein Baby warst, hängt sie mit Dir zusammen.“

      „Na und? Wir verstehen uns eben.“ Er legte den Kopf schief und grinste. „In jeder Beziehung“, setzte er provozierend hinzu.

      Seine Mutter schüttelte noch immer den Kopf. Aber sie lächelte nicht mehr. Natürlich wußte sie, daß ihr Sohn und die Nachbarstochter zusammen ins Bett gingen. Weder Adrian noch Bellinda hatten ein Geheimnis daraus gemacht. Allerdings war sie sich nicht ganz im Klaren, ob sie das gutheißen sollte. Schließlich war Adrian erst siebzehn. In dem Alter eine Freundin zu haben, war ja normal, aber mußte es gleich eine solch intime Freundschaft sein? Zumal Bellinda noch dazu um einiges älter war als er. Was, wenn sie sich plötzlich anders orientierte und ihren Teenager-Freund zugunsten eines attraktiven, gleichaltrigen Studenten, den sie zweifellos Gelegenheit hatte, an ihrer Uni kennenzulernen, einfach fallen ließ? Adrian würde das nicht so ohne weiteres wegstecken. Nach außen mochte er zwar den Eindruck erwecken, als könne ihn nichts aus der Bahn werfen, auch nicht, von seiner langjährigen Jugendfreundin verlassen zu werden, aber sie wußte genau, daß das nicht richtig war. Sie hielt ihn für sensibler, als er sich den Anschein geben wollte.

      Adrian ahnte die Bedenken seiner Mutter, aber er ging darüber hinweg. Er stand auf, nickte ihr kurz zu und verschwand nach oben in sein Appartment. Die Zeit, bis Bellinda ihn abholte, nutzte er, um seine Schularbeiten zu machen.

      Seine Mutter paßte ihn in der Halle ab, bevor er ging.

      „Bitte komm nicht so spät, heute Abend. Dein Vater hat sich zum Abendessen angesagt, und Du weißt, er legt Wert darauf, es mit uns zusammen einzunehmen.“

      Adrian schraubte die Augen nach oben. „Na schön, ich werde pünktlich sein“, versprach er seufzend.

      ***

      „Wie ich sehe, bist Du schon beim Packen“, stellte Lukas fest, als seine Schwester die Tür zu ihrem Zimmer öffnete.

      Sie hatten gemeinsam gegessen und gingen nun in ihre Zimmer.

      Tabea stöhnte. „Hilft ja nix. Gut drei Wochen noch, dann sind wir hier weg. Und da hab ich gedacht, ich fang schonmal an. Du ahnst ja gar nicht, wieviel Kram sich im Lauf der Zeit so ansammelt.“

      „Vielleicht solltest Du Dir bei der Gelegenheit mal überlegen, was Du alles wegschmeißen kannst“ riet er ihr. „Die ganzen Kindersachen, zum Beispiel, brauchst Du doch garantiert nicht mehr.“ Er grinste. „Oder mußt Du zum Einschlafen noch mit den Kuscheltieren schmusen?“

      „Sei nicht blöde, Lukas“, raunzte sie ihn an.

      Obwohl sie tatsächlich hin und wieder noch ihren Teddy mit ins Bett nahm, wenn sie mies drauf war und irgendwie Trost brauchte. Aber das mußte Lukas ja nicht unbedingt wissen.

      Wegwerfen kam also überhaupt nicht in Frage. Schon gar nicht den Teddy. Aber auch die anderen Kuscheltiere nicht, von denen sie eine Menge besaß. Aber das machte nichts. Sie würde sie schon alle unterbringen können in ihrem neuen Zuhause. Schließlich war ihr Zimmer dort sogar größer als das hier. Im neuen Haus, in Bochum, bekam sie nämlich das größere Zimmer und Lukas nur ein kleines. Er würde es ja auch nicht oft brauchen. Schließlich würde er ja die meiste Zeit in Hamburg sein, denn er wollte hierbleiben, um weiterhin hier an der Uni zu studieren.

      Sie würde ihn vermissen, ihren großen Bruder. Sie mochten sich zwar zoffen, von Zeit zu Zeit, aber meistens vertrugen sie sich doch einigermaßen. Und sie mußte zugeben, daß er immer für sie dagewesen war, wenn sie jemanden zum Reden gebraucht hatte oder wenn ihr irgendeiner an die Wäsche gewollt hatte. Da hatte er sie immer beschützt. Jetzt würde sie allein zusehen müssen, wie sie zurechtkam.

      „Schade, daß Du nicht mitkommst“, sagte sie deshalb.

      Er legte ihr freundschaftlich den Arm um die Schultern. „Ach, Tabbi, nimm’s nicht so schwer. Ich bin ja nicht aus der Welt. Ab und zu komm ich Euch besuchen, und sonst kannst Du mich ja auch anders erreichen. Es gibt Telephon und Internet und was weiß ich alles. Wenn Du also mal Kummer hast, brauchst Du Dich nur zu melden.“

      „Aber das ist nicht dasselbe“, maulte sie. „Keiner ist dann da, der mich in den Arm nimmt. So wie jetzt.“

      Er lachte. „Dann mußt Du Dir eben einen Freund suchen. Der dann vielleicht noch ganz andere Sachen mit Dir macht, als Dich nur in den Arm zu nehmen. So einen mit ‘nem dicken Mercedes vielleicht, so wie der, der Dich heute nach Hause gebracht hat.“

      „Adrian von Molzberg ist nicht mein Freund“, protestierte sie. „Der ist niemandes Freund, nur sein eigener. Und außerdem will ich auch gar nicht, daß einer irgendwelche Sachen mit mir macht. Was Du immer denkst, Du altes Ferkel.“

      „So, was denk ich denn so Schlimmes, daß Du mich ein ‚altes Ferkel‘ nennst?“ fragte er scheinbar empört. „Oder bist Du hier vielleicht das alte Ferkel, weil Du mir schmutzige Gedanken unterstellst?“

      „Ich unterstell Dir gar nichts“, wies sie ihn zurück. „Ich weiß eben nur, wie Jungs ticken.“

      „O-oooh, Tabea Lennard, die große Jungsversteherin! Da muß ich mich ja glatt in acht nehmen, damit Du mich nicht ständig durchschaust, wie?“

      Sie boxte ihn vor die Brust. „Du bist so ein Idiot.“

      Das war zuviel. Er schnappte sie, warf sie sich über die Schulter und versohlte ihr den jeansbewehrten Hintern. Sie schrie und strampelte und boxte ihn auf den Rücken, aber es half ihr nichts. Lukas machte Krafttraining und war so viel kräftiger als sie. Wehrlos mußte sie seine Prügel einstecken, bevor er sie wieder