Franz Gnacy

Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi


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Körper ist schwach, unrein, sterblich; in ihm ruht aber ein Schatz, der unsterbliche Geist Gottes. Wir brauchen diesen Geist in uns zu erkennen, so gewinnen wir die Menschen lieb, und wenn das geschieht, erhalten wir alles, was unser Herz wünscht: wir werden glücklich.

      Nur wer die ganze Unbeständigkeit und Not des Lebens begriffen hat, erkennt die Bedeutung des Glücks, das ihm die Liebe gibt.

      Äußeres Glück, Vergnügungen erreichen wir nur auf Kosten anderer. Geistiges Glück, den Segen der Liebe, im Gegenteil nur dann, wenn wir das Glück anderer vermehren.

      All unsere Kulturerrungenschaften: Eisengahnen, Telegraphen und alle möglichen Maschinen können die Vereinigung der Menschen fördern, und deswegen auch den Beginn des Reiches Gottes beschleunigen. Es ist aber schlimm, dass Menschen sich durch diese Erfindungen verleiten lassen, zu glauben, wenn sie viele Maschinen bauen, würde dadurch das Reich Gottes ihnen näher gebracht. Das ist eben solch ein Fehler, wie wenn jemand stets ein und dasselbe Stück Land pflügt und nichts darauf säet. Damit all jene Maschinen Nutzen bringen, müssen die Menschen ihr Inneres vervollkommnen, die Liebe in sich vermehren. Ohne diese Liebe tragen Telefone, Telegraphen und Flugmaschinen nicht zur Vereinigung der Menschen bei, sondern entzweien sie im Gegenteil mehr und mehr.

      Kläglich und lächerlich ist jemand, der sucht, was ihm auf dem Rücken hängt; ebenso kläglich und lächerlich jemand, der das Gute sucht und nicht weiß, dass es in der Liebe liegt, die ihm ins Herz gepflanzt ist.

      Schaut nicht auf die Welt und die Werke der Menschen, sondern blickt in eure Seele; in ihr findet ihr das Glück, das ihr nicht finden konntet: findet die Liebe; wenn ihr sie gefunden habt, erkennt ihr, dass dieses Glück so groß ist, dass, wer es besitzt, nichts anderes wünscht.

      Wenn dir schwer zumute ist, wenn du die Menschen fürchtest, wenn dein Leben in Unordnung geraten ist, sag dir: gut, ich werde mich nicht mehr um das kümmern, was mit mir geschieht, sondern werde alle lieben, mit denen ich zu tun habe; im übrigen mag kommen was will. Versuch nur so zu leben, so wirst du sehen, dass alles sich entwirrt und du nichts mehr zu fürchten und zu wünschen brauchst.

      Tu’ deinen Freunden Gutes, damit sie dich noch mehr lieben, den Feinden, damit sie deine Freunde werden.

      Wie alles Wasser dem Eimer entströmt, wenn ein kleines Loch darin ist, so bleiben keine Freuden der Liebe in der Seele haften, sobald Hass gegen irgendjemand in ihr wohnt.

      Man sagt: was ist das für ein Geschäft, den Menschen Gutes tun, wenn sie es mit Bösen vergelten? – Sobald du den liebst, dem du Gutes tust, liegt dein Lohn schon in der Liebe, und dieser Lohn wird noch größer, wenn du außerdem das Böse erträgst, das er dir zufügt.

      Ein gutes Werk, das in bestimmter Absicht geschieht, ist schon kein gutes Werk mehr. Du liebst nur dann richtig, wenn du nicht weißt, warum und wozu.

      Die Menschen glauben oft, sie hätten sich vor Gott verdient gemacht, wenn sie ihren Nächsten lieben. Es ist aber gerade umgekehrt. Wer seinen Nächsten liebt, hat nicht sich vor Gott verdient gemacht, sondern Gott hat ihm unverdientes Glück gegeben, das höchst Glück, das es im Leben gibt, die Liebe.

      „Wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind, wenn wir unsere Brüder lieben. Wer seinen Bruder nicht liebt, der hat nicht das ewige Leben“.

      Ja, es kommt die Zeit, und sie kommt bald, von der Christus sagte, er trage Verlangen nach ihr -: es kommt die Zeit, wo die Menschen sich nicht damit brüsten, durch Gewalt Menschen und ihre Arbeit in Besitz genommen zu haben, und sich nicht darüber freuen, anderen Furcht und Neid einzuflößen, sondern stolz darauf sind, alle zu lieben und sich darüber freuen, trotz allen Kummers, den sie den Menschen verursacht, ein Gefühl zu haben, das sie von allem Schlechtesten befreit.

      Es war einmal ein Mann, der lebte so, dass er niemals an sich dachte, oder für sich sorgte, sondern nur für seine Nächsten trachtete und um sie bemüht war.

      Das Leben dieses Mannes war so wunderbar, dass die unsichtbaren Geister ihn deswegen lieb gewannen und sich über sein Leben freuten.

      Und da sagte einmal einer dieser Geister zu einem anderen: „Dieser Mensch ist ein Heiliger, und das sonderbare ist: er weiß es nicht. Solche Leute gibt es wenige in der Welt. Wir wollen ihn fragen, womit wir ihm dienen können; welche Gaben er von uns wünscht.“

      „Gut“, sagten alle anderen Geister, „das wollen wir tun.“

      Und da sprach einer von den Geistern unsichtbar, aber ganz deutlich zu dem guten Menschen: „Wir haben dein Leben und dein heiliges Wesen bemerkt und möchten dich beschenken. Sag’, was wüschest du. Möchtest du die Not und Armut aller Menschen, die du siehst und bedauerst, erleichtern? Wir können das. Oder sollen wir dir solche Macht verleihen, dass du die Menschen von Krankheit und Leiden befreist. So dass sie nicht mehr vor der Zeit sterben? Auch das können wir. Oder möchtest du, dass alle Leute: alle Männer, Frauen, Kinder dich lieben? Das können wir auch. Sag’, was du dir wüschest.“

      Der Heilige sagte: „Ich wünsche nichts von alledem, weil es Gott zusteht, die Menschen von dem zu erlösen, was er ihnen gesandt: von Not und Leiden, Krankheit und vorzeitigem Tod. Die Liebe der Menschen aber fürchte ich. Ich fürchte, die Liebe der Menschen verführt und stört mich in meiner Hauptaufgabe: die Liebe zu Gott und den Menschen in mir zu vermehren.“

      Da sagten alle Geister: „Ja, dieser Mensch ist wirklich heilig und hat Gott wirklich lieb.-

      Die Liebe gibt, verlangt aber nichts.“

      Sünden, Verführung, Aberglaube

       Das Leben wäre ununterbrochenes Glück, wenn nicht Aberglaube, Verführung und Sünden die Menschen des möglichen und ihnen zugänglichen Glückes beraubten. Sünde – ist Nachgiebigkeit gegen leibliche Begierden; Verführung – falsche Vorstellung, die man von seinem Verhältnis zur Welt hat; Aberglaube – falsche Lehren, die für wahr gehalten werden.

       Das wahre Leben liegt nicht im Körper, sondern im Geist

      „Sünde“ nennt man im Russischen beim Pflügen, wenn der Pflüger den Pflug nicht festhält, so dass er aus der Furche springt und die Scholle nicht fasst. Dasselbe ist im Leben der Fall. Sünde ist, wenn jemand den Körper nicht in der Gewalt hat, so dass er aus dem Geleise springt und nicht das tut, was er muss.

      Junge Leute, die das wahre Ziel des Lebens, Vereinigung in Liebe nicht kennen, setzen sich als Lebensziel die Befriedigung leiblicher Begierden. Es wäre gut, wenn dieser Irrtum sich auf den Verstand beschränkte; leider greift die Befriedigung leiblicher Begierden auch auf die Seele über und beschmutz sie, so dass der Mensch die Fähigkeit verliert, sein Glück in der Liebe zu suchen. Das ist gerade, wie wenn jemand, um sich reines Trinkwasser zu verschaffen, das Gefäß verunreinigt, mit dem er Wasser schöpfen muss.

      Du willst deinem Körper möglichst viel Vergnügen verschaffen? Aber wie lange lebt denn der? Sich um sein leibliches Wohl bekümmern ist gerade, wie ein Haus auf Eis bauen. Welche Freude kann solches Leben mit sich bringen und welche Ruhe? Muss man nicht beständig fürchten, dass früher oder später das Eis auftaut – dass man früher oder später seinen toten Körper verlassen muss?

      Baue dein Haus auf festen Grund – arbeite an dem was nicht stirbt: reinige deine Seele, befrei sie von Sünden, Anfechtung und Aberglaube.

      Das Kind fühlt noch nicht die Seele in sich; deswegen geschieht mit ihm nicht, was Erwachsenen widerfährt, wenn gleichzeitig zwei verschiedene Stimmen zu ihnen sprechen: die eine sagt: iss selbst auf; die andere: gib dem, der dich bittet. Eine sagt: glaub an das, was man sagt; die andere: denk selbst nach. Und je älter man wird, umso deutlicher hört man diese beiden verschiedenen Stimmen: die des Körpers und die geistige. Wohl dem, der auf die geistige Stimme hört.

      Die einen setzen ihr Leben an Bauchdienst; die anderen an geschlechtliche Liebe; die dritten an Macht; die vierten an Menschenruhm,