bestand darauf, den Fischkutter bereits am späten Nachmittag im Schutze einer kleinen, felsigen Insel mit windzerzausten Kiefern vor Anker zur bringen. Dieses Idyll lag nur dreihundert Meter vom Festland entfernt, inmitten der riesigen Hare Bay, im Norden von Neufundland.
Mitte April waren hier oben die Nächte noch empfindlich kalt. Eingerahmt von steil aufragenden, noch mit schneebedeckten Bergen, bildete sich in der Bucht über Nacht eine dünne Eisschicht. Diese Eisschicht musste am folgenden Morgen Jungfräulichkeit ausstrahlen. Nichts durfte auf die Anwesenheit der sieben Männer hinweisen.
Obwohl die Aktivisten in den letzten Jahren unter den widrigsten Umständen übernachtet hatten, empfanden sie die beiden Kajüten unter Deck als äußerst beengt. Mit Ausnahme von Marco und Ole waren es allesamt hünenhafte Naturburschen. Marco, der IT-Experte, wechselte in der Nacht zu Amaro Nguyen in den Führerstand.
Der Indianermischling hatte den alten Kutter zwei Wochen zuvor in Channel-Port aux Basques für neuntausend kanadische Dollar erstanden. Seit im Sommer 1992 das kanadische Fischereiministerium ein Fangverbot für Kabeljau verhängte und die Hoheitsgewässer auf 200 Seemeilen erweitert hatte, dümpelten tausende große und kleine Kutter ungenutzt in den Häfen. Für Bodo, der die Aktion leitete, hatte es oberste Priorität, dass der Motor des Kutters die Crew nicht im Stich ließ. Amaro war mit Fischerbooten aufgewachsen. Er hatte fast eine Woche benötigt, um einen gebrauchten, jedoch noch sehr gut erhaltenen und stärkeren Motor, einzubauen. Die Gruppe würde den kleinen Hafen in der Seal Bay reibungslos und noch schneller als ursprünglich geplant erreichen. Die Entscheidung des Leiters dieser Aktion, den Kutter kurz nach der Ankunft im Hafen auf Grund zu setzen, musste respektiert werden.
Kurz vor sechs Uhr früh räkelte sich Bodo aus dem Schlafsack und schlüpfte in den wattierten Schnee-Overall mit angenähter weißer Fellmütze. Anschließend stieg er in die ebenfalls weißen Fellstiefel. Bevor er die schmale Holztreppe nach oben stapfte, kontrollierte er den kleinen Schwedenofen. Es war keine Glut mehr zu sehen. In den nächsten Stunden durfte kein Rauch aufsteigen. Nicht die Spur eines verräterischen Geruches durfte in der klaren und kühlen Morgenluft liegen.
Der Führerstand war bereits leer. Bodo öffnete die Schiebetüre und betrat den schmalen Gangbord. Ein kalter Windhauch ließ ihn zusammenzucken. Fast automatisch zog er die Fellmütze über. Der Kutter ankerte dicht an einem Felsen, der wie ein riesiger Quader fast senkrecht ins Wasser ragte. Es genügte ein kleiner Schritt, um vom Gangbord an Land zu gelangen. Bradly wollte gestern den Kutter zwanzig Meter weiter vor Anker bringen, da von dieser Stelle aus ein ungehinderter Blick zum Buchteingang möglich gewesen wäre. Doch Amaro hatte darauf aufmerksam gemacht, dass die Morgensonne sich im Glas des Führerstandes widerspiegeln könnte; zumindest war dies nicht gänzlich auszuschließen.
Bodo blickte sich suchend um. Eingerahmt von zwei uralten Kiefern befand sich einige Meter oberhalb des Bootsaustieges ein großer, flach geschliffener Felsen. Unter einem weit herausragenden Ast der linken Kiefer sah er die Silhouette eines Mannes. Dieser stand bewegungslos und breitbeinig, wie eine Statue, und blickte in Richtung Osten.
Amaro begrüßte Bodo mit einem Kopfnicken und deutete mit dem Kinn zum Eingang der Bucht. Der Himmel färbte sich gerade von einem dunklen Rot in ein sattes Dunkelorange; darin feine weiße und schwarze horizontale Streifen. Langsam betupfte das Licht auch die rechte und linke Bergflanke am Buchteingang. Das Farbenspiel kroch nun langsam die hohen Bergketten hinauf. Jetzt begann sich das Feuerwerk, auf der dünnen Eisschicht der Hare Bay widerzuspiegeln.
Während Bodo das Farbspektakel in sich aufsog, war Amaro unbemerkt verschwunden. Als er lautlos seinen ursprünglichen Platz einnahm, hatte er zwei große Henkeltassen in den Händen. Wortlos streckte er Bodo eine davon entgegen. Schweigend standen die beiden Hünen nebeneinander. Der Kaffee dampfte in der kalten Luft, und die Männer wärmten sich die Hände an den Tassen. Das dunkle Schwarz über ihnen wich langsam einem Dunkelblau, und am Horizont schob sich die fahlgelbe Sonne wie ein gleißendes Halbrund in das Meer aus Orange. Amaro hatte ebenfalls die weiße Tarnkleidung angezogen. Für ihn war diese Temperatur wie ein Frühlingslüftchen. Er brauchte keine Fellmütze. Sein langes, tiefschwarzes Haar kontrastierte zum weißen Overall. Die Farben des jungen Tages verstärkten seine vom Wind und Wetter gegerbten Gesichtszüge. Wie Bodo war er knapp zwei Meter groß, breitschultrig und trotz des Overalls erkennbar muskulös.
Den Körperbau hatte Amaro von seinem Vater geerbt. Damit erschöpften sich allerdings die Gene der weißen Rasse. Amaros Mutter war die Tochter eines Häuptlings aus dem Stamm der Eyak. Dieser Tatsache verdankte der Vater den reibungslosen Aufbau eines ansehnlichen Fischunternehmens im Südwesten von Alaska. Bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr schuftete der Mischling im Familienunternehmen. Als der mittlerweile hünenhafte Naturbursche seine Mutter eines Tages blutüberströmt am Boden liegend vorfand, entschied das Blut der Eyak innerhalb weniger Sekunden über Amaros künftiges Leben. Sein Vater musste sechs Wochen im Krankenhaus verbringen, und der mit einem Schlag erwachsen gewordene Eyak versprach seinem Erzeuger, ihn in kleine Stücke zu schneiden, und an die Lachse zu verfüttern, sollte er noch einmal Hand an seine Mutter legen. Danach nahm er sich seinen Verdienst, den ihm sein Vater bislang vorenthalten hatte, aus der Kasse. Seine Mutter gab ihm wortlos einen Kuss auf die Stirn, ehe er mit einer guten Ausrüstung in die Wildnis Alaskas verschwand. Im Laufe der Jahre häuften sich unaufgeklärte Todesfälle von betrunkenen und bestialischen Robbenjägern, gierigen Ölsuchern und Trupps von Jägern, die ihren Spaß daran hatten, wie eine wilde Horde durch die herrlichen Weiten Alaskas zu ziehen.
Die Eyak verstanden sich als Teil der Schöpfung. Sie entnahmen der Natur immer nur so viel, wie sie zum Leben brauchten. Und sie entschuldigten sich bei den erlegten Tieren und bedankten sich beim Schöpfer. Amaro verstand sich als Beschützer seiner Heimat. Als ihm eine Sondereinheit zu dicht auf den Pelz rückte, setzte er sich in die Staaten ab und schloss sich den Eco Warriors an.
Zusammen mit Bodo und Marco wurde er einige Zeit später in Little Guantanamo inhaftiert. Sein kanadischer Freund, Vincent Decoux, konnte damals durch die Maschen des FBI schlüpfen. Er half Amaro später wieder auf die Beine zu kommen, und stellte den Kontakt zu Bodo her. Als Amaro von Bodos Plan hörte, weinte er vor Glück. Ohne Bodos
Hilfe hätte er das Little Guantanamo wahrscheinlich nicht lebend verlassen.
Nun standen sie mit ihren Henkeltassen nebeneinander und begrüßten schweigend den Tag. Amaro erinnerte Bodo an Ewald. Auch bei diesem Indianermischling brauchte es keine Worte. Es war, als sprächen auch ihre Seelen miteinander.
»Sie haben soeben den Hafen verlassen.« Mit diesen Worten näherte sich Marco den beiden Männern. Bodos langjähriger Wegbegleiter hatte die Aufgabe, den Funkverkehr zu verfolgen. Er wandte den Kopf zu Amaro.
»Wann werden sie hier sein?«
»Schätze in einer halben Stunde«, antwortete dieser knapp. In Little Guantanamo teilten sie sich eine Zeitlang gemeinsam eine Zelle. Marco nickte kurz und verzog sein Gesicht zu einem leichten, dankenden Lächeln. Wortlos legte Bodo seine Arme über die Schultern seiner beiden Wegbegleiter. Vor allem für Marco bedeutete diese Geste Freundschaft, Dank, Wärme, Kraft und Zusammengehörigkeit.
Der eher schmächtige Mann unterstützte Bodo bereits als Jugendlicher beim Kampf gegen Tierversuche. Als IT-Experte war es damals seine Aufgabe gewesen, alle Aktionen akribisch vorzubereiten. Gemeinsam litten sie später fast fünfzehn Monate in Little Guantanamo. Bodo hatte zuvor erkannt, dass in Marco ein riesiges IT-Genie schlummerte. Bodo war fortan Marcos Mentor geworden. Für ihn war es nicht nur ein Zeichen der Freundschaft, wenn er jeden noch so ausgefallenen Wunsch des Algorithmen-Fetischisten finanzierte. Er wusste und ahnte, dass dieses Geschenk Gottes, wie er es manchmal scherzhaft nannte, gehoben werden musste, und noch große Dienste leisten würde. Für Marco ging diese Symbiose weit über eine Freundschaft hinaus. Ein Leben ohne Bodo war für ihn nicht mehr vorstellbar.
Er stand plötzlich neben den drei Männern. Sie hatten ihn nicht kommen hören.
Während Marco sich im Laufe der Jahre zu Bodos linker Hand entwickelte, war Ole zu seiner unverzichtbaren Rechten erwachsen. Dieser Bursche dachte und bewegte sich nicht nur wie ein Luchs; er hatte den Instinkt