hatte, lernte Bodo Ole kennen. Dessen Vater hatte aufgrund eines Unfalles den Hof und die Fischerei in Norwegen aufgegeben. Ole war in Hamburg geboren. Seine Mutter, eine Köchin, hatte sich des Norwegers mit einem Bein erbarmt, und ihn geheiratet. Irgendwann zogen sie in die Einöde Norwegens, wo der Vater schließlich dem Suff erlag. Zuvor hatte er seinen Sohn wie einen Hund geschlagen.
Ole, nur 175cm groß, verbrachte die meiste Zeit in den Fjorden und den riesigen Wäldern Norwegens. Er wurde muskulös, zäh, ausdauernd – und jähzornig. Nach einigen Jobs auf Ölplattformen in Norwegen und in Nigeria gelangte er schließlich zur norwegischen Armee. Dort erhielt er eine Spezialausbildung bei einer Sondereinheit und wurde als Waffenspezialist sowie Sprengstoff- und Nahkampfexperte ausgebildet. Nachdem der Jähzornige einen Vorgesetzten übel zugerichtet hatte, verbrachte er ein halbes Jahr im Gefängnis. Danach zog es den Norweger wieder nach Hamburg, wo er sich bei einer Wach- und Schließgesellschaft sowie bei einem Werttransportunternehmen über Wasser halten konnte.
Heute standen sie in der Einsamkeit von Labrador. Bodo, ein muskulöser Hüne, zog Ole näher heran, so dass sein rechter Arm sowohl über Marcos und zum Teil auch über Oles Schulter reichte.
»Ich danke euch für eure Freundschaft. Auch in Ewalds Namen.«
Die Männer wussten, dass Bodo keine Antwort erwartete. Sie blickten schweigend in Richtung Osten. Dort stand die Sonne inzwischen wie ein Feuerball am Horizont. Es war Ewalds Art zu beten, wenn er solche Herrlichkeiten mit der Kamera einfing, und dabei oft, wie ein kleiner, begeisterter Junge wirkte. »Ach Ewald, ich wünschte, du wärst heute bei uns«, flüsterte Bodo leise.
»Er ist bei uns. Freundschaft geht über den Tod hinaus.«
Es war Cristostomo Campbell, der dicht hinter den vier Männern stand, und nun den Reißverschluss seines Overalls zuzog.
»Ich bin stolz darauf, solche Freunde zu haben. Heute ist ein schöner Tag zum Sterben, sagen wir Indianer. An wichtigen und guten Entscheidungen darf man nicht zweifeln.« Mit diesen Worten klopfte er Bodo freundschaftlich auf die Schulter. Cristostomo und Bodo kannten sich seit vielen Jahren. Der kanadische Indianer war 190 cm groß, hatte pechschwarze, kurze Haare, die nun in der frühen Morgensonne glänzten.
Dass er Halbindianer war, unterschlug Cristostomo gerne. Sein Vater war ein Weißer aus Ontario und hatte mit einer Indianerin eine Ranch in Manitoba aufgebaut. Zum Leidwesen des Vaters war Cristostomo bereits als Jugendlicher tagelang in den Wäldern verschwunden. Um nichts auf der Welt wollte er später die Ranch der Eltern übernehmen. Mit Rinderzucht konnte sich Cristostomo nicht identifizieren. Stattdessen studierte er Biologie. Während des Studiums lernte er die Indianerin Awanasa Archambeau kennen. Awanasa wurde Biologie-Lehrerin und Cristostomo führte Naturbegeisterte durch die schöne, fast unberührte Wildnis von Quebec.
»Luft, Luft, aahhh.« Es war Bradly Bryant, der sich mit einer Tasse dampfendem Kaffee in der Hand zum Ausblickfelsen arbeitete. »Nie wieder übernachte ich mit euch in einer Kajüte. Das halten doch nur Murmeltiere aus.« Er schlürfte genüsslich an seiner Tasse.
»Wenn es da unten streng riecht, dann kann dies nur von dir kommen«, sagte Marco lachend. »Von dieser Nacht hast du doch überhaupt nichts mitbekommen. Du hast geschnarcht, dass das ganze Boot vibriert hat. Ich bin deshalb zu Amaro geflüchtet.«
Die Männer lachten. Während Bodo, Marco, die beiden Indianer und Vincent es gestern Abend bei einer Flasche Bier belassen hatten, brauchte Bradly seine Flasche Whiskey. Nur Ole hielt sich an seine Cola. Da unten im Süden der Staaten degeneriert man schneller, hatte gestern Bodo zu Marco gesagt. Bradlys Heimat war die Stadt Biloxi, im äußersten Süden von Mississippi, am Golf von Mexiko.
Als Letzter tauchte Vincent Decoux auf. Er, der für die Planung dieser Aktion zuständig war, wohnte an der Grenze zwischen Kanada und Alaska.
Vincent, Cristostomo, Amaro, Ole und Bradly hatten eines gemeinsam. Sie waren raue Gesellen, Kämpfernaturen - und vor allem Scharfschützen mit Spezialausbildungen. Sie hatten sich Gedanken um Bodo gemacht.
Bradly hatte sechs Barrett M82 besorgt, und diese an Vincent zum Versand gebracht. Amaro grinste vor wenigen Tagen geringschätzig über die relativ kurzen Gewehre. Doch als sie vor zwei Tagen in die Wälder fuhren, um Schießübungen zu machen, pfiff er beeindruckt durch die Zähne. Nach einer Weiterentwicklung wog die M82 aufgrund des Einsatzes von Titan nur knapp über zehn Kilogramm. Hinzu kam ein Zeiss-Zielfernrohr mit sechs- bis vierundzwanzigfacher Vergrößerung. Entgegen einem Jagdgewehr konnte dieses Spezialgewehr mit einer weitaus effektiveren Munition geladen werden. Ganz wichtig war, dass der bewegliche Lauf geflutet wurde und Kühlrippen besaß. Zusätzlich war eine Mündungsbremse eingebaut.
Diese garantierte, dass der Rückstoß um siebzig Prozent verringert wurde. Das war ganz entscheidend für die zweiten und nachfolgenden Schüsse.
Den Scharfschützen war der Mund offen stehengeblieben, als Bodo nach bereits zehn Minuten drei kleine Münzen hintereinander aus einer Entfernung von dreihundert Metern zerkleinerte. Sie konnten nicht ahnen, dass er durch Oles Schule gelaufen war. Und dieser grinste anerkennend.
Bradly hatte unterschiedliche Munition mitgeliefert. Das Magazin fasste zehn Schuss 12,7x99 mm. Sie entschieden sich für die Weichkernmunition. Diese eigneten sich für Kopfschüsse. Der Austritt am Hinterkopf war bis zu zehn Mal größer als das Einschussloch. Ole riet von Stahlmantelgeschossen ab. Reste dieser Munition, die Rückschlüsse auf den Gewehrtyp hätten geben können, wären später von Experten leichter zu finden gewesen. Zur Sicherheit hatte jeder Schütze ein Ersatzmagazin.
»Lasst uns hinuntergehen«, mahnte Amaro, nachdem er in die Richtung des herrlichen Sonnenaufganges geblickt hatte.
Marco und Ole reichten den Männern jeweils ein mit weißem Stoff bespanntes Futteral durch die Tür des Führerstandes. Danach trat Ole mit seinem Futteral nach draußen.
»Sie müssen in ein paar Minuten am Buchteingang auftauchen«, sagte Marco im Türeingang. Danach gab er den sechs Männern ein kleines Päckchen. In jedem Päckchen befand sich ein kleines Fernsprechgerät. Bei der gestrigen Besprechung waren sie jedes Detail noch einmal durchgegangen. Als Einsatzleiter hatten sie sich dabei auf Amaro geeinigt. Er wusste genau, in welcher Sekunde die Schüsse abgegeben werden mussten. Alle Ziele mussten aufrecht stehen. Der jeweils erste Schuss war im Bruchteil einer Sekunde abzugeben; gleichzeitig. Nicht das kleinste Risiko durfte eingegangen werden.
Die sechs Schützen verließen den Kutter. Marco blieb an Bord. Amaro hatte gestern Abend eine gut begehbare Strecke zum Kamm der kleinen Insel ausfindig gemacht. Der Aufstieg würde nur zehn Minuten in Anspruch nehmen. Schweigend stapften die Männer Amaro hinterher; in kleinen und sicheren Schritten. Ihre Fellmützen mussten sie erst überziehen, sobald sie die Anhöhe erreicht hatten. Die Mannschaft musste in der Landschaft zerfließen; sie durfte nicht vorhanden sein.
Das kleine, flache Plateau hatte ausreichend Platz für die Scharfschützen. Von hier aus hatten sie einen herrlichen Weitblick. Am Eingang der Bucht war ein kleiner Kutter zu sehen, eingerahmt vom großen Sonnenball. Ewald hätte dieses fast kitschige Bild in vielen Aufnahmen festgehalten, dachte Bodo. Von jetzt an mussten sich die Männer vorsichtig bewegen. Sie streiften ihre Fellmützen über und gingen unwillkürlich in die Hocke. Der Wind hatte den neuen, leichten Schnee der letzten Nacht verweht. Die verbliebene Schneedecke war nur knapp fünf Zentimeter hoch und angefroren. Trotzdem glätteten die Aktivisten den vorderen Bereich mit ihren Händen. Die Zweibeine der Gewehre mussten einen absolut festen Stand haben. Darüber hinaus hatte Bodo darauf bestanden, anschließend alle ausgeworfenen Hülsen einzusammeln. Keine durfte zurückbleiben.
Die Schützen zogen die Gewehre aus den Futteralen, klappten die Zweibeine auf und brachten die Gewehre in Stellung. Aus einer Seitentasche des Futterals entnahmen sie ein volles Ersatzmagazin und legten dieses neben das Gewehr. Kniend kramten sie nach den kleinen Päckchen, welche Marco ihnen übergeben hatte. Das Sprechfunkkästchen in der Größe eines Handys steckten sie in die linke Brusttasche des Overalls, nachdem sie den Schalter auf „ON“ umgelegt hatten. Sie zogen das dünne Kabel nach oben, legten den Kopfhörer an, und steckten das Empfangsteil in das linke