Helmut Höfling

Das Pulver


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de Brinvilliers, der reizendsten Marquise von der Welt mit ihrer zierlichen Figur und ihren blauen Augen. Durch den bunten Reigen seiner Zerstreuungen zu sehr abgelenkt, um auf die Schritte seiner Gemahlin zu achten, sah der Marquis keine Bedenken in ihrem Betragen, und so hatten die Liebenden freie Hand zu tun, was und wie es ihnen beliebte: Was anfangs noch im Verborgenen begonnen, trieben sie dann rasch ohne jede Scheu nach außen und ohne Rücksicht auf den jeweiligen angetrauten Ehepartner.

      Was hatte sich da gesucht und gefunden: ein Herz und eine Seele, zwei Seelen und ein Gedanke oder zwei Herzen und ein Schlag? Es war ein verhängnisvolles Bündnis zweier Menschen, das Tod und Verderben über andere bringen sollte wie über sich selbst.

      Die Marquise von Brinvilliers machte aus ihrem ehebrecherischen Verhältnis kein Geheimnis, im Gegenteil, sie brüstete sich damit vor aller Welt, und je mehr Aufsehen und Ablehnung sie damit erregte, desto selbstzufriedener und hochgemuter gab sie sich. Sie spreizte sich auch vor ihrem Gatten damit, der aber keineswegs vor Wut schäumte, sondern mit größter Gleichgültigkeit darüber hinwegging und sich schadlos hielt, indem er ihr mit gleicher Münze heimzahlte und sich mit anderen Frauen amüsierte. Auch störte es ihn nicht weiter, dass sie für die Lustbarkeiten mit ihrem Liebhaber das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswarf, es war ja neuerdings ihr eigenes. Denn inzwischen hatte der Marquis, von Vergnügen zu Vergnügen jagend, seine Vermögensverhältnisse so stark zerrüttet, dass es seiner Gemahlin gestattet wurde, ihr in die Ehe eingebrachtes Kapital zurückzuziehen und selbst zu verwalten. Durch diesen Schritt glaubte sie sich berechtigt, alle weiteren Rücksichten außer Acht zu lassen und sich unbeschränkt ihren Ausschweifungen hinzugeben.

      Bei ihrem Vater dagegen, einem Mann von echtem Schrot und Korn, kam sie mit ihrer Prahlerei und Selbstgerechtigkeit schlecht an. Er war ein gesetzestreuer Beamter, weder ein Freigeist noch ein Freund von lockeren Sitten, sich sehr wohl der Rechte bewusst, die ihm als Familienoberhaupt zustanden. Ihm galt die Ehre seiner Tochter mehr als ihrem Gemahl. Auf seine Vorhaltungen lachte sie nur, und setzte er sie unter Druck wie ein strenger Vater ein ungezogenes Kind, verzerrte sich ihr sonst so liebliches Gesicht vor Zorn zur Fratze. Alles Zureden half nichts, auch keine Drohungen, der gute Ruf seines Hauses stand auf dem Spiel, er musste handeln. Dank seiner Beziehungen erwirkte er einen königlichen Geheimbefehl, une lettre de cachet, gegen den Liebhaber seiner Tochter. Am neunzehnten März 1663 wurde Sainte-Croix, Seite an Seite neben seiner Geliebten sitzend, Ehebrecher neben Ehebrecherin, aus einer Karosse heraus verhaftet und in die Bastille gebracht.

      2

      Aus und vorbei war es mit der verbotenen Liebe, doch mit dem Keil, der das Paar getrennt hatte, war der Keim für ein furchtbares Verbrechen gelegt.

      Das aber hatte Antoine Dreux d’Aubray, Herr auf Offémont und Villiers, nicht ahnen können. Für die Einlieferung Sainte-Croix’ in die Bastille sollte das Gleiche gelten wie für die Geburt seiner Tochter: Wäre ihm ein Blick in die Zukunft vergönnt gewesen, er hätte den Tag verflucht, an dem auf sein Betreiben hin ihr Liebhaber verhaftet wurde.

      Une lettre de cachet war eine vielfach praktizierte Methode, um unliebsame Zeitgenossen aus dem Verkehr zu ziehen. Wer hinter den Mauern des Staatsgefängnisses, dem Symbol der Tyrannei, verschwand, sah sich der staatlichen Willkür ausgesetzt. Dieses Schicksal traf viele: In die Bastille hinein kam man leicht, aus der Bastille heraus dagegen schwer. Das hoffte auch der Staatsrat d’Aubray, doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht.

      Sainte-Croix gehörte zu den Ausnahmen. Nur knapp zwei Monate blieb er dort, am zweiten Mai lebte er wieder auf freiem Fuß. Doch in dieser Zeit der Haft lernte er einen Gesinnungsgenossen kennen, der sich mit den Geheimnissen der italienischen Gifte bestens auskannte. Es war der berüchtigte Exili, mit wahrem Namen Eggidi, oder auch Gilles, ein italienischer Edelmann in Diensten der Königin Christine von Schweden. Da hatten sich zwei gefunden, wie sie besser nicht zusammenpassen konnten, denn im Austausch unheimlicher Rezepte, mit denen man seine Mitmenschen ins Jenseits befördern konnte, verging die Gefangenschaft in der Bastille wie im Flug.

      „Die Franzosen“, meinte der italienische Edelmann und Giftmischer, „gehen bei ihren Verbrechen viel zu ehrlich zu Werke und verstehen auch ihre Rache nur so wenig geschickt auszuführen, dass sie immer selbst deren Opfer werden. Sie führen den Streich gegen ihren Feind mit so viel Geräusch, dass sie sich selbst einen noch weit grausameren Tod zuziehen als jenen, den sie ihrem Feind antun, indem sie zugleich Vermögen und Ehre verlieren. Die Italiener sind feiner in ihrer Rache. Sie haben es in ihrer Kunst so weit gebracht, dass sie Gifte bereiten können, die dem geschicktesten Arzt verborgen bleiben. Ein schneller oder langsamer Tod, wie es ihre Zwecke erfordern, steht in ihrer Macht. In beiden Fällen lassen ihre Mittel keine Spuren zurück, sie sind, wenn sich doch einige Kennzeichen finden, so zweideutig, dass man sie auch der gewöhnlichsten Krankheit zuschreiben kann und die Ärzte in der völligen Ungewissheit über die unbestimmten Anzeichen, die sie bei ihren anatomischen Untersuchungen finden, den Tod des Patienten nicht anders zu erklären wissen als mit allgemeinen Ausflüchten, die sie immer bei der Hand haben, verborgenen Krankheitsstoffen, schlimmen Zufällen, ungesunder Luft und dergleichen. Dies ist eigentlich die wahre Kunst, die es versteht, die Verbrechen der Menschen auf die Rechnung der Natur zu setzen.“

      So redete Exili über seinen reichen Erfahrungsschatz. Er war also ein Giftmischer der Oberklasse, mit allen Wassern gewaschen, irrte jedoch in der Annahme, sein Haftgenosse sei in dieser Kunst weniger bewandert als er. Das Gegenteil war der Fall, denn bei ihrer Fachsimpelei stellte sich immer deutlicher heraus, dass Sainte-Croix mit seinen Kenntnissen auf diesem Gebiet seinen neuen Kumpan übertraf. Denn lange vor seiner Einlieferung in die Bastille hatte sich der junge Kavallerieoffizier bei dem berühmten Schweizer Chemiker Glaser das erforderliche Fachwissen angeeignet. Glaser, in Basel geboren, war nach Paris gezogen und lebte seit langem im Faubourg Saint-Germain, wo er sich mit der Veröffentlichung eines erfolgreichen Lehrbuchs der Chemie einen Namen gemacht und eine geachtete Stellung erworben hatte. Er war Leibapotheker des Königs und von Monsieur, dem ältesten Bruder Ludwigs XIV., sowie Lehrer der Chemie am Jardin des Plantes, außerdem ein tüchtiger Gelehrter. Das schwefelsaure Kali, das er entdeckt hatte, trug lange seinen Namen. Glaser war der Hauptlieferant, wenn nicht gar der einzige, von Sainte-Croix und dessen Mätresse, die in ihren Briefen, wie man sie in der Kassette fand, die von ihnen verwendeten Gifte „das Rezept Glaser“ nannten.

      Gesprächsstoff gab es also genug zwischen Sainte-Croix und seinem Mitgefangenen Exili, nicht nur in der Bastille, auch nach der Entlassung, denn der italienische Edelmann gehörte ebenfalls zu den Glückspilzen, die nach fünf Monaten Haft wieder entlassen wurden, zwei Monate nachdem Sainte-Croix freigekommen war. Ihr Wiedersehen erfolgte zwar nicht sofort, es sollte vielmehr ein Wiedersehen auf Umwegen werden; denn ein Polizeihauptmann von der Kompanie des Chevaliers du Guet, ein gewisser Desgrez, nahm Exili bei der Freilassung in Empfang mit der Weisung, ihn nach Calais zu bringen und dort an Bord eines Schiffes, das nach England fuhr. Doch der Italiener ließ sich nicht so leicht abschieben, denn schon bald tauchte er wieder in Paris auf, wo er im Haus seines Pulver und Essenzen mischenden Kollegen ein halbes Jahr lang Unterschlupf fand. Es gab ja noch so viel zu bereden und zu experimentieren.

      Danach trennten sich ihre Wege. Exili blieb auch weiterhin mit der schwedischen Königin Christine in steter Verbindung und ging achtzehn Jahre nach seiner Entlassung aus der Bastille mit der reichen Gräfin Ludovica Fantaguzzi, einer Kusine des Herzogs von Modena, eine Heirat ein. Er hatte sein Schäfchen ins trockene gebracht.

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