Elternhaus entfernt. Zum Haus gehörte ein großes Grundstück von mehreren Hektar, ein kleiner Wald und ein Bach, der zu einem See aufgestaut worden war, auf dem herrliche Seerosen wuchsen.
Marc legte Wert auf Äußeres, sodass er stets auch exklusive Kleidung trug. Aber nicht nur die Kleidung musste erstklassig sein, alles Äußere pflegte er. Anfangs fuhr er einen großen Peugeot, mit der besten Ausstattung. Später wechselte er zu Mercedes und leistete sich alle drei Jahre einen neuen Wagen.
Als Vater Emile starb, wohnte Simone Solliec alleine in ihrem Haus in Trégunc. Zum Haus gehörte ein gepflegter Gemüsegarten, mit Obstbäumen und Blumen, den Simone nun alleine pflegte. Simone lebte bescheiden und zurückhaltend. Sie kümmerte sich um ihren Hund und ihren Sohn Marc. Selten bekam sie Besuch von Verwandten und noch seltener von Freunden.
Wenn Marc in der Bretagne weilte, kam er täglich zum Mittagessen zu Simone. Das war selbstverständlich. Marc besaß auch keine Waschmaschine, Mutter Simone kümmerte sich um seine Wäsche. Unterwegs, auf dem Schiff, waren die Arbeiter in der schiffseigenen Wäscherei für seine Wäsche zuständig.
Auch Marc führte ein recht zurückgezogenes Leben. Er hatte durch seine Überheblichkeit dafür gesorgt, dass nur wenige Menschen seine Nähe suchten. Er prahlte gerne, wusste und konnte alles besser, kaum ein Nachbar konnte ihm das Wasser reichen. So hatte er auch schon den einen und anderen von Simones Nachbarn vergrault. Mutter Simone wünschte von Herzen, dass ihr Sohn Marc eine Frau fürs Leben finden würde. Aber das war bisher ein schwieriges Kapitel.
Simone ging gerne an der Küste spazieren und sah dem Meer zu. Aber Simone besaß keinen Führerschein, auch kein Auto und war also auf Marc angewiesen. Ihre Einkäufe erledigte sie zu Fuß. Das Zentrum von Trégunc war für sie gut zu erreichen.
„Marc, ich würde so gerne einmal wieder einen Spaziergang entlang der Küste machen. Lass uns nach Pendruc fahren und ein wenig den sentier côtier entlanggehen“, bat sie ihren Sohn einmal nach dem Mittagessen.
„Wenn du das willst, dann fahren wir nach Pendruc“, meinte Marc, wischte sich den Mund ab und genoss den Espresso, den seine Mutter ihm nach dem Essen gereicht hatte.
Pendruc lag nur wenige Kilometer von Trégunc entfernt. Marc lag nicht viel an einem Spaziergang entlang der Küste. Sonnenbaden, Schwimmen und andere Vergnügen im Sand lehnte er völlig ab, das war verschwendete Zeit in seinen Augen. Marc fuhr auch nicht in Urlaub. Ein halbes Jahr freie Zeit in der Bretagne war sein Privileg. Warum sollte er einen Aufenthalt in irgendeinem Hotel verbringen, für das er auch noch bezahlen müsste?
Simone zog sich ein paar feste Schuhe an und folgte Marc zum Wagen, den er vor dem Haus geparkt hatte. Nach wenigen Minuten hatten sie den kleinen Parkplatz hinter dem Plage von Pendruc erreicht und spazierten über den schmalen Weg nach Pouldohan. Sie passierten die Pointe de la Jument und hatten einen Blick auf die Glénan-Inseln.
„Hast du das Herz dort drüben gesehen?“, fragte Simone ihren Sohn.
Marc sah sich um und suchte vergeblich ein Herz.
„Nein, wo soll hier ein Herz liegen?“, fragte er.
„Dort drüben der Felsen, der sieht doch aus wie ein Herz, ein auf den Kopf gestelltes Herz.“
Jetzt sah auch Marc den Felsen. Er musste zugeben, dass der große Stein einem Herzen ähnelte. Obwohl er schon mehr als hundert Male an dieser Küste vorbeispaziert war, war ihm der Stein noch nie aufgefallen.
„Das kalte Herz von Concarneau“, sinnierte Simone.
„Gib acht, mein Sohn, dass du nicht auch ein steinernes Herz entwickelst, such dir eine Frau. Wer kocht dir dein Essen und macht deine Wäsche, wenn ich mal nicht mehr da bin?“
„Soweit ist es noch nicht, darüber machen wir uns jetzt keine Gedanken. Aber, damit du dir nicht unnötig Sorgen machst, ich habe eine Frau kennengelernt. Sie kommt aus Quimperlé. Ich werde sie dir in den nächsten Wochen mal vorstellen.“
„Ich habe mir so etwas schon gedacht, mein Junge, du bist besser gelaunt in der letzten Zeit. Hoffentlich lerne ich sie kennen, bevor du wieder auf die Réunion fliegst?“, meinte Simone und strahlte. Ohne weitere Worte spazierten sie nebeneinander her, folgten der Küste in Richtung Concarneau, bis sie beinahe Lanriec erreicht hatten.
Die Dame war noch gut zu Fuß. Mit ihren 68 Jahren legte sie ein strammes Tempo vor, das Marc manchmal herausforderte. Auf dem Weg zurück begann Simone erneut über Marcs Zukunft zu sprechen.
„Wie stellst du dir dein Leben mit einer zukünftigen Frau vor? Bleibst du an Land? Das wechselhafte Leben wirst du nach einer Hochzeit nicht mehr führen können. Nur wenige Frauen akzeptieren heute noch, dass der Mann regelmäßig zwei Monate abwesend ist.“
„Meine Arbeit als Kapitän werde ich nicht aufgeben, niemals! Das ist mein Leben!“, antwortete Marc entschieden, und damit war das Gespräch für ihn beendet.
Simone insistierte nicht weiter und ging schweigend neben ihm her. Sie kannte ihren Sohn, er würde ihr jetzt nichts Weiteres mehr über seine neue Freundin sagen. Sie müsste sich gedulden, bis er das Thema wieder ansprechen würde. Sie fuhren zurück nach Trégunc.
Hoffentlich würde seine zukünftige Frau ein solches Leben hinnehmen. Sie hatte das Leben als Frau eines Fischers akzeptiert. Es war nicht immer einfach gewesen. Damals, als die Kinder klein waren, hätte sie gerne abends manchmal einen Mann an ihrer Seite gehabt. Vor allem in den Zeiten, in denen die Kinder krank waren. Aber sie hatte es geschafft. Sie hatte ihre Kinder stets gut versorgt, so gut sie es konnte.
Für Marc stand fest, dass er nie eine Frau heiraten würde, die seine Arbeit als Kapitän nicht unterstützte. Er verließ seine Mutter und fuhr zurück nach Melgven. Marc würde Loana beim nächsten Treffen nach ihren Vorstellungen von einem Zusammenleben fragen.
Loana Fournel hatte er bei einem Fest Noz in Quimperlé kennengelernt. Eigentlich gehörte ein solcher Tanzabend zu den Dingen, die Marc mied. Er war nur zu diesem Fest Noz gegangen, weil ein bekannter bretonischer Bombarde-Bläser dort auftreten sollte. Eine vombard oder talabard zu spielen, wie das Instrument auf Bretonisch hieß, zählte für Marc zu den wenigen Dingen, die es mit der Tätigkeit eines Kapitäns aufnehmen konnten.
Loana war ihm auf dem Fest aufgefallen, weil auch sie Begeisterung für den Bläser gezeigt hatte. Er hatte sie angesprochen und ihr von seiner Leidenschaft für das Instrument erzählt. Loana hatte erwähnt, dass dieses Instrument auch sie verzauberte. Sie verbrachten den ganzen Abend miteinander, den Klängen der Bombarde hingegeben. Danach hatten sie sich noch einige Male getroffen. Marc hegte Sympathie für die Frau. Ob es Liebe war, konnte er nicht sagen. Marc sah eher die pragmatische Seite, eine Frau im Haus wäre praktisch, sie kochte, machte seine Wäsche, hielt das Haus in Ordnung und konnte seine körperlichen Bedürfnisse befriedigen. Marc verschwendete keinen Gedanken an die Erwartungen oder Wünsche einer Frau. Seine Frau musste die Aufgaben übernehmen, die bis jetzt seine Mutter für ihn erledigte. Am besten fände er eine zukünftige Frau wie seine Mutter.
Der Tag neigte sich dem Ende entgegen, und Marc schloss, wie an jedem Abend, die Klappläden seiner Fenster, schaltete den Fernseher ein, nahm eine Flasche Bordeaux aus seinem Vorrat und schenkte sich ein Glas ein.
Kapitel 2
Die Sonne war gerade aufgegangen und schickte ihre ersten Strahlen durchs Schlafzimmerfenster. Anaïk Bruel streckte sich gemütlich in ihrem Bett. Sie lag alleine im Bett, ihr Verlobter, Brieg Pellen, war für drei Tage nach Marseille gefahren. Die Werft hatte einen größeren Auftrag erhalten, und Brieg musste mit dem Auftraggeber verschiedene Einzelheiten klären, damit der Bau des Forschungsschiffes problemlos verlaufen könnte.
Anaïks Hochzeitstermin rückte immer näher und damit auch der Umzug ins neue Haus. Brieg hatte sie vor einem Monat damit überrascht. Ein Freund und Kollege, der eine neue Aufgabe bei einer deutschen Werft in Hamburg übernommen hatte, hatte ihnen sein herrlich gelegenes Haus in Beg Meil verkauft. Brieg hatte keinen Augenblick gezögert, das Haus zu kaufen, nachdem er Anaïks Zustimmung eingeholt