jetzt schien er plötzlich kleinlich. Sie wünschte sich eine schöne Hochzeit mit einer Feier. Loana war hin- und hergerissen zwischen ihren Gefühlen.
Simone ergriff das Wort, bevor Loana etwas erwidern konnte.
„Marc, du solltest eine Ehe nicht so starten. Ich hätte deinen Vater nicht geheiratet, wenn er mir das vorgeschlagen hätte. Eine Hochzeit ist ein besonderes Ereignis und nicht irgendeine Feier. Ihr müsst doch nichts überstürzen. Geh du erst einmal wieder auf dein Schiff, und Loana kann in aller Ruhe die Hochzeit vorbereiten. Ich unterstütze sie, falls sie Hilfe braucht.“
Loana atmete auf. Sie sah Marc fragend an.
Marcs Gesichtsfarbe wechselte. Seine Wangen glühten, und seine Augen funkelten.
Simone sah die Veränderung und fügte ihrer Aussage knapp hinzu:
„Sag nichts Unüberlegtes, Marc, wir sind hier nicht auf deinem Schiff!“
Marc entspannte sich, seine Mutter schien großen Einfluss auf ihn zu haben. Nach einigen Sekunden antwortete er.
„Gut, dann heiraten wir eben noch nicht. Dann muss die Hochzeit warten, bis ich in zwei Monaten zurück bin.“
Loana sah ihren zukünftigen Mann dankbar an.
„Deine Mutter hat einen vernünftigen Vorschlag gemacht. Wir werden alles vorbereiten, und wenn du wieder hier bist, heiraten wir und fahren anschließend sofort auf unsere Hochzeitsreise.“
Hochzeitsreise? Für Marc klang das wie eine Drohung! Wohin sollten sie denn fahren? Sie könnten doch nach der Hochzeit auch in der Bretagne bleiben. Die Bretagne ist ein herrlicher Ort. Was brauchten sie mehr? Warum also eine Hochzeitsreise? Er beließ es dabei und antwortete nicht auf Loanas Aussage.
Marc brachte Loana am späten Nachmittag nach Hause. Während der Fahrt nach Quimperlé blieb er auffallend ruhig und einsilbig. Loana dachte über den Nachmittag nach. Marcs Wutanfall beschäftigte sie. War er wirklich der Richtige? Sollte sie sich die Hochzeit noch einmal überlegen? Loana holte sich ein Glas Wasser, setzte sich auf ihre kleine Terrasse und genoss die letzten Sonnenstrahlen.
Kapitel 5
Anaïk Bruel saß über den Formularen von Nourilly. Sie wollte sie rasch ausfüllen, um nicht mehr daran denken zu müssen.
Welche Möglichkeiten gibt es, die Zusammenarbeit mit anderen Diensten zu verbessern?
Wie viele Stunden haben Sie mit Fahrten zu Einsatzorten verbracht?
Wie lange dauerte die durchschnittliche Tatortbegehung?
Wie viele Stunden wurden mit Zeugenbefragungen verbracht? (ungefähre Angaben reichen!)
„Ungefähre Angaben reichen! Was können wir denn sonst in dieses blöde Formular schreiben?“, donnerte Anaïk über den Schreibtisch hinweg und schrie die leere Pinnwand an. Sie ließ den Kugelschreiber auf die Schreibtischplatte fallen. Welche Erkenntnisse konnte Nourilly aus solchen Fragen gewinnen? Sie hielt es für eine Ersatzbefriedigung, der Mann schien außer Pressekonferenzen und Interviews keine erfüllenden Aufgaben zu haben.
Anaïk griff zum Ouest-France, der neben ihr lag, und las die Schlagzeile des Tages.
Familie immer noch verschwunden!
Sie vertiefte sich in den Artikel, der ausführlich von der vierköpfigen Familie aus der Umgebung von Nantes berichtete, die seit mehr als 15 Tagen verschwunden war.
Die Gendarmen waren zum Haus gerufen worden und hatten das große Einfamilienhaus der Familie Le Guiffant verschlossen vorgefunden, mit herabgelassenen Rollläden und einem überquellenden Briefkasten. Eine Nachbarin hatte die Gendarmerie informiert. Wie die Zeitung weiter berichtete, haben die Nachbarn ausgesagt, dass die Familie noch nie verreist war, ohne eine Nachbarin zu informieren. Die Familie hatte zwei Kinder, einen erwachsenen Sohn und eine fast erwachsene Tochter. Die Sicherheitsorgane waren von einer kurzfristigen Reise ausgegangen. Aber das Auto der Familie stand in der Garage, einzig der Wagen des Sohnes fehlte. Als es nach drei weiteren Tagen immer noch kein Lebenszeichen der Familie gab, wurde man auch bei der Gendarmerie unsicher und begann mit den Nachforschungen. Die Gendarmen hatten sich Zugang zum Haus verschafft und versucht, Hinweise auf den Aufenthalt der Familie zu finden. Sie hatten das Haus in einem ordentlichen Zustand vorgefunden. Kein ungespültes Geschirr stand in der Küche, das Badezimmer war sauber, es gab keine Schmutzwäsche und keine herumliegenden benutzten Handtücher. Die Betten waren gemacht und nirgends hatten sich größere Mengen Staub angesammelt. Die Reisekoffer der Familie standen in einem Abstellraum, sodass die Gendarmen nicht von einer Urlaubsfahrt ausgehen konnten. Auch die Zimmer der Kinder sahen aus, als habe hier jemand aufgeräumt, selbst auf den Schreibtischen lag kein Blatt Papier. Das Haus machte beinahe einen unnatürlich aufgeräumten Eindruck. Niemand verreiste kurz und hinterließ sein Haus so tadellos. Nein, hier stimmte etwas nicht. Die Gendarmerie bat die police judiciaire aus Nantes um Hilfe. Die Spurensicherung ging durch das gesamte Haus. Mit viel Mühe fanden sie einige Fingerabdrücke, die aller Wahrscheinlichkeit nach den Familienmitgliedern zuzuordnen waren, und eine kleine Blutspur, die eine DNA-Analyse ermöglichte und abschließend eindeutig dem Vater zugeordnet werden konnte. Eine weitere DNA konnte nicht sofort geklärt werden. Der Artikel schloss mit der Frage, ob es sich hier um ein Verbrechen handelte.
Anaïk legte die Zeitung zur Seite. Eine verschwundene Familie war ihr im Verlaufe ihrer Tätigkeit als Kommissarin noch nicht untergekommen. Sie hatte in den Nachrichten der letzten Tage immer wieder einen Bericht über diese vermisste Familie gesehen aber sich nicht weiter damit beschäftigt. Schließlich handelte es sich um ein eventuelles Verbrechen, das in den Zuständigkeitsbereich von Nantes fiel. Sie hatte dem Bericht der aktuellen Ausgabe der Zeitung entnommen, dass der Vater, Jules Le Guiffant, mit seiner Frau Adèle und den beiden Kindern, dem 21-jährigen Sohn Ravan und der 18-jährigen Tochter Sema seit sieben Jahren in dem Haus wohnte. Die Nachbarn hatten von einer glücklichen Familie gesprochen. Nie hatten sie Streitigkeiten mitbekommen.
Anaïk machte sich Gedanken über das Verschwinden der Familie, als Monique, ihre Kollegin, in der Tür stand und sie aus ihren Überlegungen riss.
„Störe ich dich, Anaïk?“, fragte Monique vorsichtig.
„Überhaupt nicht, ich habe gerade einen Artikel im Ouest-France gelesen, den ich aus lauter Verzweiflung über diese stupiden Formulare aufgeschlagen habe.“
„Sag bloß, du hast über die verschwundene Familie gelesen?“
„Ja! Warum fragst du?“
„Weil mich gerade ein Anruf von der Pforte erreicht hat, dass dein Telefon blockiert ist, denn man wollte dich in genau dieser Angelegenheit erreichen.“
„Ich muss gegen das Telefon gekommen sein, als ich mich über diese Formulare geärgert und sie vom Tisch gewischt habe“, antwortete sie Monique.
„Die Gendarmerie von Fouesnant hat angerufen. Ein Spaziergänger hat in der Umgebung des Manoir Le Stang, in Forêt-Fouesnant, einen Personalausweis und ein altes Schulheft gefunden.“
„Was haben wir mit einem Personalausweis und einem Schulheft zu tun? Der Finder soll es auf dem Fundbüro abgeben, beziehungsweise gleich dem Besitzer, da er schon den Ausweis hat.“
„Ganz so einfach ist es nicht, Anaïk, der Ausweis gehört Sema Le Guiffant!“
„Was sagst du? Der Ausweis gehört dem verschwundenen Mädchen?“
„Ja, und das Schulheft allem Anschein nach dem Vater des Mädchens. So wie es aussieht, hat das Mädchen die Sachen dort verloren.“
Jetzt war Anaïk völlig präsent. Vergessen waren die dummen Formulare und ihre Verärgerung über Nourilly.
„Wir müssen uns die Gegend persönlich ansehen. Die Spurensicherung solle ebenfalls sofort an den Ort kommen. Vielleicht sollten wir die ganze Umgebung mit Hunden absuchen lassen.“