plötzlich neben ihnen und bat Frau Bösch in sein Büro, die peinlichst berührt und dankbar entschwand. Bestürzt überlegte Silke, wie lange der Kollege wohl dem Gespräch gelauscht hatte, als der ihr süffisant ins Gesicht grinste und sie im Befehlston anwies, ihm und seiner Mandantin frischen Kaffee und Gebäck zu bringen.
Perplex, starrte sie auf die geschlossene Tür.
Die Empörung brachte sie schnell zur Besinnung. Wie konnte er es wagen, sie so herablassend zu behandeln? Als wäre sie seine persönliche Sekretärin! Was bildete sich dieser geschniegelte Affe eigentlich ein? Der arbeitete gerade mal ein paar Wochen in der Kanzlei und benahm sich wie der neue King, dabei hatte er auch nur das erste Staatsexamen, dieser eingebildete Gockel!
Sollte er sich doch selber um seinen Kaffee kümmern.
Morgen würde sie mit dem Rahmann noch ein Hühnchen rupfen, aber jetzt hatte sie Wichtigeres zu tun.
Hastig räumte sie ihren Schreibtisch auf, griff nach dem Autoschlüssel und verließ mit eiligen Schritten die Kanzlei. Die schwere Tür fiel dröhnend ins Schloss, als Silke bereits zu ihrem Wagen eilte. Feindselig starrte sie zu dem neben ihr geparkten schwarzen Sportwagen und unterdrückte den starken, aber kindischen Wunsch, mit ihrem Schlüsselbund einen fetten Kratzer in die Seitentür zu ritzen.
Genüsslich stellte sie sich vor, was für Augen der Rahmann angesichts dieser schändlichen Entweihung seiner geliebten Protzkarre wohl machen würde!
Bevor sie noch in Versuchung kam, knallte sie schnell die Fahrertür zu, startete den Motor und brauste mit ihrem alten Mercedes davon.
***
Ungeduldig blickte Charlotte aus dem Fenster. Seit Stunden wartete sie auf den Käufer und ärgerte sich über die verlorene Zeit. Sie hatte wirklich Besseres zu tun!
Pavel hatte längst mit der Wartung der Wasserpumpen begonnen. In der Nacht war die Beregnung ausgefallen, weil sich die Filter wieder mit Wasserpflanzen aus den Wettern zugesetzt hatten. Sie sollte dort draußen sein und Pavel helfen, die Arbeit machte sich schließlich nicht von allein. Marek und Georg waren in aller Früh zum Gemeinschaftslager gefahren, um Charlottes vorjährige Ernte zu sortieren, die in den Kühlhäusern der Firma Elbe Obst lagerten. Es wurde höchste Zeit, das letzte Obst an den Großhändler zu liefern, bevor es verdarb. Seufzend blickte sie zur Uhr.
Warum rief der Kerl nicht wenigstens an, wenn er sich schon verspätete? Entweder konnte er den Hof nicht finden oder er steckte im Stau.
Sobald die Baumblüte beginnt, wälzen sich wahre Touristenströme durch das Alte Land. Die Straßen werden durch unzählige Reisebusse und Autos verstopft, die dann mit vierzig Stundenkilometern über die Landstraßen zuckeln. Gerade während des Feierabendverkehrs und an den Wochenenden ist dieser Zustand kaum ertragbar und eine echte Geduldsprobe, so kommt es durch riskante Überholmanöver immer wieder zu schweren Unfällen. Für viele Bauern stellt dieser Fremdenverkehr einen Segen dar, und sie haben sich früh auf die Ausflügler eingestellt. In den Cafés gibt es Drängeleien um die besten Sitzplätze, und der Absatz von Obst und Gemüse steigt. Es ist hier auf dem Land üblich, die Waren auch auf den Höfen zu verkaufen. Die Städter sind geradezu verrückt nach eingekochten Marmeladen und hochprozentigen Obstbränden. Wer ein Gespür für gute Geschäfte und entsprechende Mittel zur Verfügung hat, baut den Verkaufsstand der Scheune zum Hofladen aus, wo man neben selbstgemachten Torten auch Altländer Kochbücher, Weidenkörbe und allerlei Nippes erwerben kann. Selbst die Patenschaft für einen Obstbaum kann man kaufen.
Charlotte blieb diese Einnahmequelle verwehrt, dafür lag ihr Hof zu abgelegen. Es war ihr nur recht, dass sich die Blüte dem Ende näherte und nun wieder etwas mehr Ruhe einkehrte.
Von ihrem Käufer fehlte jede Spur, doch Anne brauste statt seiner die Einfahrt herauf und winkte fröhlich ins Fenster. Die alte Dame freute sich über ihren Besuch.
Neugierig steckte Anne ihre Nase in den Kochtopf, dem der verlockende Duft von Frikadellen entstieg. Zufrieden sah Charlotte zu, wie das Mädchen sich ihr Essen schmecken ließ. Zwischen den Bissen erzählte ihr Anne aufgeregt vom Theaterstück, sie war sehr stolz über ihre Hauptrolle, und Charlotte freute es aufrichtig.
„Wenn du Lust dazu hast, kann ich deinen Text abfragen.“ „Das wär echt super. Glaubst du, ich schaff das?“ „Warum denn nicht? Man kann alles schaffen, wenn man will! Und wenn ich dir so zuhöre, willst du es ja wohl unbedingt!“
Anne strahlte über das ganze Gesicht und berichtete gleich, warum sie am gestrigen Tag nicht hatte kommen können. Charlotte schmunzelte: „So, so. Er hat also dein Fahrrad repariert, ganz selbstlos. Und ist er süß?“
„Ich kenn ihn ja gar nicht richtig, doch ich finde, er ist ganz nett. Aber süß? Mmh. Weiß nich!“ „Na, vielleicht findest du das noch heraus.“ Als es an der Tür klingelte, sprang Charlotte sofort auf.
„Ha. Das wird er sein. Anne, drück mir die Daumen, dass ich den Fendt heute verkauft kriege.“ Zum Abschied bekam Charlotte einen Kuss auf die Wange gehaucht, und schon fegte Anne hinaus, stürzte an dem Wartenden vorbei, der erschrocken zur Seite sprang.
„Meine Enkelin“, erklärte Charlotte ohne weitere Begrüßung.
„Sie kommen wegen des Traktors?“ „Albert Schneider aus Schleswig, wir hatten telefoniert.“
Charlie hatte die Annonce für den Fendt erst letzte Woche in die Zeitung gesetzt und war überrascht gewesen, dass sich sofort jemand auf die Anzeige meldete.
„Ich habe Sie mittags erwartet, gab's Probleme?“ „Kann man so sagen. Von einem Stau zum nächsten, und überall wird gebaut. Für die letzten zwanzig Kilometer hab ich fast eine Stunde gebraucht. Ganz schön viel Verkehr bei euch!“ „Leider!“
Verdammte Touristen, dachte Charlotte.
„Da geht`s lang!“
Sie wies zum Schuppen hinüber, in dem es etwas wüst aussah, da hier nicht nur die Maschinen standen, die oft benötigt wurden, sondern auch diverse Ersatzteile, Werkzeuge und Wasserschläuche lagerten. Schneider schien es nicht zu stören, er hatte nur Augen für den Traktor. Mit prüfendem Blick ging er um das Gefährt herum, beklopfte die Reifen, legte sich unter den Schlepper und besah sich die Achsen. Danach startete er den Trecker, überprüfte die Hydraulik, fuhr eine Runde auf dem Hof und ließ ihn laufen.
Pavel kam über den Hof marschiert, Charlotte schickte ihn per Handzeichen fort, allerdings machte ihr Vorarbeiter keine Anstalten zu verschwinden. Breit grinsend lehnte er sich an die Holzwand, um das Schauspiel zu genießen. Er war weit genug entfernt, sie nicht zu stören, aber in Hörweite, dass ihm auch ja kein Wort entging. Sichtlich zufrieden beendete Schneider seine Inspektion, nickte selbstvergessen mit dem Kopf und machte sein Angebot.
„Soweit ich das sehen kann, scheint alles in Ordnung zu sein, ich gebe Ihnen dreitausend dafür.“ Lächelnd sah Charlotte ihn an. Versuchte er sie doch glatt übers Ohr zu hauen. Na, der wird sich gleich wundern.
„Das gute alte Dieselross hier hat 20 PS, Heckhydraulik, Ackerschiene und Zapfwelle. Der Fendt läuft sauber im Einzylinder, es gibt keinerlei Probleme mit dem Getriebe, das schaltet einwandfrei. Ein wirklich zuverlässiger Schlepper. Bisher hat er mich noch nie im Stich gelassen, egal ob Sommer oder Winter, der springt immer an. Er hat noch fast ein Jahr TÜV, und selbstverständlich bekommen Sie alle Papiere für den Traktor ausgehändigt. Der ist mindestens viertausend wert!“
Herausfordernd schaute sie den erstaunten Mann an und fügte gutmütig schmunzelnd hinzu: „Sie müssen wissen, mein Vater hat den Traktor 1953 gekauft, und seitdem ich alt genug bin, fahre ich ihn auch.“ „Nichts für ungut. Einen Versuch war es wert. Viertausend, sagten Sie? Wie wär‘s? Ich gebe Ihnen drei fünf, in bar! Das ist eine Menge Geld, und Sie wären den Trecker sofort los!“ „Drei acht, in bar, und wir machen beide ein gutes Geschäft!“
Schneider überlegte kurz, dann schlug er in die Hand ein, die Charlotte ihm reichte.
„Abgemacht!“
Sie nickte zustimmend.
„Warum