Stefan P Moreno

Die Legende von der Siebener Parabel


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zu sehr war er mit seinen Gedanken beschäftigt. Was würde er in den nächsten Tagen noch alles über seine Mutter erfahren? Eine gewöhnliche Frau war sie nicht gewesen, aber warum hatte sie ihn damals ins Kinderheim gegeben? War der Grund dafür wirklich nur der Tod seines Vaters gewesen oder gab es da noch etwas anderes? Ihm kamen Zweifel, ob er wirklich alles über seine Mutter erfahren wollte. In letzter Zeit, hatte er sich immer wieder gefragt, wie es ihr wohl in all den Jahren ergangen war und wohin sie das Schicksal verschlagen hatte. Madame Faunette übte den gleichen Beruf wie seine Mutter aus und sie waren befreundet gewesen. Wo aber hatte seine Mutter in den letzten Jahren gelebt?

      „Ja, ich will alles über sie erfahren“, sagte er zu sich selbst. „Ich möchte wissen, wer sie war und wie sie gelebt hat! Vielleicht hilft es mir, mein Leben besser zu verstehen.“

      Madame Faunette war ihm eigentlich sehr sympathisch. Sie strahlte eine außergewöhnliche Aura aus. Auch glaubte er, wahrgenommen zu haben, dass zwischen ihnen eine ganz besondere Verbindung bestand, die er sich aber noch nicht erklären konnte. Der Waldweg machte eine Biegung und vor ihm breitete sich ein großer See aus. Er setzte sich an das Ufer und starrte auf das Wasser. Es war schon nach Mittag und die Sonne brannte wieder unerbittlich, aber die Bäume spendeten an einigen Stellen genug Schatten. Eine bunte Schar von Vögeln zwitschert eifrig durcheinander und flog über dem Wasser hin und her. Alles war hier so idyllisch und friedlich, dass sein Gemüt sich langsam wieder beruhigte. Eine fast meditative Stille umgab ihn. Er streckte seine Beine aus, legte sich auf den Rücken, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte in den Himmel.

      Nachdem Harlekin gegangen war, setzte sich Miranda wieder an den Tisch. Sie hatte gestern eine lange Reise hinter sich gebracht und freute sich, dass Federico gekommen war. Als sie gestern in Spanien angekommen war, wusste sie schon, dass Federico taubstumm war, denn Madame Faunette hatte ihr das in ihrem letzten Brief mitgeteilt. Federico hatte mit seinem Hund, Barneby, und einem Pferdewagen vor dem Bahnhof gestanden und sie bei ihrer Ankunft so herzlich angelächelt, dass ihre anfänglichen Bedenken sofort verschwunden waren. Mit dem Pferdewagen dauerte die Fahrt knapp zwei Stunden bis San Diagos.Wegen der Dunkelheit gestaltete sich die Kommunikation zwischen ihnen schwierig, da Federico die Sätze nicht von ihrem Mund ablesen konnte. Dafür war Barneby umso anhänglicher gewesen. Er saß die ganze Zeit zwischen ihren Beinen und war nicht eine Sekunde von ihr gewichen. An der Waldlichtung hatte Federico sie dann abgesetzt und ihr mit großen Gesten die Richtung zum Grundstück gewiesen. Barneby hatte sie bis zur Haustür begleitet und dann sofort kehrt gemacht. Als sie vor Wochen den Brief mit der Einladung von Madame Faunette erhalten hatte, war sie sehr überrascht gewesen. Es stand in dem Brief nur darin, dass sie wegen einer dringenden Angelegenheit nach Spanien kommen möge. Spesengeld und Reisetickets waren dem Brief beigelegt gewesen.

      Sie hatte vor kurzem in Schweden ihr Studium in Deutsch, Englisch und Spanisch, sowie den Kulturwissenschaften abgeschlossen, aber ihre Bewerbungen als Lehrerin an Privatschulen blieben aus nicht erklärbaren Gründen erfolglos. Also nahm sie die Einladung gerne an. Sie wollte immer schon mal nach Spanien, da sie sich für die unterschiedlichsten Kulturen interessierte.

      Plötzlich stieß Lord Leroy einen Schrei aus und flog direkt auf Barneby zu, der sich vor die offene Verandatür gelegt hatte. Der Papagei landete auf dem Kopf des Vierbeiners. Der ließ es einfach geschehen. Miranda musste lachen, da es einfach zu komisch aussah. Barneby schaute sie mit seinen braunen, treuen Augen an und gab ein tiefes Seufzen von sich. In diesem Moment hörte sie die Stimme von Madame Faunette, die - gefolgt von Federico - die Wendeltreppe herunterkam.

      „Wir müssen noch einige Vorbereitungen treffen für heute Abend, Federico. Es muss noch das Fleisch vom Bauern geholt werden, das ich vorbestellt habe, und ich wäre dir dankbar, wenn du den Grill aufstellen würdest. Ach, schau' dir Barneby und Leroy an, die beiden sind unzertrennlich. Wahre Liebe eben!“Ah, da ist ja Miranda. Ich freue mich ja so sehr, dass Sie hier sind. Federico hat mir gerade anvertraut, dass er ganz begeistert von Ihnen ist. Also passen Sie gut auf sich auf, denn er kann ein richtiger Charmeur sein und in jungen Jahren war er ein richtiger Weiberheld!“

      Federico grinste breit, so dass seine Zahnlücken sichtbar wurden, denn er hatte alles von Sophies Lippen abgelesen.

      „Federico würde sich sicherlich freuen, wenn Sie ihn zum Bauern begleiten würden, um das Fleisch zu holen. Es sei denn, Sie haben schon etwas anderes vor. Sie könnten bei dieser Gelegenheit gleich San Diagos etwas kennen lernen.“

      Miranda strahlte und sprang vom Stuhl auf:

      „Oh ja, das ist wirklich eine tolle Idee, Madame Faunette!“

      „Sophie, mein Kind, nennen Sie mich Sophie! Ihr könnt dann noch frisches Obst vom Markt mitbringen. Ich habe Federico Geld gegeben. Wenn ihr gegen 18 Uhr wieder hier seid, passt das schon. Nehmt aber Barneby mit, sonst strolcht er hier so alleine herum!“

      Miranda ging zu Federico und hakte sich bei ihm unter.

      „Komm, Federico, lass uns shoppen gehen“, sagte sie sanft zu ihm. Federico grinste über sein ganzes Gesicht und ließ sich von Miranda zur Eingangstür ziehen.

      „Komm, Barneby, wir gehen Gassi!“

      Der Hund schüttelte Lord Leroy ab und folgte den beiden. Lord Leroy kreischte beleidigt hinter ihm her.

      „Viel Spaß, ihr zwei!“Madame Sophie winkte ihnen nach.

      Harlekin hatte den gleichen Weg eingeschlagen, den Joaquin zuvor gegangen war. Er war bestens gelaunt und freute sich auf die nächsten Tage. Es war einfach fantastisch, so eine Frau wie Miranda kennen zu lernen und auch mit Joaquin kam er bestens klar. Das war schon eine kunterbunte Truppe, die da zusammen gekommen war, ganz nach seinem Geschmack. Nur Major Kamikaze bereitete ihm Kopfzerbrechen. Er war der einzige, der bisher mit ihr Kontakt gehabt hatte und spätestens heute Abend würden wohl auch die anderen Bekanntschaft mit ihr schließen. Warum nur hatte Madame Faunette sie eingeladen? Er kam an die Waldbiegung und sah Joaquin im Gras liegen. Es hatte den Anschein, als ob er schlief. Langsam ging er auf ihn zu.

      „Hey, Joaquin, schläfst du?“ fragte er leise.

      Joaquin drehte sich zu Harlekin um. „Nein, ich schlafe nicht. Ich denke nur nach, aber du störst mich nicht.“

      Harlekin setzte sich neben ihn.

      „Hat dich wohl ein bisschen umgehauen, was du über deine Mutter erfahren hast. Ich meine, ich kenne dich ja noch nicht so richtig und ich weiß nicht, was der Grund ist, warum du nicht bei deiner Mutter groß geworden bist, aber wenn du über irgendwas reden möchtest, stehe ich dir gerne zur Verfügung. Manchmal tut es ganz einfach gut, sich etwas von der Seele zu reden und es ist bei mir gut aufgehoben, wenn du verstehst, was ich meine.“

      „Danke, Harlekin, das ist eine feine Geste von dir. Weißt du, wir sind gestern erst hier angekommen und dennoch ist schon so viel passiert. Ich werde hier in Spanien mit meiner Vergangenheit konfrontiert. Ich wusste bis heute so gut wie gar nichts über meine Mutter und werde ihr auch nie mehr begegnen. Es ist schwierig, denn eigentlich ist sie für mich ein fremder Mensch und andererseits dennoch meine Mutter. Meine Gefühle fahren seit gestern Achterbahn. Ich werde eine Erbschaft erhalten von einer Person, die ich mein Leben lang missen musste und wer weiß, was ich noch alles erfahren werde. In der Fantasie habe ich mir immer ein Bild von meiner Mutter gemacht und ich habe Angst, dass ich ein falsches Bild von ihr hatte!“

      „Das kann ich gut verstehen“, sagte Harlekin, „ich hätte damit auch Probleme. Aber vielleicht solltest du versuchen, es positiv zu sehen. Du hast jetzt die Möglichkeit, endlich die Wahrheit über deine Mutter zu erfahren und den Grund dafür, warum du weggegeben worden bist! Die Vergangenheit kannst du nicht mehr ändern, aber vielleicht hilft sie dir für die Zukunft.“

      Beide schauten auf das Wasser und schwiegen einen Moment.

      „Es gibt noch etwas, das mich beschäftigt, Harlekin. Ich glaube nicht, dass wir alle zufällig hier zusammen gekommen sind. Meine Intuition sagt mir, dass es irgendeinen Grund gibt, der uns alle gemeinsam betrifft. Warum sind wir alle in Abständen von drei Stunden angereist? Was möchte Madame Faunette von uns? Will sie uns die Karten legen, uns etwas voraussagen? Wir sind alle vier nicht ganz durchschnittliche