Anne Pallas

Lust auf wehrlose Hexen


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erklärte ich ehrlich.

      „Hatte er Geheimnisse vor Ihnen?“

      „William? Nein, oder ja. Ich weiß es nicht, es führte ein sehr erfolgreiches Leben als Unternehmer.“

      „Aber davon, dass sich die Bestie mit ihm in Verbindung gesetzt hatte, hat er Ihnen nichts erzählt?“

      „Wahrscheinlich hielt er es nicht für wichtig“, gab ich zurück.

      Tolbert machte eine alles umfassende Handbewegung. „Wissen Sie, wer das hier alles erbt? Ich meine natürlich auch die Fabrik und so weiter.“

      „Keine Ahnung. Vielleicht sein Halbbruder David Mowbray. Ich nehme an, dass das von William in seinem Testament festgelegt wurde.“

      „Existiert ein solches Testament?“

      „Ich denke schon. Er hat mit mir darüber nie gesprochen.“

      „Weshalb nicht?“

      „Wer von seinem Testament spricht, denkt an den Tod“, antwortete ich. „Wenn William und ich zusammen waren, verschwendeten wir keinen Gedanken ans Sterben. Wir befassten uns mit dem Leben.“

      „Waren Sie oft mit Ihm zusammen?“

      „Sooft es ging.“

      „Was werden Sie nun machen, Miss Pallas?“

      Ich zuckte die wohlgerundeten Schultern. „Das Leben geht weiter. Ich werde lernen müssen, ohne ihn zurechtzukommen.“

      „Schien ihnen Sir Mowbray in letzter Zeit ein wenig verändert? Ich meine, wir müssen doch annehmen, dass die Bestie ihn angerufen oder sonst irgendwie Kontakt mit ihm aufgenommen hat. Hat ihn das denn kein bisschen beeindruckt?“

      „Wenn es ihn beeindruckt hätte, hätte er gewiss darüber mit mir gesprochen, Inspector.“

      „Als es passierte, waren Sie wo?“

      „Im Bad. Das sagte ich bereits.“

      „Ja, natürlich.“

      Tolbert nahm seine Unterlippe nachdenklich zwischen Daumen und Zeigefinger.

      „Sie waren aber doch zuvor – also bevor Sie ins Bad gingen – mit Sir Mowbray hier in diesem Raum.“

      „Ja.“

      „Fühlten Sie sich von irgendjemandem beobachtet? Ich vermute, der Mörder hat durch diese Tür dort hier hereingesehen, ehe er nach nebenan hing, um die Terrassentür, durch die man in die Bibliothek gelangt, zu öffnen. Wie auch immer er das gemacht hat.“

      „Ich habe niemandes Nähe gefühlt“, gab ich zur Antwort.

      „Und das Öffnen der Tür?“

      „Ich stand unter der Dusche.“

      „Da hört man so etwas begreiflicherweise nicht“, sagte der Inspector und nickte. „Waren Sie zufällig auch mit Elliot Wesley und George Lynch bekannt, Miss Pallas? Ich meine, die Welt ist klein. Unmöglich ist so etwas doch nicht.“

      „Ich kenne diese beiden Namen nur aus der Zeitung.“

      Tolbert stellte noch weitere Fragen, und zwar im ruhigen und gelassenen Ton. Er schien sich die Antworten niemals richtig anzuhören, und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass gerade dieser unscheinbare Polizist ein ganz gerissener Fuchs war, der haargenau wusste, was er wollte, und der sein Ziel, wenn er es sich mal gesteckt hatte, unbeirrbar ansteuerte.

      Nachdem der Inspector keine weiteren Fragen an mich hatte, bot er mir an, mich nach Hause zu bringen, aber ich lehnte dankend ab.

      Ein telefonisch angefordertes Taxi brachte mich nach Soho, wo die CEDIS Behörde ein kleines Apartment besaß, dass die Agenten benutzen durften.

      Es ist eine alte Weisheit, dass nach Regen Sonnenschein kommt.

      Am nächsten Morgen schien die Sonne vom postkartenblauen Himmel, als wollte sie London vergessen machen, was für ein Sauwetter abends zuvor geherrscht hatte.

      Als ich aus den Federn kroch, fühlte ich, dass der Schmerz in meiner Brust einem stumpfen Gefühl gewichen war. Die Wunde war zwar noch offen, aber sie blutete nicht mehr.

      Robin Barnes rief mich um neun Uhr an, und teilte mir mit, dass er mit Hendrik Hudson in London angekommen ist. Wir verabredeten uns zum Mittagessen in einem netten Restaurant am Rande der Stadt.

      Ich nahm eine ausgiebige Dusche, kleidete mich an, und verließ die Wohnung. Punkt zwölf Uhr stoppte ich den Mietwagen auf dem restauranteigenen Parkplatz, stieg aus und betrat das Restaurant.

      Auf dem Boden lag ein roter Teppich. An den Wänden hing eine Menge Zinngeschirr als Dekoration. Die Kellner trugen grüne Wamse und weite schwarze Hosen. Wohlgerüche nach vielerlei Speisen, Stimmengemurmel, Gläsergeklirr, Geklapper von Bestecken – das alles schaffte eine ausgezeichnete Atmosphäre.

      Ich brauchte nicht lange zu suchen. Robin Barnes, blond, blauäugig, athletisch, war von seinem Stuhl hochgeschnellt, als ich das Lokal betreten hatte. Er kam mit einem breiten Grinsen auf mich zu.

      „Hallo, Anne, lange nicht gesehen, was?“

      „Hallo, Robin!“

      „Wie geht’s?“

      „Nun ja ...“

      „Julie Waldenfels hat es uns erzählt. Darf ich sagen, dass es uns leidtut?“

      „Sag’s nicht zu oft, sonst fange ich an zu heulen“, erwiderte ich.

      „Kopf hoch, Anne, wir kriegen das Schwein!“

      Robin hakte sich bei mir ein und brachte mich an den Tisch, an dem Hendrik Hudson saß. Er war eher kleingewachsen, sehr schlank und sehnig. Seinen flinken Augen konnte nichts entgehen. Er erhob sich und sagte, wie sehr er sich freute, mich mal wiederzusehen.

      Wir nahmen Platz. Während Robin und Hendrik die Speisekarte einmal hinauf und dann wieder hinunter aßen, begnügte ich mich mit einem kleinen Frühstück.

      Nach dem Essen tranken wir Wein. Und Robin legte die Unterlagen, die er von Julie Waldenfels erhalten hatte, auf den gesäuberten Tisch.

      „Hier drin steht alles, was die Internationalen Behörden, und insbesondere Scotland Yard, über die Bestie weiß“, sagte Robin und klopfte mit seiner festen Hand auf die Mappe.

      „Darf ich mal ansehen?“, fragte ich.

      „Selbstverständlich“, antwortete er und reichte mir die Papiere hinüber.

      „Julie Waldenfels hat uns aufgetragen, auf dein Kommando zu hören. Sag uns, was wir tun sollen. Wir heben für dich die Welt aus den Angeln, Anne.“

      Thalon hatte eine ausgezeichnete Nacht verbracht. Ein traumloser Schlaf hatte den Mörder erquickt. Er hatte ausgiebig gefrühstückt und war dann seinen „geschäftlichen Interessen“ nachgegangen. Einige Telefonate, für diesen Tag vorgesehen, mussten absolviert werden. Einige E-Mails mussten beantwortet werden.

      Anschließend hatte die Bestie während einer kleinen Verschnaufpause Zeit über all seine Probleme nachzudenken, die ihn gerade beschäftigten.

      In den Nachrichten war bereits die Meldung von Sir William Mowbrays Tod durchgekommen. Und die Zeitungen brachten erstmals längere Artikel über die mysteriöse Mordserie.

      Langsam begann die böse Saat aufzugehen, die der Meister gesät und er als Killer ausgeführt hatte!

      Angst ist eine Pflanze, die ungemein schnell wächst. Der Mörder war sicher, dass ihm die nächsten Personen, die er zur Kasse bat, keine Schwierigkeiten mehr bereiten würden. Der Mord an Mowbray war für den Killer eine ungemein glatte Angelegenheit gewesen. Da er sich bereits vor dem Mord ausführlich mit der Person des Opfers befasst hatte, wusste er zwangläufig auch über Anne Pallas Bescheid.

      Allein der Gedanke an das Mädchen beunruhigte den Mörder ein wenig. Er vermochte nicht zu sagen, weshalb. Er verspürte