erzählt sie meiner Frau, daß sie, meine Frau, auf dem Campus viel Gerede über sie, Gerda Unnithan, und Metha hören werde. Deshalb zieht sie es vor, meine Frau selbst zu informieren, daß Metha und sie miteinander ein vertrautes Verhältnis haben. Sie hat Metha bereits in den Niederlanden gekannt.
Unnithans laden uns zum „Dinner“ ein. Sie bewohnen einen Bungalow auf dem Campus. Sie haben eine kleine, gerade schulpflichtig gewordene Tochter. Ein weiteres Ehepaar kommt zum „Dinner“. Ein sehr junges Ehepaar aus Deutschland. Jansen heißen sie. Er unterrichtet Deutsch an der Universität. Von der Universität wird eine Wohnung auf dem Campus zur Verfügung gestellt. Sein Gehalt kommt ganz vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Warum? Wie soll man sonst auswärtige Kulturpolitik zur Absicherung der wirtschaftlichen Interessen betreiben? Diese „Kulturbotschafter“ kommen in Kreise hinein, die Botschaftsangehörigen oder Auslandskorrespondenten verschlossen sind. Schließlich: Information ist Macht. Und Machtabsicherung geht leider nicht zum Nulltarif. Nur die Steuerzahler dürfen den Zusammenhang nicht erkennen. Für sie heißt das Ganze „Entwicklungshilfe“.
Frau Jansen hat keine offizielle Funktion. Ehepaar Jansen hat einen VW–Käfer als Ausstattung bekommen. Sie fährt den Wagen viel herum und macht sich nützlich für die Leute auf dem Campus, die wichtig sind. Gleich an diesem Abend übermitteln die Jansens uns eine Einladung von einem „Nawab“, einem muslimischen „Prince“, der großes Interesse für deutsch–indische Begegnungen hat und uns gern kennenlernen möchte. Was sollen wir gegen diese Einladung haben? Wir besuchen den Nawab. Sein Domizil ist ein ansehnlicher Palast. Wie alle die ehemaligen „Princes“ besitzt auch er zwar keine Ländereien mehr, aber doch das Privileg einer konvertierbaren „Schatulle“, die auch die zollfreie Einfuhr europäischer Spirituosen ermöglicht. Das Ehepaar Jansen partizipiert an diesem Privileg. An Whisky. Dies ist der Preis für die Begegnungen mit diesem Nawab, der ansonsten eher langweilig ist. Wir sind schockiert. Kulturschock? Nein. Wir sind nicht ein weiteres Mal seiner Einladung gefolgt.
Ein unerwarteter Vorgang nimmt in den nächsten Tagen die meiste Zeit in Anspruch. Unnithan erzählt mir eine durchaus glaubhafte Geschichte. Als „Chairman“ der „World Sociologist Association“ (WSA) habe König ihn anläßlich seines Besuchs in Köln zum „World Sociology Congress“ Anfang September 1966 im französischen Evian eingeladen. Unnithan solle dem Weltkongreß über die Soziologieausbildung in Indien berichten. König und Scheuch hätten ihm die Übernahme aller seiner Kosten durch die WSA versichert. So habe er nur Dienstreiseurlaub genommen. Nun teile ihm König mit, daß der WSA nicht in der Lage sei, Unnithans Reisekosten zu übernehmen. WSA übernähme überhaupt keine Reisekosten. Daraufhin habe Unnithan bei der Regierung just mit diesem Hinweis für sich die Reisekosten beantragt. So weit so gut.
Nun soll aber bekannt geworden sein, daß der Head of the Department der Soziologie der Universität Agra, Saxena, bereits von der WSA sein Ticket erhalten hätte, obwohl er nicht als Referent eingeladen worden sei und auch kein Arbeitspapier vorlegen wird. Nun stünde Unnithan praktisch als Lügner und Betrüger da, weil er ja König und Scheuch glaubte und vertraute und seinen Antrag gegenüber der Regierung gerade mit dem Hinweis begründete, daß die WSA keinem die Reise bezahlte.
Auf seinen diversen, auch eingeschriebenen, Briefen, habe weder König noch Scheuch geantwortet. Er hätte am 12. Juli 1966 auch an mich geschrieben. Ich war aber schon unterwegs nach Indien. Ich sollte nun als einzig greifbarer „Vertreter der Kölner Universität“, die peinliche Situation glattbügeln, indem ich den beiden Herren klarstellte, in welch unmögliche Lage sie Unnithan gebracht hätten.
Die Geschichte kommt mir glaubhaft vor. Seit unserer Ankunft in Jaipur wissen wir, daß der ranghöchste Kollege nach Unnithan im Department, Dr. Yogendra Singh, von seinen Lehrveranstaltungen freigestellt worden ist, weil er für Unnithan ein Arbeitspapier für den Weltkongreß verfaßt. Ich gerate unter Druck. Wie soll eine künftige Zusammenarbeit der beiden Universitäten gedeihen, wenn Unnithan öffentlich so blamiert wird? Ich folge der Anregung Unnithans, schildere König die peinliche Situation und bitte ihn, dringendst die Flugkarte für Unnithan zu organisieren. Telefonisch erreiche ich König nicht, weil er wegen des Kongresses viel unterwegs ist. Unnithan hängt mir ständig in den Ohren. Fast jeden Tag muß ich die neuesten „Nachrichten“, Briefe oder Telegramme auf Unnithans Kosten nach Köln senden. Schließlich kommt die Flugkarte doch.
Unnithan bittet mich vor seiner Abreise, das Arbeitspapier zu redigieren. Ich kann seine Bitte nicht abschlagen. Wieder denke ich nicht über das Vorgefallene nach, weil ein Ereignis nach dem anderen mich überfällt bzw. mich beschäftigt hält. Vielleicht habe ich mich aber auch gern beschäftigt halten lassen. Heute weiß ich, daß das Sichselbsteinreden, keine-Zeit-zum-Nachdenken-haben schon System hat.
Viele Fragen stelle ich nicht. Nach welchem Verfahren werden die Teilnehmer eines solchen Weltkongreßes bestimmt? Wo ist die Meßlatte für die Qualität der Arbeitspapiere oder der Referate? Kommt es nur darauf an, daß auch einige exotische Personen unterschiedlicher Herkunft daran teilnehmen? Welche wirkliche Funktion haben Arbeitspapiere überhaupt? Wer hätte über das Soziologiestudium in Indien berichtet, um bei der Posse mit den Reisekosten zu bleiben, wenn Unnithan nicht auf Kosten der deutschen Steuerzahler in Köln aufgetaucht wäre? Warum erging keine Einladung an eine der älteren Universitäten wie die in Benares, Bombay, Delhi, Kalkutta oder Madras? Und wer ist dieser Saxena? Wieso wird die blosse Teilnahme Saxenas voll finanziert? Läuft das alles wirklich zum Nulltarif? Diese oder viele Fragen wie diese hätte ich stellen können oder gar stellen müssen. In der Hektik nehme ich nicht einmal Anstoß daran, daß Unnithan's Papier von einem „ghost writer“ geschrieben wird. Lehrveranstaltungen fallen aus. Heute weiß ich, daß die Hektik eine billige Ausrede war.
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Das ständige Wohnen im Gästehaus ist beschwerlich. Auch wenn die Räumlichkeiten großzügig sind, leben wir doch aus dem Koffer. Leben aus dem Koffer bedeutet auch Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Hinzu kommt noch der Servierrhythmus der Mahlzeiten und die Hygiene in der Küche. Wir trinken das abgekochte Wasser und essen nichts, was nicht heiß gekocht ist. Dennoch haben wir Durchfälle. Also bemühe ich mich, baldmöglichst eine Dienstwohnung zu bekommen, was mir von der Universitätsleitung zugesagt worden war, sobald eine Behausung frei ist!
Nach der Unabhängigkeit Indiens im Jahre 1947 sind Universitäten wie Pilze gewachsen. Universitäten mit unterschiedlicher Ausstattung, mit unterschiedlicher Zusammensetzung der Fächer, mit unterschiedlicher Qualität der Ausbildung. Statuten aller Universitäten schreiben vor, daß alle Stellen nationenweit ausgeschrieben und von einem „Selektion Board“ – vergleichbar mit einer Berufungskommission deutscher Universitäten mit dem Unterschied, daß diese stets Gelehrte anderer Universitäten hinzuziehen müssen – ausgewählt werden müssen. Als Vorsorgemaßnahme gegen die Vetternwirtschaft. Nun, wo Vetternwirtschaft droht, entsteht auch Vetternwirtschaft. Den gesetzlichen Bestimmungen zum Trotz. So sind die „Selection Boards“ auch die „Handelsplätze“ zum gegenseitigen Vorteil. Dies führt nicht zur Qualitätsverbesserung, dient aber zur Erhöhung der Einkünfte der agileren Universitätslehrer. Sie lassen sich berufen, haben aber die gesetzliche Möglichkeit, innerhalb eines Jahres in die alte Universität zurückzukommen. Mit höherem Gehalt, versteht sich. Und sie behalten ihre Dienstwohnung.
So war uns klar, daß wir bald eine Zuweisung bekommen werden. Also warten wir geduldig. Trotz unseres Lebens über die finanziellen Verhältnisse, trotz des Aus-dem-Koffer-lebens, trotz der Durchfälle, trotz der Reglementierungen möchten wir jene fast drei Monate im Gästehaus der Universität nicht missen. Wir begegnen Menschen, denen wir sonst nicht begegnet wären. Es ist ein schneller Durchgangsverkehr. Abends ankommen. Am übernächsten Morgen weiterreisen. Nach dem Frühstück. Wir begegnen ihnen beim Abendessen, später, wenn es kühl und dunkel wird, auf dem Rasen beim Kaffee oder bei einem kalten Getränk, am folgenden Tage jeweils bei und nach den Mahlzeiten.
Die indischen Gäste sind meist Würdenträger, geladen zu wichtigen „Meetings“. Im Speisesaal bestellen sie nichts selbst. Sie lassen bestellen. Durch den „PA“, den persönlichen Assistenten. Wenn die PAs noch nicht im Raum sind und der Kellner sich erkundigt – wie bei den ausländischen Gästen und auch wie bei uns –, ob Sie Tee oder Kaffee möchten, antworten sie nicht einmal. Der Kellner wartet verdutzt