Rainer Rau

Mobbing Jäger


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Antwort abzuwarten, auf.

      Der Richter musste sich setzen. Seine Beine waren plötzlich wie Pudding.

      Was war das? Eine Entführung? Der Entführer seiner Tochter wartete auf ihn in seiner eigenen Wohnung? Warum? Das war einmalig in einem Entführungsfall.

      War das ein Scherz? Wenn nicht, was wollte er? Sicher Geld! Aber so dilettantisch? Ein Anfänger? Gefährlich? Anfänger können gefährlich sein. Er wollte Gewissheit. Er musste seine Frau anrufen. Aber wenn er nach Hause kommen sollte und dort anrief, bekam der Entführer, wenn es ihn wirklich gab, dies ja mit.

      Egal – er musste es versuchen. Er wählte seine Telefonnummer.

      Kowalski ließ es dreimal klingeln und hob dann den Hörer ab. Er spürte, dass am anderen Ende der Leitung ein Fisch an der Angel hing.

      Ohne den Richter zu Wort kommen zu lassen, warnte er ihn.

      »Es ist kein Scherz. Kommen Sie sofort. Allein!«

      Der Richter war leichenblass im Gesicht.

      »Was ist mit meiner Tochter? Geht es ihr gut?«

      »Ja. Noch. Aber sie stirbt, wenn Sie sich nicht beeilen. Übrigens, wollen Sie nicht wissen, wie es Ihrer Frau geht?«

      »Doch. Natürlich. Was ist mit ihr?«

      »Sie schläft.«

      Damit unterbrach er die Verbindung. Martin Werbusch versuchte, professionell an die Sache heranzugehen. Schließlich war er Richter.

      »Also«, sagte er sich, »informiere ich die Polizei und es stellt sich als übler Scherz heraus, wäre ich schön blamiert. Informiere ich sie und es ist eine echte Entführung, wäre das sehr gefährlich für meine Tochter. Aber warum wartet der Entführer in meinem Haus? Er muss doch damit rechnen, dass ich die Polizei informiere. Nein, der weiß, dass ich für meine Kleine alles tun werde. Der kennt mich genau! Ich werde die Polizei nicht informieren. Das weiß der Kerl. Wer ist das? Ich muss schnell nach Hause.«

      Er vergaß sein Treffen mit der Anwältin und machte sich auf den Weg. Die Stufen zum Erdgeschoss und die Strecke zu seinem Wagen nahm er in Rekordzeit.

      Rekordverdächtig schnell fuhr er auch mit dem Auto, was zur Folge hatte, dass er stadtauswärts innerhalb des Ortes mit 85 Stundenkilometern von einem der neuen fest installierten Blitzgeräte geblitzt wurde. Das war ihm im Moment jedoch völlig egal. Das konnte er später erledigen. Da hatte er so seine Methoden und Beziehungen.

      Seine Gedanken drehten sich um seine kleine Tochter. Als er an seinem Haus ankam, wurde er von Kowalski aus dem Fenster im 1. Stock beobachtet. Dieser sah mit Genugtuung, dass dem Richter niemand gefolgt war.

      Kowalski lächelte. Na also. Es klappte doch.

      Der Richter öffnete die Haustür und eilte ins Wohnzimmer. Dort sah er seine Frau auf der Couch liegen. Sofort ging er auf sie zu und schüttelte sie an der Schulter.

      »Wach auf! Wie kannst du am hellen Mittag schlafen? Wo ist unsere Tochter? Kannst du nicht auf sie aufpassen?«

      Kowalski kam die Treppe herunter und sah, wie der Richter seine Frau schüttelte.

      »Lassen Sie sie in Ruhe. Sie schläft tief und fest. Ich habe ihr ein Schlafmittel gegeben.«

      Der Richter ließ sie tatsächlich los, drehte sich um und sah Kowalski. Erst auf den zweiten Blick erkannte er ihn.

      »Sie? Sie sind doch der Querulant mit dieser fixen Mobbingidee. Was fällt Ihnen ein?«

      Er ging auf ihn zu und wollte seine Wut, die mittlerweile aufkam, an ihm auslassen. Er hob die Faust.

      Kowalski blieb ruhig.

      »Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun. Es könnte das Ende Ihrer Tochter bedeuten. Setzen Sie sich!«

      Das war ein deutlicher Befehl und er wurde von Kowalski auch sehr deutlich und laut ausgesprochen. Werbusch blickte ihn ungläubig an. Er sah die Entschlossenheit in seinen Augen. Er sah eine tödliche Entschlossenheit.

      Der Richter sank in einen Sessel nieder. Hatte er sich einen Moment lang überlegen gefühlt, so stieg nun wieder eine panische Angst in ihm hoch. Angst um seine kleine Tochter.

      Kowalski holte aus dem Schrank zwei Gläser und schenkte in beide etwas Brandy ein. Er schob ein Glas zu Werbusch hinüber.

      »Trinken Sie, Richter! Werden Sie brauchen.«

      Kowalski trank das Glas aus, während der Richter es nicht anrührte.

      Die Szene hatte für den Richter etwas Abstraktes. Da war ein Mann, der seine Tochter entführt hatte, in seinem Haus und unterhielt sich mit ihm in aller Ruhe und trank einen Brandy.

      »Was soll das? Was haben Sie vor? Wo ist meine Tochter? Was wollen Sie?«

      »Ganz einfach, Richter. Ich will Ihren Tod.«

      Der Richter wurde blass.

      »Was? Warum? Wieso? Warum machen Sie solche Scherze? Ich glaube, es ist an der Zeit, die Polizei zu holen.«

      »Wenn Sie Ihre Tochter umbringen wollen – nur zu! Ich will den Tod meiner Tochter rächen. Sie haben mir nicht geholfen. Sie haben den Schuldigen geholfen. Nun sollen Sie auch sterben. Sie sind auch schuldig.«

      »Aber das ist doch wahnsinnig. Sie sind verrückt. Wollen Sie Geld? Ich habe eine schöne Summe angespart.«

      »Ich will Ihr Geld nicht. Ich will Ihren Tod!«

      Der Richter wurde jetzt böse. Er stürzte sich auf Kowalski und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Dieser wehrte sich nicht. Nach zwei, drei Schlägen ohne Gegenwehr hörte der Richter auf, zuzuschlagen. Er sank wieder in den Sessel und war verzweifelt. Er hielt sich die Hände vor das Gesicht. Tränen rannen nun seinen Wangen hinunter.

      Kowalski wischte sich etwas Blut von der Unterlippe. Sein Auge würde wohl morgen blau unterlaufen. Doch er blieb weiterhin ruhig.

      Er sprach auch ruhig auf den Richter ein.

      »Ich will es Ihnen erklären, Richter. Ihre Tochter liegt in einem abgedichteten Sarg. Der Sauerstoff reicht nur noch für wenige Minuten.«

      Dabei sah er theatralisch auf seine Armbanduhr. Er zog die Flasche mit der blauen Flüssigkeit aus seiner Tasche und stellte sie auf den Tisch.

      »Ich biete Ihnen das Leben Ihrer Tochter für Ihr eigenes an. In der Flasche ist ein starkes Gift. Trinken Sie es, werde ich Ihre Tochter freilassen. Man wartet nur auf meinen Anruf. Trinken Sie es nicht, werde ich es trinken. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Mein Kind ist schon tot. Dann sterben ich und Ihre Tochter. Es tut mir leid um sie. Sie wird aber nicht leiden. Aber Sie selbst werden leiden. So wie ich gelitten habe. Sie werden dann meinen Schmerz verstehen.«

      Er schraubte den Flaschenverschluss auf.

      »Das ist doch Wahnsinn!«

      Der Richter schrie es.

      Kowalski blieb ruhig. Er schaute wieder auf die Uhr.

      »Sie wollen mich also unbedingt töten? Oder wollen Sie mir nur einen gehörigen Schrecken einjagen? Das ist Ihnen gelungen!«

      Kowalski lächelte.

      Der Richter war plötzlich verunsichert. Wollte er ihn am Ende gar nicht umbringen?

      Aber Kowalski machte wieder einen energischen Eindruck.

      »Nein, Sie sollen sich selbst töten. Das ist nur gerecht so. Ich handele nur nach bestem Wissen und Gewis-sen, um es mit Ihren Worten zu sagen.«

      Der Richter erkannte die Ausweglosigkeit, in der er sich befand. Er fiel in sich zusammen. Doch es keimte ein Funken Hoffnung in ihm. Vielleicht bluffte Kowalski doch. Wer würde schon in ruhigem Plauderton den Selbstmord eines Menschen einfordern? In der Flasche war wahrscheinlich nur gefärbtes Wasser.

      Werbusch sah sich die Flasche genauer an. Sicher war es nur Wasser. Woher sollte auch ein solch konservativer Vater eine tödliche