Rainer Rau

Mobbing Jäger


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Gibt er uns die Empfehlung zu klagen, werden wir das tun. Wenn nicht, müssen wir die Sache begraben. Einverstanden?«

      Kowalski nickte zögerlich.

      Der Anwalt hatte schon einen Tag später eine Verhandlung, die Richter Werbusch als Vorsitzender leitete. So ergab sich nach der Verhandlung ein kurzes Gespräch.

      Martin Werbusch, der allgemein bekannt war für seine arrogante Art und den Anwalt schon abwimmeln wollte, ließ sich auf ein Gespräch ein, als der Anwalt ihm zu verstehen gab, dass sein Mandant sonst gewisse Fernsehsender anschreiben und dort um Hilfe bitten würde.

      Nachfragen von kritischen Fernsehsendern konnte Werbusch im Augenblick nicht gebrauchen. Werbusch stimmte einem Gespräch schließlich zu und stellte die Bedingung, es sollte ein Vertreter der Polizei dabei sein und sie hatten nur eine Stunde.

      Als der Anwalt Kowalski das mitteilte, passte ihm es gar nicht, er musste es aber so hinnehmen.

      Das Gespräch fand zehn Tage später im Dienstzimmer des Richters statt. Anwesend waren ein Polizeipsychologe, der Einsatzleiter der Wache 1 der Schutzpolizei, Kowalski und sein Anwalt.

      Der Richter wirkte, wie ihm sein Ruf vorauseilte, auf Kowalski arrogant und überheblich.

      »Machen Sie hin, Herr Anwalt. Meine Zeit ist begrenzt. Ihnen ist schon klar, dass dies keine offizielle Anhörung, sondern nur ein einfaches Gespräch, also für eine spätere Verhandlung nicht im Geringsten relevant ist!«

      Es war eine Feststellung, keine Frage.

      »Ja, Herr Richter. Mein Mandant ist der Meinung, dass seine Tochter systematisch in ihrer Dienststelle von den Kollegen gemobbt wurde. Dies belegen auch die Aufzeichnungen in ihrem Tagebuch und ebenso die Aussagen der Kolleginnen.«

      Der Polizeipsychologe ging schon auf Konfrontation.

      »Aber das stimmt so doch gar nicht. Keine einzige Aussage von den Kolleginnen wurde uns gegenüber geäußert. Und die Tagebucheinträge können wer weiß was bedeuten. Jedenfalls beweist das kein Mobbing durch die Kollegen. Ist es überhaupt ein Tagebuch der Kollegin Kowalski? Kann es nicht auch zweckdienlich von Dritten geschrieben worden sein? Und im Übrigen, was wollen sie eigentlich? Die Kolleginnen und Kollegen vor Gericht zitieren?«

      So zog sich das Gespräch hin. Meinung und Gegenmeinung. Fakten und deren Widerlegung.

      Der Richter sah gelangweilt auf seine Rolex und gähnte.

      Nach fünfundvierzig Minuten unterbrach er die Sitzung. Er gab eine abschließende Bewertung der Situation ab.

      »Also, meine Herren. Was sind hier Fakten? Eine tote Frau, die sich selbst das Leben genommen hat. Ihre Tochter, Herr Kowalski, hat zu keiner Zeit eine Anzeige gegen die von Ihnen beschuldigten Personen erstattet. Warum nicht? Der Beweis, dass man Ihre Tochter in den Tod getrieben hat, dürfte schwerlich zu erbringen sein. Zudem hat sie sich zu keiner Zeit ihrem Vorgesetzten mitgeteilt und um Rat gefragt. Ich zweifle nicht an der Echtheit des Tagebuches. Aber die Aufzeichnungen darin ergeben kein klares Bild und sind als Beweismittel, für was auch immer, völlig ungeeignet. Mobbing ist kein Straftatbestand, wenn es nicht zu weiterführenden Situationen kommt. Findet sich kein Zeuge, der bestätigen würde, dass eine Situation vorgelegen hat, aus der ein permanentes Mobbing hervorgegangen sein könnte, welches der Anlass war, dass sich ihre Tochter das Leben genommen hat, so kann ich Ihnen keine Hoffnung auf ein Verfahren machen. Es wird nicht zugelassen. Hier steht mein Grundsatz: Urteile nach bestem Wissen und Gewissen. Mein Gewissen sagt mir, Ihnen zu raten, die Sache, so wie sie ist, auf sich beruhen zu lassen. Vor Gericht hätten Sie schlechte Karten. Beraten Sie sich mit Ihrem Anwalt. Nun muss ich Sie bitten zu gehen. Ich habe noch zu tun.«

      Eberhard Kowalski war es schlecht. Sein Magen meldete sich wieder. Er stand auf und ging ohne ein weiteres Wort auf den Gang. Er suchte die Toilette auf und übergab sich.

      4. Ein schlagender Richter.

      Als Kowalski sich auch in den nächsten Tagen nicht beruhigte und unter massiven Beschwerden im Bauchbereich klagte, rief seine Putzfrau, die wöchentlich einmal die Wohnung reinigte, den Hausarzt an. Dieser diagnostizierte eine vegetative Störung des Magen-Darmtraktes und verschrieb ihm ein starkes Beruhigungsmittel. Kowalski übertrieb es mit der Dosierung und nahm die doppelte Menge. Zusätzlich schluckte er abends ein starkes Schlafmittel, das ihm der Hausarzt ebenfalls verschrieben hatte. Im Schlaf fantasierte er und sah seine Tochter mit dunklen Gestalten ringen. In seinen Träumen schrie sie nach ihm. Dann wachte er meistens schweißgebadet auf und schlief nicht mehr ein. Dafür war er am Tage müde und abgespannt.

      Er war ein reines Nervenbündel.

      Nach vier Wochen änderte sich das schlagartig. Er las beim Frühstück in der Zeitung einen Bericht über einen Prozess, in dem eine junge Lehrerin ihren Kollegen angezeigt hatte. Sie war von ihm sexuell belästigt, erniedrigt und vor anderen Menschen verspottet worden. Und das über einen längeren Zeitraum. Obwohl in diesem Fall Zeugen zu ihren Gunsten aussagten, insbesondere eine Freundin der Lehrerin, die mindestens einmal Zeugin eines Übergriffs wurde, ging das Urteil zu Gunsten des Beklagten aus. Er wurde freigesprochen.

      Am Ende des Artikels wurde der Richter zitiert.

      »… ist es nicht auszuschließen, dass hier von der Freundin der Klägerin ein wahrer Freundschaftsdienst erbracht wurde. Somit kann und wird der Aussage der Freundin keinerlei Glauben geschenkt und so komme ich nach bestem Wissen und Gewissen zu dem Urteil, den Angeklagten von allen ihm zur Last gelegten Vorwürfen freizusprechen.«

      So kommentierte der Richter M. Werbusch sein Urteil. Dieses Urteil wurde von den zahlreichen Zuschauern als Skandal empfunden. Es brach ein Tumult im Gerichtssaal aus, worauf der Richter den Saal räumen ließ.

      Kowalski schluckte. Sein Magen reagierte aber dieses Mal nicht. Sein Kopf sendete klare Befehle an alle Organe, sich ruhig zu verhalten. Jetzt musste er einen klaren Kopf bewahren. Er musste nachdenken.

      Er musste nun handeln. Er wollte handeln.

      Dieser Richter handelte nicht nach bestem Wissen und Gewissen. Dieser Richter stand nicht auf Seiten der Opfer. Im Gegenteil. Er ließ die Opfer noch einmal leiden. Und er ließ die Angehörigen leiden. Er hatte die Macht dazu.

      Kowalski wurde in diesem Moment zum Jäger. Ihm war bewusst, dass er etwas unternehmen musste um denen zu helfen, die im Moor der Hilflosen unterzugehen drohten.

      Er wollte Genugtuung für Mobbingopfer. Er wollte nun keine Gerechtigkeit mehr, er wollte Rache.

      Er wurde zum Mobbingjäger.

      Die Adresse des Richters stand im Telefonbuch. Kowalski zog seine Schuhe und die Jacke an und als er das Haus verlassen wollte, fragte ihn seine Nachbarin, die gerade die Treppe putzte, wo er denn hinwolle.

      »Ich muss wieder unter Leute, Christina. Ich muss mal raus, ein Bierchen trinken.«

      »Ja, mach das, Ebby. Das ist gut so.«

      Die Nachbarin machte sich seit dem Tod von Kowalskis Frau Sorgen um ihn und da sie ebenfalls alleine lebte, machte sie sich auch etwas Hoffnung, ihm näher zu kommen.

      Als er nun ein Bierchen trinken wollte, glaubte sie doch, es ginge ihm wieder so langsam besser. Sie nahm sich vor, mit ihm mal über gemeinsame Unternehmungen, wie einen Kinobesuch oder ein Essen beim Italiener zu reden. Ihr heimlicher Wunsch war es, mit Kowalski einen gemeinsamen Urlaub im Schwarzwald zu verbringen. Bei dem Gedanken daran wurde ihr sehr warm ums Herz und es kribbelte ihr in den Lenden. Dann schob sie schnell ihre lüsternen Gedanken weg, in denen sie sich ausmalte, mit Kowalski eine intime Beziehung einzugehen und widmete sich wieder ihrer Putztätigkeit.

      Kowalski, der davon nichts ahnte, fuhr zu der Adresse von Richter Werbusch und beobachtete das Haus aus einiger Entfernung. Es war abgelegen, in nobler Wohngegend, der man schon von Weitem die teuren Quadratmeterpreise ansah. Hier sah man keine Menschenseele auf der Straße. Leute, die es sich leisten konnten, hier zu wohnen, ließen sich nicht auf der Straße sehen. Man sah sie im Sommer dann und wann, wenn sie in ihren offenen Cabrios zum Golfen fuhren.